Anzeige
Archäologie

Als das Nadelöhr erfunden wurde

Vor 40.000 Jahren eröffneten Nähnadeln mit Öhr das Zeitalter der Mode

Verschieden große Öhrennadeln aus der letzten Eiszeit
Öhrennadeln aus der letzten Eiszeit. © Gilligan et al, 2024

Kleines Ding, große Wirkung: Der Ursprung der Mode könnte in der Altsteinzeit liegen, wie Archäologen und Anthropologen herausgefunden haben. Denn erst die Erfindung von Nähnadeln mit Nadelöhr vor rund 40.000 Jahren ermöglichte erstmals die Anfertigung von komplexeren, verzierten Kleidungsstücken – von der Unterwäsche bis zum rituellen Gewand. Die Nähnadel markiert damit möglicherweise den Übergang von der pragmatischen Schutzkleidung zur modischen Kleidung als Ausdruck von Identität und Status.

Mode ist viel mehr als nur Kleidung: Was wir tragen, drückt unsere Persönlichkeit und unseren Status aus und soll unsere Mitmenschen beeindrucken. Zudem gilt es vielerorts als unsittlich, ohne Kleidung herumzulaufen. Doch das war nicht immer so. Frühmenschen und auch die ersten Vertreter des Homo sapiens trugen, wenn überhaupt, wesentlich simplere und losere Kleidungsstücke aus Leder und Fell – schlicht, um sich in kühleren Gegenden warm zu halten. Kleidung musste damals vor allem pragmatisch sein und erfüllte noch keinen sozialen Zweck. In wärmeren Gegenden verzichten einige indigene Gesellschaften sogar bis heute auf Kleidung.

Evolution der Mode

„Kleidung erfüllt aber nicht nur rein praktische Zwecke wie Schutz und Komfort, es wurde auch ein machtvolles Mittel des kulturellen Ausdrucks und der sozialen und individuellen Identität“, erklärt Ian Gilligan von der University of Sydney. Doch wann haben Menschen erstmals angefangen, ihre Kleidung zu verzieren und sie damit auch als soziales Signal zu nutzen? Welche Werkzeuge waren nötig, um maßgeschneiderte und dekorative Kleidungsstücke herzustellen? Und wann setzte sich Kleidung als soziale statt physische Notwendigkeit durch?

Diesen Fragen ist das Team um Gilligan nachgegangen. Dafür werteten die Archäologen Informationen über archäologische Funde von Kleidung und Schneiderwerkzeugen aus. Zudem analysierten sie Studien zur Kleidung und deren Herstellung heutiger indigener Völker wie den Inuit, Ainu oder den Ureinwohnern Australiens.

Von Steinwerkzeugen zu Knochenahlen

Ihre Analyse ergab, dass Menschen bereits im Pleistozän vor Millionen Jahren grobe Steinwerkzeuge verwendeten, um Tiere zu häuten und lose Fellkleidung herzustellen. „Die klassischen Werkzeuge, mit denen wir diese Kleidung in Verbindung bringen, sind Hautschaber oder Steinschaber. Diese tauchten in den verschiedenen Phasen der letzten Eiszeiten auf und verschwanden wieder“, erklärt Gilligan. Steinwerkzeuge, mit denen enganliegende Umhänge geschneidert werden konnten, tauchten dann erstmals vor rund 300.000 Jahren auf.

Anzeige

Ergänzt wurden diese Werkzeuge vor rund 80.000 Jahren durch feinere Ahlen, Stichel und Nadeln aus angespitzten Tierknochen, wie sie in Afrika, Europa und Asien gefunden wurden. Damit ließ sich dann bereits maßgeschneiderte und damit besser sitzende Kleidung herstellen, wie das Team erklärt. Das war zwar noch aufwendig, weil zunächst ein Loch in die Lederhäute gebohrt und anschließend manuell ein Faden hindurch gefädelt werden musste, aber möglich.

Erfindung des Nadelöhrs vor 40.000 Jahren

Zierliche Nähnadeln mit Öhren, durch die sich Fäden ziehen und somit leichter vernähen lassen, traten hingegen erst vor rund 40.000 Jahren auf. Aus dieser Zeit stammen die ältesten bekannten archäologischen Funde von Öhrennadeln in der Denisova-Höhle in Sibirien. Diese wurde damals wahrscheinlich von Vertretern des Homo sapiens bewohnt. Weitere Nadeln in verschiedenen Formen und Größen wurden in Teilen Asiens und Europas parallel zur Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen in der Altsteinzeit gefunden, wie Gilligan und seine Kollegen berichten.

Künstlerische Darstellung von maßgeschneiderter Mode im Jungpaläolithikum
Künstlerische Darstellung von maßgeschneiderter Mode im Jungpaläolithikum. © Mariana Ariza

Ob die Nähnadel dabei mehrfach unabhängig voneinander erfunden oder stets weiterentwickelt und variiert wurde, ist unklar. Die steinzeitlichen Nadeln bestanden meist aus angespitzten Knochen, in deren Ende kleine Löcher gebohrt wurden. Damit konnten vermutlich erstmals Fäden präzise und effizient in einem Schritt vernäht werden. „Öhrennadeln sind besonders nützlich für die sehr feinen Näharbeiten, die zum Verzieren von Kleidung erforderlich sind“, so Gilligan.

Mithilfe solcher Nähnadeln konnten wahrscheinlich schon die Menschen der Altsteinzeit erstmals Kleidungsstücke wie Unterwäsche sowie die Kombination mehrerer Lagen entwickeln, wie Gilligan und seine Kollegen berichten. Auch dekorative Elemente wie Perlen, Anhänger und Ornamente könnten damit erstmals an den Tierhäuten und Fellen angebracht worden sein, wie zahlreiche Funde aus verschiedenen Teilen in Asien und Europa aus dieser Zeit nahelegen.

Tracht statt Körperbemalung?

Gilligan und seine Kollegen gehen davon aus, dass die harschen Bedingungen während der letzten Eiszeit dazu führten, dass die Menschen dauerhaft Kleidung trugen, um zu überleben. Traditioneller Körperschmuck wie Körperbemalungen mit Ockerfarben, Tattoos oder gezielte Vernarbung der Haut, die zuvor in Afrika und Asien üblich waren, wären dann nicht länger sichtbar oder möglich gewesen. An ihrer Stelle könnte sich die Kleidung als dekorative Gestaltungsfläche etabliert haben, vermuten die Archäologen.

Die Menschen einer Gemeinschaft könnten ihre Kleidung dann im selben Stil oder mit ähnlichen Symbolen gestaltet haben, um eine Art Tracht zur Identifikation zu schaffen. Auch Statussymbole könnten damals entstanden sein. Zugleich könnte diese Kleidung größere und komplexere Gesellschaften hervorgebracht haben, weil die Menschen durch sie besser vor Witterung geschützt und somit mobiler waren. Aber auch die Fähigkeiten, die für die Herstellung der Kleidung nötig gewesen wären – die Planung und Beschaffung der Materialien –, könnten den Menschen beim Überleben geholfen haben.

Nadelöhr markiert Startpunkt der Mode

Insgesamt markiert die Nähnadel einen wichtigen Punkt in der Entwicklung unserer Kleidungspraktiken. „Das Auftreten von Öhrennadeln signalisiert die Verwendung von Kleidung als Dekoration“, sagt Gilligan. „Öhrennadeln dokumentieren einen Übergang in der Funktion von Kleidung von nützlichen zu sozialen Zwecken und sind daher eine wichtige Entwicklung in der Vorgeschichte.“

Kleidung hat sich demnach während der Altsteinzeit zur Mode entwickelt. Sie war nicht länger nur eine praktische Notwendigkeit zum Schutz und Komfort vor äußeren Einflüssen, sondern erfüllte von da an auch eine soziale und ästhetische Funktion für die individuelle und kulturelle Identität. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adp2887)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS), University of Sydney

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Feuerstelle für Zeremonie der Aborigines

Ältestes kulturelles Ritual identifiziert?

Auf dem Mars schlagen täglich Meteoriten ein

Skurril: Plastikwürfel als mechanischer Computer

Hautkrebs: Ursache für Therapie-Resistenz gefunden

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Akupunktur - Was bringt die chinesische Nadel-Heilkunst?

Bücher zum Thema

Steinzeit - Leben wie vor 5000 Jahren von Rolf Schlenker und Almut Bick

Das kugelsichere Federkleid - Wie die Natur uns Technologie lehrt von Robert Allen (Hrsg.)

Top-Clicks der Woche