Astronomie

Drei Ausreißer torpedieren Theorien

Junge, zu kühle Neutronensterne widerlegen drei Viertel aller Zustandsgleichungen

Neutronenstern
Nach gängigen Modellen kühlen Neutronensterne nur langsam ab. Doch drei "zu kalte" Ausreißer widerlegen dies nun. © ESA/ Marino et al.

Schwer erklärbar: Astronomen haben drei junge Neutronensterne entdeckt, die den meisten gängigen Modellen widersprechen – sie sind viel zu kühl für ihr junges Alter von wenigen hundert bis tausend Jahren. Die ungewöhnlich schnelle Abkühlung der Neutronensterne widerspricht 75 Prozent aller bisher aufgestellten Zustandsgleichungen für das Innenleben solcher ultradichten Sternenreste. Dies könnte auf exotische Teilchen und Prozesse in ihrem Inneren hindeuten, wie das Team in „Nature Astronomy“ berichtet.

Neutronensterne sind die Überreste massereicher, in einer Supernova explodierter Sterne – und nach Schwarzen Löchern die dichtesten Objekte im Universum. Ihr Inneres ist so stark komprimiert, dass selbst Atombausteine zerfallen und nur noch Neutronen oder sogar freie Quarks übrig bleiben – so die Annahme. Denn was im exotischen, superdichten und wahrscheinlich superfluiden Zentrum eines Neutronensterns vorgeht, können selbst Astrophysiker bisher nur vermuten.

Welche Zustandsgleichung gilt?

„Die Frage, welche Zustandsgleichung für die dichte Materie in Neutronensternen gilt, ist eine offene Schlüsselfrage für gleich mehrere Gebiete der Physik“, erklären Alessio Marino vom Institut für Weltraumforschung in Barcelona und seine Kollegen. Denn diese Gleichung beschreibt nicht nur die Struktur, Abkühlrate und das Rotationsverhalten der Neutronensterne, es liefert auch Informationen über subatomare Prozesse bis hin zu Gravitationswellen im Kosmos.

Um mehr Klarheit über die Vorgänge in Neutronensternen zu gewinnen, haben Marino und sein Team sich gezielt das Abkühlverhalten der Sternenreste angeschaut. Gängiger Annahme nach sind diese anfangs sehr heiß und kühlen dann mit zunehmendem Alter allmählich ab. Wie schnell dies geschieht, verrät wiederum, was im Inneren der Neutronensterne vor sich geht und in welchem Zustand die Materie in ihnen sein könnte. „Das wiederum grenzt die möglichen Zustandsgleichungen ein“, so die Astronomen.

Für ihre Studie durchmusterten die Forschenden Daten der Röntgenteleskope XMM-Newton und Chandra und identifizierten 70 isolierte, gut datierbare Neutronensterne.

Drei Ausreißer
Vergleich der thermischen Leuchtkraft der drei kalten Neutronensterne mit den Abkühlkurven eines der gängigen Modelle. In grün und schwarz die Fehlerbalken für Beobachtungsdaten und Berechnungen, die roten Queralken markieren die maximale Leuchtkraft der drei Objekte. © Marino et al./ Nature Astronomy, CC-by 4.0

Drei kalte Ausreißer

Dabei fielen ihnen drei Ausreißer auf: „Drei Neutronensternen stachen heraus, weil sie um eine Größenordnung kälter waren als alle anderen Objekte ähnlichen Alters“, berichten die Astronomen. Zwei dieser Neutronensterne (PSR J0205+6449 und PSR B2334+61 ) waren sich schnell drehende, erst 817 beziehungsweise 7.700 Jahre alte Pulsare. Der dritte Ausreißer (CXOU J0852-4617) liegt als zentrales Objekt in einem Supernova-Überrest und ist 2.500 bis 5.000 Jahre alt. Damit sind alle drei Sternenreste nach kosmischen Maßstäben blutjung – und müssten entsprechend heiß sein.

Doch das ist nicht der Fall: Alle drei Neutronensterne sind zehn bis hundertmal kühler als sie in ihrem jungen Alter sein dürften, wie Marino und seine Kollegen ermittelten. „Die Kombination von jungem Alter und kühler Oberfläche dieser drei Neutronensterne kann nur durch einen schnellen Abkühl-Mechanismus erklärt werden“, sagt Marinos Kollegin Nanda Rea.

75 Prozent der Modelle widerlegt

Was aber bedeutet dies für die theoretischen Modelle und Zustandsgleichungen? „Schon auf den ersten Blick wird klar, dass einige der Szenarien nicht zu der schwachen thermalen Leuchtkraft dieser drei extrem kühlen Objekte passen“, konstatieren die Astrophysiker. In einer ergänzenden Computeranalyse untersuchten sie daher, ob und wie gut 81 gängige Zustandsgleichungen für Neutronensterne das Verhalten und insbesondere die schnelle Abkühlung der drei Ausreißer erklären können.

Das Ergebnis: „Die bloße Existenz dieser drei kalten, jungen Neutronensterne widerlegt einen Großteil der verfügbaren Zustandsleichungen“, berichten Marino und sein Team. „Das minimale Abkühlmodell kann die Beobachtungen nicht erklären – unabhängig von der Masse und dem Magnetfeld der Objekte.“ 75 Prozent aller getesteten Modelle scheiden demnach aus, weil sie keinen Mechanismus für eine schnelle Abkühlung beinhalten.

Erklärungsmodelle
Die schnelle Abkühlung der drei jungen Neutronensterne wäre durch exotische Teilchen oder beschleunigte Abkühlung über (Anti)Neutrinos erklärbar. © ESA/ Marino et al.

Welche Modelle bleiben übrig?

Übrig bleiben unter anderem Zustandsgleichungen, die die Existenz exotischer Hyperons im Inneren der Neutronensterne postulieren – Neutronen, die statt ihrer Down-Quarks ein oder zwei schwerere Charm-Quarks als Valenzquarks in sich tragen. Ebenfalls noch im Rennen sind Modelle, bei denen die starke Emission von (Anti)Neutrinos im sogenannten Urca-Prozess den Abkühlprozess beschleunigt.

„Eine detaillierte und umfassende Analyse der verschiedenen Möglichkeiten einer schnellen Abkühlung, beispielsweise durch Hyperons, Quarks oder reine nukleonische Materie mit hohen Symmetrieenergie, liegt außerhalb dieser Studie, gibt aber Anlass zum Nachdenken“, konstatieren die Astrophysiker. Sie sehen hier nun spannende Ansatzpunkte für weitere Forschung. (Nature Astronomy, 2024; doi: 10.1038/s41550-024-02291-y)

Quelle; Nature Astronomy, European Space Agency (ESA)

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