Auf der Lauer: Ein Physikerteam hat eine neuartige Falle für Dunkle Materie konstruiert. Sie soll die Bildung von „Domänenwänden“ durch die physikalischen Felder der Dunklen Materie provozieren. Wenn dann ultrakalte Teilchen durch diese unsichtbaren topologischen Defekte des Raums fallen, könnte ihr Verhalten die Natur der Dunklen Materie entlarven, wie die Physiker im Fachjournal „Physical Review D“ berichten. Erste Resultate erwarten sie innerhalb eines Jahres.
Die Dunkle Materie prägt die Struktur unseres Universums und das Verhalten der Galaxien. Doch woraus diese unsichtbare, nur durch ihre Gravitationseffekte spürbare Materieform besteht, ist eines der großen ungelösten Rätsel der Physik und Kosmologie. Bisher blieben alle Versuche erfolglos, die Teilchen der Dunklen Materie zu identifizieren – nicht einmal über deren Merkmale herrscht Einigkeit.
Wenn das dunkle Skalarfeld ausfriert
Eine dieser Hypothesen nach könnte die Dunkle Materie aus Bosonen – Kraftteilchen – bestehen, die mit einem physikalischen Skalarfeld gekoppelt sind – ähnlich wie das Higgs-Boson mit seinem zugehörigen Feld. Der Theorie nach können solche bosonischen Felder topologische Strukturen bilden, wenn sie einen Phasenübergang durchlaufen, beispielsweise durch einen starken Dichteabfall. Ähnlich wie in magnetischen Festkörpern könnten dann auch im Kosmos unsichtbare, bisher nicht nachweisbare Domänenwände entstehen – topologische Defekte im Raum selbst.
„Wenn sich die Dichte verringert, bilden sich Defekte – ähnlich wie beim Gefrieren von Wasser zu Eis“, erklärt Seniorautorin Clare Burrage von der University of Nottingham. Im Eiskristall bilden sich solche Defekte dort, wo Gitterbereiche mit unterschiedlicher Orientierung aufeinanderstoßen. „Ähnliches geschieht mit Skalarfeldern, wenn die Dichte abnimmt: Sie bilden Domänengrenzen – und diese könnten die Existenz der dunklen Skalarfelder belegen“, so die Physikerin.
Wie aber lassen sich solche „dunklen Domänenwände“ nachweisen? Einen ersten Versuch dazu lancierte vor einigen Jahre unter anderem das GNOME-Projekt mit einem globalen Netzwerk optischer Magnetometer.
Eine Falle für „dunkle Domänenwände“
Doch das Team um Burrage und Erstautorin Kate Clements verfolgt einen anderen, verblüffend simpel erscheinenden Ansatz. „Wenn Domänenwände entstanden sind, können sie an Materiestrukturen ‚haften'“, erklären die Physiker. „Als Folge kann Materie, die durch eine solche Domänengrenze wandert, gefangen oder abgelenkt werden.“ Dies müsste es ermöglichen, den Effekt sogar im Labor zu beobachten.
An genau diesem Punkt setzt das Experiment von Clements und ihrem Team an. „Wir haben die Bedingungen untersucht, die nötig sind, damit sich Domänenwände in einer Vakuumkammer bilden, und durch welche Materiestrukturen die Domänenwände festgehalten werden können“, erklären sie. Modellsimulationen zu diesen Fragen ergaben, dass es theoretisch möglich wäre, die gesuchten dunklen Domänenwände in einer kugelförmigen, zehn Zentimeter kleinen Vakuumkammer zu erzeugen.
Voraussetzung für die Dunkle-Domänenwand-Falle: Die Wände der Vakuumkammer müssen aus Material hoher Dichte bestehen und im Inneren muss die Gasdichte kontrolliert bis auf zehn Milliardstel Millibar verringert werden können, um den Phasenübergang herbeizuführen. „In einer solchen Vakuumkammer begrenzter Größe können dann Strukturen an der Innenwand die Bildung der Domänengrenzen fördern und beeinflussen, wo sie sich bilden“, erklären Clements und ihre Kollegen. Dafür müssen die stachelartigen Strukturen dünn und dicht genug stehen.
Erster Prototyp der Falle konstruiert
Einen ersten Prototyp dieser „Falle“ hat das Physikerteam bereits mithilfe von 3D-Druck hergestellt. Die Wände der Vakuumkammer bestehen dabei aus massivem Edelstahl und tragen innen eine feine Stachelstruktur. „Die 3D-gedruckten Vakuumkammern wurden auf Basis unserer Modelle so konstruiert, dass sie die ideale Form, Struktur und Textur haben, um Dunkle Materie einzufangen“, sagt Clements‘ Kollegin Lucia Hackermueller. „Um zu demonstrieren, dass wir darin dann wirklich dunkle Domänenwände eingefangen haben, werden wir eine Wolke kalter Lithium-Atome hindurchleiten.“
Wenn dunkle Domänenwände existieren und in der Vakuumkammer präsent sind, müsste sich dies am Verhalten der auf minus 273 Grad heruntergekühlten Atome zeigen: „Teilchen mit anfänglichen Geschwindigkeiten von weniger als 0,03 Meter pro Sekunde werden durch die Domänengrenze aufgehalten, Teilchen mit höherer Geschwindigkeit können die Wand hingegen passieren“, erklären die Physiker das erwartete Verhalten bei einer dünnen Domänenwand. Dickere Domänenwände, die fast die gesamte Kammer ausfüllen, würden dagegen nur langsamere Teilchen, deren Geschwindigkeit unterhalb von 0,00001 Meter pro Sekunde liegt, abfangen.
Erste Resultate innerhalb eines Jahres
Clements und ihr Team werden jetzt mit diesen Experimenten beginnen. Die ersten Ergebnisse erwarten sie in weniger als einem Jahr. „Dies wird einen wichtigen Fortschritt in unserem Verständnis der Dunklen Materie und Dunklen Energie bringen – ob wir nun dunkle Domänenwände belegen oder nicht“, sagt Hackermueller. „Gleichzeitig ist dies ein exzellentes Beispiel dafür, wie ein gut kontrollierbares Laborexperiment Effekte messen kann, die für das ganze Universum relevant sind.“
Das Team hofft, mithilfe des Experiments mehr Klarheit darüber zu schaffen, ob die Dunkle Materie möglicherweise wirklich etwas Ähnliches wie eine fünfte Grundkraft des Kosmos ist – inklusive der entsprechenden Felder und Trägerteilchen. (Physical Review D, 2024; doi: 10.1103/PhysRevD.109.123023)
Quelle: University of Nottingham