Ein kleiner, unscheinbarer Tropenfarn hat das größte Genom der irdischen Lebenswelt: Seine DNA umfasst gut 160 Milliarden DNA-Basenpaare, wie Analysen enthüllen. Damit ist das Erbgut dieser Pflanze rund 50-mal umfangreicher als das des Menschen und übertrifft auch den bisherigen Rekordhalter, die Japanische Einbeere, um mehr als zehn Milliarden DNA-Buchstaben. Entpackt wäre der DNA-Strang aus nur einer einzigen Zelle des in Neukaledonien heimischen Farns mehr als 100 Meter lang. Für die Pflanze ist ein so gigantisches Genom aber nicht nur ein Vorteil.
Schon bei unseren eigenen Zellen erscheint es wie ein Wunder der Natur: Rund zwei Meter DNA sind im winzigen Zellkern dicht zusammengeknäult. Doch mit unseren rund 3,2 Milliarden DNA-Basenpaaren sind wir Menschen in puncto Genomlänge bestenfalls Mittelfeld: Das längste Insektengenom, die DNA der Gefleckten Schnarrschrecke, ist 21 Milliarden Basenpaare lang, das des Axolotls sogar 32 Milliarden DNA-Basen. Und selbst die simple Fichte trägt ein gut 20 Milliarden Basenpaare langes Genom in ihren Zellen.
Den DNA-Rekord im Tierreich hält der Äthiopische Lungenfisch, dessen Genom erstaunliche 129 Milliarden Basenpaare umfasst. Übertroffen wurde er bisher nur von einer krautigen Pflanze, der Einbeere Paris japonica. Ihr Erbgut ist rund 149 Milliarden Basenpaare lang.
Unscheinbarer Aufsitzer
Doch es geht noch größer: Die in der Südsee heimische Farn-Art Tmesipteris oblanceolata trägt in ihren Zellen eine noch umfangreichere DNA, wie Pol Fernandez von der Universität Barcelona und sein Team entdeckt haben. Für ihre Studie waren sie auf die Inseln Neukaledoniens gereist, einem rund 1.200 Kilometer östlich von Australien liegenden Archipel, um Proben zu sammeln. In den dortigen Tropenwäldern wachsen die nur 15 bis 30 Zentimeter langen, beblätterten Stängel des unscheinbaren Farns.
„Tmesipteris ist eine einzigartige und faszinierende kleine Farn-Gattung, deren Vorfahren sich schon vor rund 300 Millionen Jahren entwickelten – lange bevor die Dinosaurier die Bühne des Lebens betraten“, sagt Seniorautor Jaume Pellicer vom Botanischen Institut Barcelona. „Diese Farne zeichnen sich durch ihre eng begrenzte Verbreitung in Ozeanien und wenigen pazifischen Inseln sowie durch ihre epiphytische Lebensweise aus – sie wachsen vorwiegend auf den Stämmen und Ästen von Bäumen.“
Größtes Erbgut aller Eukaryoten
Analysen der Zellkerne und der DNA der gesammelten Farnproben enthüllten: Das Genom von Tmesipteris oblanceolata umfasst 160,45 Milliarden Basenpaare. Es ist damit rund 50-mal umfangreicher als das menschliche Genom und besitzt sieben Prozent mehr DNA-Buchstaben als der bisherige Rekordhalter Paris japonica. Damit hat der Südseefarn das größte Erbgut aller Eukaryoten. „Wer hätte gedacht, dass eine so kleine, unscheinbare Pflanze einen Weltrekord in der Genomgröße aufstellt!“, sagt Koautor Ilia Leitch von den Royal Botanical Gardens Kew in England.
„Lange Zeit dachten wir, dass der Rekord von Paris japonica nicht zu überbieten wäre, aber wieder einmal hat die Natur die Grenzen gesprengt – und unsere optimistischsten Prognosen übertroffen“, berichtet Leitch. Würde man die DNA aus nur einem Zellkern des Tmesipteris-Farns entwirren und gerade aneinander legen, wäre der DNA-Strang mehr als 100 Meter lang. Im verpackten Zustand ist dieses Erbgut auf 416 Chromosomen aufgeteilt.
Die Biologen vermuten, dass das Erbgut des Rekordfarns durch eine Kombination mehrerer genetischer Prozesse so stark angewachsen ist. Zum einen neigen Farne zum „Horten von Chromosomen“, wie Fernandez und seine Kollegen erklären. Dabei nimmt die Chromosomenzahl in Zellen durch das Beibehalten von kompletten Genomkopien zu. Zum anderen trägt der Farn aber auch besonders viele wiederhielte DNA-Abschnitte im Erbgut, was die DNA-Länge ebenfalls erhöht.
Riesengenom bringt auch Nachteile
„Die Entdeckung des Rekordgenoms wirft viele neue und spannende Fragen dazu auf, wo die Obergrenzen des biologisch Möglichen liegen“, sagt Leitsch. Denn für ein Lebewesen hat ein dermaßen umfangreiches Erbgut auch Nachteile: Es muss größere Zellkerne ausbilden, um die Menge an DNA unterzubringen und benötigt mehr Zeit und Ressourcen, um das gesamte Erbgut einer Zelle bei der Teilung zu kopieren.
Pflanzen mit sehr großem Genom wachsen meist eher langsam und benötigen mehr Nährstoffe. Auch ihre Photosynthese ist oft weniger effizient, weshalb sie schneller wachsenden, genügsameren Konkurrenten oft unterlegen sind. Dafür könnte das umfangreiche DNA-Reservoir diesen Pflanzen möglicherweise mehr Toleranz für Umweltveränderungen verleihen – so zumindest die Vermutung. Denn bisher sind Pflanzen mit Riesengenomen noch kaum erforscht.
„Das aufkommende Feld der Biodiversitäts-Genomik könnte dazu beitragen, das komplexe Wechselspiel zwischen der Architektur des Erbguts, Umweltfaktoren und evolutionären Prozessen aus ganzheitlicher Perspektive zu entschlüsseln“, konstatieren die Forschenden. Der kleine Farn Tmesipteris oblanceolata hat es mit seinem Riesengenom jetzt erstmal ins Guinness Buch der Rekorde geschafft. (iScience, 2024; doi: 10.1016/j.isci.2024.109889)
Quelle: Kew Gardens, Royal Botanic Gardens Kew