Anzeige
Archäologie

Gigantische Felsgravuren als Wegweiser?

Ureinwohner in Südamerika markierten ihr Gebiet einst mit riesigen Schlangenbildern

Monumentale Felsgravuren in Pintado
Monumentale Felsgravuren in Pintado. Das Schlangenbild ist etwa 42 Meter lang. Daneben sind Bilder eines Riesenläufers und einer Maske sowie Darstellungen von Mensch und Tieren. © doi: 10.15184/aqy.2024.55/CC-by 4.0

Markante Bildersprache: Wann und wozu wurden die bis zu 40 Meter langen Felsgravuren am Orinoco-Fluss in Südamerika erstellt? Eine Antwort darauf könnten Archäologen nun gefunden haben. Demnach dienten die gigantischen Felsbilder den Ureinwohnern vor rund 2.000 Jahren wahrscheinlich als Gebietsmarkierungen und Grenzsymbole, vermuten die Forscher. Auffällig oft zeigen diese Kunstwerke bedrohliche Schlangen – möglicherweise eine universell verständliche Warnung an Fremde. Doch die Bilder geben weiterhin Rätsel auf.

Entlang des rund 2.000 Kilometer langen Orinoco-Flusses in Venezuela und an der Grenze zu Kolumbien prangen plakativ zahlreiche Gravuren auf Felswänden. Diese Ritzzeichnungen zeigen abstrakte Muster, Menschenfiguren und verschiedene Tiere. Erstmals beschrieben haben dies bereits 1821 die Naturforscher Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland. Doch erst in den vergangenen Jahren haben Archäologen die Felsbilder intensiver erforscht. Die Monumente zieren markante Erhebungen in der Landschaft und sind bis zu 40 Meter lang. Darunter ist auch die größte bislang bekannte Felszeichnung weltweit.

Wozu dienten die Felsbilder?

Klar scheint: Diese riesenhaften Bilder wurden wahrscheinlich einst von den Ureinwohnern Südamerikas in Stein geritzt. Indem sie die Oberfläche der durch Cyanobakterien schwarz gefärbten Granitfelsen abschliffen, wurde das darunter liegende hellere Gestein sichtbar. Doch wann und wozu haben sich die Menschen diese Mühe gemacht? Waren die Felsbilder pure Kunst oder erfüllten sie einen praktischen Zweck?

Diesen Fragen ist nun ein Team um Philip Riris von der Bournemouth University in England nachgegangen. Dafür besuchten die Archäologen 157 der bislang entdeckten Felsbilder an verschiedenen Stellen entlang des oberen und mittleren Orinocos und suchten gezielt an markanten Felsen nach weiteren Kunstwerken. Mithilfe von Drohnen erstellten sie Luftaufnahmen der Werke, vermaßen und fotografierten sie, notierten die GPS-Koordinaten und kartierten sie anschließend zusammen mit lokalen Reiseführern.

Karte der Fundstätten monumentaler Felskunst entlang des Orinoco sowie Skizzen der Felsbilder
Fundstätten monumentaler Felskunst entlang des Orinoco: A) Cerro Dagua; B) Cerro Casuarito Centro & Sur; C) Cerro Casuarito Norte; D) Picure; E) Cerro Palomazón; F) Cerro Pintado; G) Cerro Humeante; H) Maipures-2; I) Cerro Mariposa; J) Cerro Pirari-ame; K) Caño Grulla. Häufiges Motiv sind Schlangen (grüne Punkte). Skizzen nicht maßstabsgetreu. © die Autoren / doi: 10.15184/aqy.2024.55 / CC-by 4.0

2.000 Jahre alte Schlangenbilder

Neben den bereits bekannten Kunstwerken fanden Riris und seine Kollegen dabei einige weitere, zuvor unentdeckte Felsbilder. 13 dieser Monumente waren über vier Meter groß. Diese Werke zeigten auffällig häufig Schlangen – allein oder umgeben von geometrischen Mustern oder anderen Tieren, wie das Team berichtet.

Anzeige

Zugleich fanden die Forschenden in Ausgrabungsstätten in der Region Überreste von Keramiken, die mit ähnlichen Motiven verziert waren wie die Felswände. Diese Relikte waren rund 2.000 Jahre alt, wie Tests zur Altersdatierung ergaben. Die Archäologen vermuten daher, dass die Darstellungen ähnlich alt oder sogar noch älter sind als die Überreste der Siedler, die zwischen 100 v. Chr. und 620 n. Chr. in der Gegend lebten. Insgesamt sind die Felsbilder damit aber deutlich jünger als steinerne Kunstwerke auf anderen Kontinenten.

Fabelwesen als Warnung?

Die auf den Ritzzeichnungen abgebildeten Tiere könnten heimische Schlangen der Gattung Anakonda oder Boa constrictor darstellen, vermuten die Forschenden. Diese kommen auch in den Mythen und Sagen der lokalen indigenen Bevölkerung regelmäßig vor. „Wir wissen, dass Anakondas und Boas nicht nur mit der Schöpfergottheit einiger indigener Gruppen in der Region in Verbindung gebracht werden, sondern dass sie auch als tödliche und damit bedrohliche Wesen angesehen werden, die Menschen und große Tiere töten können“, sagt Riris.

Entsprechend beeindruckend waren wahrscheinlich die Abbilder der Schlangen am Orinoco. „Wir vermuten, dass die präkolumbianischen Völker die riesigen Schlangen als allgegenwärtige Erinnerung an alte Konflikte und Verhandlungen zwischen übernatürlichen Wesen und Menschen wahrnahmen“, schreiben die Forschenden.

Grenzmarkierung und Mahnung an Fremde

Die Archäologen schließen aus der verwendeten Symbolik und der Lage der Felsbilder aber auch, dass die Ureinwohner die riesigen Schlangenbilder an strategisch gelegenen Felswänden platzierten – möglicherweise, um die Grenzen ihres Gebiets zu markieren. „Diese monumentalen Stätten sind wirklich groß und beeindruckend. Wir glauben, dass sie aus einiger Entfernung gesehen werden sollten“, sagt Riris.

„Die Gravuren könnten daher von prähistorischen Gruppen verwendet worden sein, um ihr Territorium zu markieren und andere Menschen wissen zu lassen, dass sie angemessenes Verhalten erwarten“, so der Forscher. Die Felsmalereien könnten demnach ein Signal an Fremde gewesen sein, dass sie an diesen Orten entsprechend vorsichtig sein und sich benehmen müssen, so die Forschenden.

Dazu passt auch die Anordnung der Felsbilder: Besonders viele von ihnen fanden Riris und seine Kollegen an einem Flussabschnitt des Orinoco, der damals wahrscheinlich eine wichtige Handels- und Reiseroute war. „Das bedeutet, dass es ein wichtiger Kontaktpunkt gewesen sein könnte. Dort könnte es umso wichtiger gewesen sein, sich zu profilieren“, sagt Koautor José Oliver vom University College London. Die Bilder könnten demnach eine Art interkulturelle Botschaft an verschiedenste Besucher gewesen sein, um klarzumachen, wer dort wohnt.

Archäologische Stätten sollen geschützt werden

Riris und seine Kollegen wollen die steinernen Kunstwerke nun zusammen mit den indigenen Einwohnern der Region weiter untersuchen und zum Schutz der Relikte beitragen. Dafür haben sie die Stätten bei den kolumbianischen und venezolanischen Kulturbehörden registriert. „Einige der umliegenden Gemeinden fühlen sich sehr stark mit den Felsmalereien verbunden“, sagt Seniorautorin Natalia Lozada Mendieta von der Universidad de Los Andes in Bogotá. „Wir glauben, dass sie in Zukunft wahrscheinlich die besten Hüter sein werden.“

Folgestudien könnten dann beispielsweise klären, mit welcher Absicht die Schlangen an einigen Orten horizontal, an anderen vertikal dargestellt wurden. Auch ist noch unklar, ob sich die einzelnen Bilder aufeinander beziehen. (Antiquity, 2024; doi: 10.15184/aqy.2024.55)

Quelle: Antiquity

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Wellenleiter

Erster Titan-Saphir-Laser im Chipformat

Ein Pompeji der Trilobiten

Island: Vulkan-Areal könnte Jahrzehnte aktiv bleiben

Diaschau: Alle EM-Stadien als Radarbilder

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Archäologie erleben - 50 Ausflüge in die Vergangenheit von André Wais, Karoline Müller und Tina Steinhilber

Rätsel der Archäologie - Unerwartete Entdeckungen - Unerforschte Monumente von Luc Bürgin

Top-Clicks der Woche