Spektakulärer Fund: Im Ostallgäu bei Kaufbeuren haben Paläontologen die Fossilien einer zweiten urzeitlichen Menschenaffenart entdeckt. Der Buronius manfredschmidi getaufte Hominide lebte vor knapp zwölf Millionen Jahren, war eher zierlich und könnte sich vorwiegend auf Bäumen aufgehalten haben. Dies könnte erklären, wie dieser Menschenaffe zeitgleich und im selben Lebensraum wie die größere, aufrecht gehende Art Danuvius guggenmosi vorkommen konnte – es ist der erste europäische Beleg für zwei Urzeit-Hominiden aus derselben Fundstätte.
Die Wiege aller Menschenaffen und Menschenvorfahren stand in Afrika. Doch schon lange vor den ersten Frühmenschen der Gattung Homo wagten sich auch einige Urzeit-Menschenaffen bis nach Europa vor, wie Fossilfunde belegen. Der bisher älteste Vertreter der Hominiden in Europa lebte demnach schon vor 17 Millionen Jahren im schwäbischen Alpenvorland. In Bulgarien und Griechenland haben Paläontologen rund sieben Millionen Jahre alte Relikte zweier weiterer Urzeit-Menschenaffen gefunden.
Die jüngste und wohl spektakulärste Entdeckung war der rund 11,6 Millionen Jahre Menschenaffe Danuvius guggenmosi, genannt „Udo“. Ein Team um Madelaine Böhme von der Universität Tübingen hatte die Fossilien dieses an den aufrechten Gang angepassten Menschenaffen im Jahr 2019 am Fundort „Hammerschmiede“ nahe Kaufbeuren im Ostallgäu entdeckt. Die Fossilien waren im versteinerten Sediment eines urzeitlichen Baches konserviert, der dort einst durch eine sumpfige Landschaft strömte.
„Udo“ war nicht allein
Jetzt berichtet das Team um Böhme von einem weiteren Fund. Es handelt sich um zwei fossile Zähne und eine Kniescheibe, die ganz in der Nähe der Danuvius-Relikte gefunden wurden. Diese drei Fundstücke sind jedoch deutlich kleiner und zeigen auffällige anatomische Unterschiede zu den Danuvius-Fossilien. Die Paläontologen haben die beiden Zähne und die Kniescheibe daher eingehenderen Vergleichsanalysen unterzogen.
Das Ergebnis: Die drei Fossilien stammen nicht von Danuvius, sondern von einer zweiten, zuvor unbekannten Menschenaffenart. „Die Morphologie und Größe dieser Funde aus derselben Fundschicht der Hammerschmiede wie Danuvius erfordern die Einstufung in eine neue Gattung“, schreiben Böhme und ihre Kollegen.
Ein zweiter, zierlicherer Urzeit-Menschaffe
Damit lebten vor 11,6 Millionen Jahren gleich zwei verschiedene Urzeit-Menschenaffen in diesem Gebiet – es ist der erste Fund zweier gemeinsam vorkommender Hominidengattungen aus dem europäischen Miozän, so die Paläontologen. Sie tauften die neue Art Buronius manfredschmidi. Buronius leitet sich vom mittelalterlichen Namen der Stadt Kaufbeuren – Buron – ab. Der Artname ehrt den Hobbyarchäologen Manfred Schmid, der zahlreiche Fossilfunde in der Hammerschmiede-Tongrube gemacht hatte.
Die Zähne und Kniescheibe von Buronius verraten, dass dieser neu entdeckte Urzeit-Menschenaffe wahrscheinlich kaum mehr als rund zehn Kilogramm wog. Er war damit deutlich kleiner als alle heute lebenden Menschenaffen, bei denen die Spanne von rund 30 Kilogramm beim Bonobo bis zu mehr als 200 Kilogramm beim Gorilla reicht. Auch Danuvius war mit rund 15 bis 46 Kilogramm größer und schwerer als Buronius. Den Paläontologen zufolge entsprachen Gewicht und Größe von Buronius am ehesten dem der Siamangs, kleineren Verwandten der Gibbons aus Südostasien.
Baumbewohnender Blatt- und Fruchtfresser
Die Fossilien von Buronius liefern auch erste Hinweise auf seine Lebensweise – und diese unterschied sich ebenfalls von der seines größeren Zeitgenossen Danuvius. So könnte sich Buronius – anders als der an den aufrechten Gang angepasste Danuvius – vorwiegend in Bäumen aufgehalten haben. „Die Kniescheibe von Buronius ist dicker und asymmetrischer als bei Danuvius“, erklärt Böhme. Dies könne mit Unterschieden in der Oberschenkelmuskulatur erklärt werden, die auf eine Anpassung an das Klettern hindeuten.
Die Zähne von Buronius deuten auf einen weiteren Unterschied hin: „Die Zahnschmelzdicke bei Buronius ist so gering wie bei keinem anderen Menschenaffen Europas und vergleichbar mit Gorillas“, berichtet Böhme. „Der Zahnschmelz von Danuvius hingegen erreicht fast die Stärke menschlichen Zahnschmelzes.“ Dies verrät, was diese Primaten einst fraßen. Denn ein dünner Zahnschmelz deutet auf fruchtreiche, vegetarische Ernährung hin, eine dickere Zahnschmelzschicht wie bei uns Menschen, ist hingegen für Allesfresser typisch, die auch härtere, zähe Nahrung kauen.
Verschiedene Nischen ermöglichten das Zusammenleben
Zusammengenommen könnten diese Unterschiede erklären, warum die beiden Urzeit-Menschenaffen zeitgleich und im selben Gebiet vorkommen konnten: Buronius und Danuvius besetzten offenbar unterschiedliche ökologische Nischen. Der kleinere Buronius hielt sich wahrscheinlich eher in Baumkronen und auf Ästen auf und ernährte sich vorwiegend von Früchten und Blättern.
Der mehr als doppelt so große, zur Zweibeinigkeit befähigte Danuvius hingegen durchstreifte vermutlich ein größeres Gebiet und konnte so vielfältigere Nahrungsressourcen nutzen. Dies sei mit der heutigen Syntropie von Gibbon und Orang-Utan auf Borneo und Sumatra vergleichbar, erklärt das Forschungsteam: Während Orang-Utans auf Futtersuche umherstreifen, halten sich die kleinen, fruchtfressenden Gibbons in Baumwipfeln auf. Die Fossilfunde aus der Hammerschmiede belegen nun erstmals eine solche Syntropie für urzeitliche Menschenaffen in Europa. (PLoS ONE, 2024; doi: 10.1371/journal.pone.0301002)
Quelle: PLOS, Eberhard Karls Universität Tübingen