Neurologie

Auslöser für Migräne-Anfälle identifiziert

Neuer Signalweg zwischen Gehirn und externen Nerven entdeckt

Symbolbild Migräne
Etwa jeder zehnte Mensch leidet unter Migräne-Attacken. © peterschreiber.media/ GettyImages

Lücke im System: Neurologen haben einen neuartigen Signalweg entdeckt, über den die Migräne-Beschwerden bei Patienten mit Aura ausgelöst werden. Demnach werden bei Migräne-Anfällen über das Hirnwasser mehrere Proteine freigesetzt, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden und an die Nervenzellen in einem sensiblen Knotenpunkt binden. Infolgedessen kommt es zu den migräne-typischen Kopfschmerzen und Wahrnehmungsstörungen, wie die Forscher in „Science“ berichten. Die Entdeckung könnte künftig zu neuen Medikamenten führen.

Migräne ist eine der häufigsten Formen von Kopfschmerzen. Schätzungen zufolge leidet etwa jeder zehnte Mensch hin und wieder unter Migräne. In rund einem Viertel der Fälle geht diese mit einer sogenannten Aura einher. Betroffene leiden dann nicht nur unter Kopfschmerzen, sondern zusätzlich unter Wahrnehmungsstörungen beim Hören und Sehen. Sie sehen beispielsweise Lichtblitze oder doppelt oder fühlen ein Kribbeln im Körper. Diese Symptome können sogar schon bis zu einer Stunde vor dem Schmerz eintreten.

Signalmoleküle im Nervenwasser im Fokus

Frühere Studien legen nahe, dass diese Auren durch spontane Glutamat- und Kalium-Schübe ausgelöst werden, die sich rasch über die Großhirnrinde oder das Kleinhirn ausbreiten. Das reduziert kurzzeitig den Sauerstoffgehalt und Blutfluss im Gehirn und verursacht Wahrnehmungsstörungen. Darüber hinaus werden bei den Schüben über das Nervenwasser im Gehirn kleine Proteine freigesetzt, die wiederum Schmerzrezeptoren in sensorischen Nervenzellen in Bereichen des Kopfes außerhalb des Gehirns aktivieren. Wie dieser Mechanismus genau funktioniert, war bislang allerdings unklar.

Ein Forschungsteam um Martin Rasmussen von der Universität Kopenhagen ist dem nun anhand von Mäusen nachgegangen, die solche Migräneschübe durchlaufen. Dabei nutzten die Neurologen verschiedene bildgebende Verfahren und führten Protein-Analysen per Massenspektrometer durch, um die molekularen Vorgänge im Gehirn der Tiere detailliert zu untersuchen.

Lücke in der Blut-Hirn-Schranke entdeckt

So fanden die Mediziner einen zuvor unbekannten Signalweg, über den das zentrale Nervensystem im Gehirn und die Nervenzellen im restlichen Körper miteinander kommunizieren. Dieser Weg verläuft nicht über Synapsen, sondern über einen bestimmten Nerven-Knotenpunkt außerhalb des Gehirns, den Ganglion trigeminale. Dieser sitzt an der Schädelbasis unterhalb des Gehirns und verbindet dieses mit den Nervenzellen in Gesicht und Kopf.

Im Gegensatz zu den übrigen Hirnregionen ist die Blut-Hirn-Schranke an diesem Knotenpunkt durchlässig, wie Rasmussen und seine Kollegen nun erstmals feststellten. Dadurch ist es an dieser Stelle ausnahmsweise möglich, dass die peripheren Nervenzellen mit den Proteinen aus dem Hirnwasser in Kontakt kommen, weil der Protein-Mix dort ungehindert durch die Lücke fließen kann. Die Proteine aktivieren dann die Nerven in diesem Knotenpunkt, was wiederum zu Kopfschmerzen führt.

Proteine reizen Knotenpunkt am Rande des Gehirns

Tatsächlich werden bei einem Migräne-Anfall sogar zwölf verschiedene Proteine ins Hirnwasser freigesetzt, die dann an Schmerzrezeptoren auf den sensorischen Nervenzellen im Ganglion trigeminale binden können, wie die Mediziner feststellten. Darunter ist auch das sogenannte CGRP-Protein, von dem bereits ein Zusammenhang mit Migräne bekannt war, und einige Proteine, die bereits mit anderen Schmerz-Erkrankungen in Verbindung gebracht wurden. Eines der Proteine kommt beispielsweise bei menstruationsbedingter Migräne vor.

Interessant auch: Dieser Mechanismus erfolgt offenbar nach Hirnhälften getrennt. So binden die auf einer Seite freigesetzten Proteine vorwiegend an den Knotenpunkt in derselben Kopfhälfte, wie das Team berichtet. Das könnte erklären, warum die Schmerzen bei den meisten Migräne-Anfällen einseitig auftreten.

Hoffnung für neue Migräne-Medikamente

Nachfolgende Gehirnscans bei Migräne-Patienten ergaben zudem, dass dieser Mechanismus in Mäusen und Menschen existiert, wie Rasmussen und seine Kollegen berichten. Die Ergebnisse legen daher insgesamt nahe, dass diese Proteine die Aura-Beschwerden und Schmerzen bei Migränepatienten verursachen. Das könnte nun den Weg für neue Migräne-Medikamente ebnen, die an diesem Signalweg ansetzen. In Folgestudien suchen Forschende beispielsweise bereits nach neuen Wirkstoffen, die das CGRP-Protein hemmen.

„Die Definition der Rolle dieser neu identifizierten Protein-Rezeptor-Paare könnte die Entdeckung neuer pharmakologischer Ziele ermöglichen, die dem Großteil der Patienten zugute kommen könnten, die auf die bisher verfügbaren Therapien nicht ansprechen“, sagt Rasmussen. „Die Erkenntnisse liefern uns eine Vielzahl neuer Angriffspunkte zur Unterdrückung der sensorischen Nervenaktivierung, zur Vorbeugung und Behandlung von Migräne und zur Stärkung bestehender Therapien“, ergänzt Seniorautorin Maiken Nedergaard von der University of Rochester.

Signalweg muss weiter erforscht werden

Neben Migräne könnte der neu entdeckte Signalweg auch an anderen Krankheiten beteiligt sein. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir den primären Kommunikationskanal zwischen dem Gehirn und dem peripheren sensorischen Nervensystem identifiziert haben. Es handelt sich um einen bisher unbekannten Signalweg, der für die Entstehung von Migränekopfschmerzen wichtig ist und auch mit anderen Kopfschmerzerkrankungen in Verbindung gebracht werden kann“, sagt Nedergaard.

Das könnte nun in Folgestudien weiter untersucht werden. Dabei könnte dann auch geklärt werden, warum die Kopfschmerzen oft noch lange anhalten, nachdem die auslösende Proteinwelle im Gehirn wieder abgeflacht ist. „Obwohl diese Arbeit einige der bisher stärksten Daten für eine Rolle des Hirnwassers bei Migräne liefert, gibt es noch viel über die grundlegende Rolle zu entdecken, die der Transport von Flüssigkeiten und gelösten Stoffen bei neurobiologischen Prozessen spielt“, schreiben Andrew Russo von der University of Iowa und Jeffery Iliff von der University of Washington in einem begleitenden Kommentar zur Studie.

„Die Reise zum Verständnis der Rolle, die glymphatische Funktionen und Dysfunktionen bei einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen spielen, hat gerade erst begonnen.“ (Science, 2024; doi:10.1126/science.adl0544)

Quellen: American Association for the Advancement of Science (AAAS), University of Rochester, Universität Kopenhagen

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