Blick in die Vergangenheit: In Südchina haben Paläontologen eines der ältesten Schwammfossilien der Welt entdeckt. Die neue, Helicolocellus getaufte Gattung ist rund 550 Millionen Jahre alt und schließt eine große Lücke im Fossilbericht der Schwämme. Unter anderem legt das Fossil nahe, dass die ersten Schwämme noch einen weichen Körper besessen haben könnten, bevor sie irgendwann ihr charakteristisches Mineralskelett entwickelten, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Schwämme gehören zu den ältesten mehrzelligen Tieren dieses Planeten. Ihre Ursprünglichkeit zeigt sich unter anderem darin, dass sie weder Organe noch Muskeln noch Nervenzellen besitzen und ihr gesamtes Leben an einem festen Ort verbringen. Schätzungen gehen davon aus, dass die ersten primitiven Schwämme bereits vor 700 Millionen Jahren entstanden sein könnten, doch die ältesten eindeutigen Schwammfossilien sind „gerade einmal“ 540 Millionen Jahre alt. Was also ist in den dazwischenliegenden 160 Millionen Jahren geschehen?
Neue Einblicke in die „verlorenen Jahre“
In Südchina haben Paläontologen um Xiaopeng Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften nun ein Fossil entdeckt, das mehr über diese „verlorenen Jahre“ der Schwamm-Evolution verraten könnte. Mit einem Alter von rund 550 Millionen Jahren ist es zum einen eines der ältesten Schwammfossilien der Welt. Zum anderen stammt es damit aus der fraglichen „Schwamm-Lücke“ im Erdaltertum.
Äußerlich ähnelt der Helicolocellus cantori getaufte Ur-Schwamm einem rund 40 Zentimeter hohen Kelch, der zu Lebzeiten wahrscheinlich mit einer scheibenförmigen Struktur am Meeresboden angeheftet war, wie das Team berichtet. Seine Körperoberfläche ist von einem einzigartigen Gittermuster geprägt: regelmäßige Kästen, von denen jeder in vier kleinere Kästen unterteilt ist, die wiederum aus noch kleineren Kästen bestehen. Diese Musterung findet sich auch in der Namensgebung, denn „locellus“ bedeutet auf Latein so viel wie „kleiner Kasten“.
Wahrscheinlich diente das Gittermuster aber nicht unbedingt zur Zierde, sondern sicherte dem Schwamm einst das Überleben, wie Wang und seine Kollegen vermuten: „Das Gitternetz von Helicolocellus könnte die Nahrungsaufnahme oder die mechanische Stabilität erleichtert haben.“
Ein Glasschwamm ohne Glas
Gittermuster und Körperform des fossilen Schwamms erinnerten das Team außerdem sofort an moderne Vertreter: die sogenannten Glasschwämme (Hexactinellida). Und das offenbar zurecht, denn wie Stammbaumanalysen ergeben haben, ist Helicolocellus tatsächlich eng mit diesen verwandt. Doch in einer zentralen Angelegenheit unterscheidet sich der Ur-Schwamm von seinen modernen Verwandten: Sein Körper enthält nicht, wie für Schwämme üblich, ein hartes Skelett aus Kalk und anderen Mineralien, sondern war offenbar komplett organischen Ursprungs.
Das wiederum könnte auch die 160 Millionen Jahre große Fossilienlücke erklären. Denn wenn zu dieser Zeit viele oder gar alle Schwämme ausschließlich aus Weichteilen bestanden, hätte das ihre Konservierung extrem unwahrscheinlich gemacht. „In den meisten Fällen würde diese Art von Fossilien in den Fossilienaufzeichnungen verloren gehen“, erklärt Seniorautor Shuhai Xiao von der Virginia Tech. Dass Helicolocellus der Nachwelt erhalten geblieben ist, liegt allein an den besonderen geologischen Bedingungen seines Fundortes – eines dünnen Bettes aus marinem Karbonatgestein.
Ein „Softie“ als Urahn der Schwämme?
Anhand von Helicolocellus konnten Wang und seine Kollegen bereits zahlreiche neue Einblicke in die Evolution der Schwämme gewinnen. Unter anderem halten sie es nun für möglich, dass alle Schwämme aus einem Urahn mit weichem Körper hervorgegangen sind. Die verschiedenen Untergruppen hätten in diesem Szenario jeweils unabhängig voneinander mineralisierte Skelette entwickelt.
Diese Sichtweise hat auch Auswirkungen auf die zukünftige Erforschung fossiler Schwämme: „Wir wissen jetzt, dass wir unseren Blickwinkel erweitern müssen, wenn wir nach frühen Schwämmen suchen“, erklärt Xiao. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07520-y)
Quelle: Chinese Academy of Sciences Headquarters, Virginia Tech