Die Bewohner der ersten europäischen Siedlung in Nordamerika waren nicht zimperlich: Sie aßen sogar Hunde, wie rund 400 Jahre alte Hundeknochen aus Jamestown in Virginia belegen. Schnittspuren und verkohlte Stellen an diesen Knochen verraten, dass die Tiere damals geschlachtet und verzehrt wurden – wahrscheinlich aus schierer Not. Denn harte Winter und feindliche Ureinwohner lösten mehrfach Hungernöte aus, denen ein großer Teil der eingewanderten Siedler zum Opfer fielen.
Die Jamestown-Kolonie am Ufer der Chesapeake Bay in Virginia gilt als die erste dauerhafte Siedlung von Europäern in Nordamerika. Im Jahr 1607 wurde sie von Einwanderern gegründet, die auf drei Schiffen aus England in die Neue Welt kamen. Schon bald nach ihrer Ankunft kam es jedoch zu Konflikten mit den indigenen Stämmen – berühmt geworden ist die Entführung der Häuptlingstochter Pocahontas durch Kolonisten aus Jamestown.
Die eskalierenden Kämpfe, eine Belagerung des Dorfs durch die indigene Powhatan-Konföderation, aber auch die ungenügende Vorbereitung und Anpassung der Siedler an ihre neue Umgebung führten von Beginn an zu schweren Hungernöten in Jamestown. „Ende des ersten Jahres waren rund zwei Drittel der ursprünglichen Siedler tot, gestorben an Unterernährung, Krankheiten oder Gewalt“, berichten Ariane Thomas von der University of Iowa und ihre Kollegen.
Hunde reisten mit in die Neue Welt
Doch die englischen Neuankömmlinge waren nicht die einzigen Bewohner Jamestowns: Knochenfunde aus dieser Zeit belegen, dass in der Siedlung auch zahlreiche Hunde lebten. „Historische Überlieferungen legen nahe, dass zumindest ein Teil dieser Hunde von den Kolonisten aus Europa mitgebracht worden war“, erklären die Archäologen. Die vierbeinigen Importe dienten unter anderem als Jagdhelfer, Wachhunde und Hütehunde.
Aber auch die indigenen Stämme besaßen Hunde, die in hohem Ansehen standen, wie unter anderem ein großer Hundefriedhof aus dieser Zeit belegt. „Die Hundegräber zeugen davon, welchen hohen spirituellen und sozialen Wert die Hunde für die indigen Gemeinschaften besaßen“, schreiben Thomas und ihre Kollegen. Sie haben anhand der Knochen der 16 Hunde aus Jamestown und der daraus isolierten DNA untersucht, woher die Vierbeiner kamen und welches Schicksal sie in den Anfangsjahren der Kolonie erlitten.
Verräterische Schnittspuren an den Knochen
Das Ergebnis: „Die Hundeüberreste aus Jamestown zeigen allesamt deutliche Hinweise auf menschliche Bearbeitung“, berichten die Archäologen. Davon zeugen Schnitt- und Schlagspuren sowie Kerben an den Knochen. „Diese Spuren entsprechen denen, die beim Enthäuten, Entbeinen und dem Entfernen des Fleisches entstehen“, erklärt das Team. Konkreter ausgedrückt: „Die von uns untersuchten Hunde wurden in der Zeit zwischen 1607 und 1617 von den Jamestown-Siedlern gegessen“, so Thomas und ihre Kollegen.
Die Untersuchung der Jamestown-Relikte legt zudem nahe, dass die Schlachtung von Hunden dort nicht nur im Hungerwinter 1609/10 stattfand, sondern auch schon davor und danach. „Der Verzehr der Hunde deutet darauf hin, dass die Bewohner von Jamestown mehrfach Zeiten schweren Hungers durchlebten“, berichten die Archäologen.
Hundefleisch-Essen war früher noch kein Tabu
Zwar gilt der Verzehr von Hunden in den westlichen Gesellschaften heute meist als Tabu, früher war man jedoch weniger zimperlich: „Es gibt in England und anderen Teilen Europas eine lange Geschichte des Hundefleisch-Essens während Hungerperioden“, erklären die Forschenden. „Die Bewohner von Jamestown verhielten sich daher nicht anders als andere frühe Kolonisten aus England, Spanien oder Frankreich, die in Zeiten der Not auf Hundefleisch zurückgriffen.“
Interessant auch: Unter den in Jamestown verzehrten Hunden waren mindestens sechs Tiere mit einheimischer, nordamerikanischer Abstammung, wie die DNA-Analysen ergaben. Ob die Siedler möglicherweise diese fremden, in ihren Augen minderwertigen Hunde zuerst schlachteten, bevor sie ihre importierten Rassehunde opferten, muss nun in weiteren Analysen geklärt werden. (American Antiquity, 2024; doi: 10.1017/aaq.2024.25)
Quelle: Cambridge University Press