Während zu Zeiten Kolumbus’ und Magellans die Kartografie vor allem im Dienst der Entdeckung von Ländereien und deren „Eroberung per Landkarte“ stand, hatten sich im 17. und 18. Jahrhundert die meisten europäischen Staaten konstituiert. Dennoch hatten Karten und geografische Informationen noch immer einen erheblichen Wert.
Knarrende Stufen als Alarmanlage
Schon der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. von Preußen erkannte, dass ihm eine kartografische Landesaufnahme Vorteile bei der Kriegsführung einbringen würde. Er gab daher dem Generalquartiersmeisterleutnant von Preußen den Auftrag „von allen Orten einen richtigen und perfekten Abriss in Verwahrung und Bereitschaft“ zu haben und eine Kartenkammer einzurichten. Das Vermessungs- und Kartenwesen erhielt damit einen festen Platz in der preußischen Militär- und Zivilverwaltung.
Doch die Karten standen auch in Preußen nur einem kleinen Kreis Auserwählter zur Verfügung. Friedrich der Große, Sohn des Soldatenkönigs, fürchtete den Verlust seiner Karten so sehr, dass er die wichtigsten Exemplare auf Reisen stets in einer Kiste mit sich führte. Die Plankammer im Stadtschloss Potsdam ließ er in das Stockwerk über seiner Wohnung verlegen. Der Zugang bestand aus einer knarrenden Stiege. So konnte der König die Kartensammlung persönlich überwachen.
Ursache der Vorsicht war die Angst, militärischen Gegnern den Einmarsch ins Land zu erleichtern, wenn diesen die Karten in die Hände fielen. Aus demselben Grund durften genauere Karten mit großem Maßstab, die Ende des 18. Jahrhunderts angefertigt wurden, gar nicht oder nur mit verkleinertem Maßstab gedruckt werden.
Kriegsgefangene als Informationsquelle
Auch die Gegenspielerin Friedrichs des Großen, Maria Theresia, Herrscherin von Österreich, erkannte, dass gute Karten über den Ausgang von Kriegen entscheiden können. Nach schlechten Erfahrungen mit unzureichendem Kartenmaterial im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1762) veranlasste auch sie eine systematische Landesaufnahme nach dem Vorbild Preußens.
Beide Mächte standen sich zudem in nichts nach, wenn es um die Bespitzelung des Gegners und das Ausspionieren kartografischer Details ging. So erließ Maria Theresia die Anordnung, ihre in preußische Kriegsgefangenschaft geratenen Offiziere nicht sofort gegen preußische Gefangene der österreichischen Armee einzutauschen. Von den gefangenen Österreichern erhoffte sie sich nach deren längerem Aufenthalt im Gebiet des Feindes verlässliche Informationen über die Festungen und die Topografie Preußens. Friedrich allerdings bemerkte ihre Taktik und schickte die Offiziere früher heim.
Preußen sammelte demgegenüber Informationen über den Ausbau der Festungsanlagen von Wien. Im Kartenkontor des preußischen Generalstabs fand sich eine bemerkenswerte Sammlung von Karten, die den Umbau der Wiener Festung dokumentieren. Als Anfang der 1770er Jahre ein Stadtplan Wiens inklusive der neuen Festung gedruckt werden sollte, behielt sich Maria Theresia die Kontrolle des Kartenmanuskripts vor – und dachte dabei auch an ihre preußischen Gegner. Sie veranlasste diverse Änderungen, um die Festung auf dem Papier größer und uneinnehmbarer erscheinen zu lassen.
Verrückte Grenzlinien …
Karten dienten schon damals auch dazu, Staatsterritorien zu markieren und zu beanspruchen. Wurden Grenzen damals auf Karten eingetragen, bekamen sie offiziellen Charakter. Staaten machten so mit einem „Pinselstrich“ ihre Ansprüche geltend. Die Kolonialmächte beispielsweise teilten im Jahr 1885 Afrika kurzerhand durch Linien auf einer Landkarte unter sich auf.
Bei solchen Grenzmarkierungen ist die Versuchung groß, einfach mal ein bisschen zu schummeln. Mit ein wenig Glück fällt dies niemandem auf – oder zumindest nicht sofort. So auch im Fall des Tempels von Preah Vihear, der 1958 vor dem Internationalen Gerichtshof landete. Thailand hatte bei Vermessungen festgestellt, dass eine vereinbarte Grenzlinie verschoben worden war und Kambodscha den fraglichen Tempel damit für sich beanspruchte.
…und der Tempelstreit von Preah Vihear
Der ursprüngliche Grenzvertrag war 1907 zwischen dem damaligen Siam und Frankreich, dem Kolonialherren Kambodschas, geschlossen worden. Als Grenze sollte demnach eine natürliche Wasserscheide dienen. Entgegen der vertraglichen Vereinbarung hatten französische Kartografen auf der Karte jedoch die Grenzlinie etwas verschoben, so dass der Tempel auf dem Papier Kambodscha zufiel. Diese Karte war damals zusammen mit dem eigentlich anders lautenden Vertrag übergeben worden.
Die siamesisch-thailändischen Behörden übersahen diese kleine „Korrektur“ zunächst, druckten diese Karte nach und brachten sie in Umlauf. Später kam es jedoch zum Streit, und 1958 ging Thailand sogar vor den Internationalen Gerichtshof. Dieser entschied 1962 zugunsten Kambodschas, weil Thailand nicht schon zu Beginn gegen die veränderte Karte Widerspruch eingelegt hatte. Damit habe das Land die Grenze auf der Karte stillschweigend akzeptiert, so das Urteil.
Doch mit diesem Urteil kehrte keine Ruhe ein: Nachdem Kambodscha im Jahr 2007 bei der UNESCO den Status als Weltkulturerbe für den Tempel beantragt hat, kam es erneut zu Streitigkeiten um den Grenzverlauf, die 2008 sogar zu Schusswechseln führten. 2013 beschäftigte sich der Internationale Gerichtshof deshalb erneut mit dem Fall – entschied aber erneut zugunsten Kambodschas.