Eine Szene im Kindergarten: Zwei Kinder wetteifern um die Stärke ihrer Fantasiefiguren und das eine sagt: „Meine Kraft ist unendlich groß“ Das andere entgegnet: „Meine ist aber unendlich plus eins!“. Welche Spielfigur hat nun die größere Kraft?
„Nicht vollständig“
Die Antwort auf diese Frage ist weit weniger einfach als man denkt – und brachte schon die Gelehrten der Antike ins Grübeln. Der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles beispielsweise definierte Unendlichkeit als eine Menge, zu der man immer noch etwas hinzufügen kann. „Das Ende von etwas ist eine Grenze und nichts ist vollständig, das keine Grenze hat“, schrieb er 347 vor Christus in seinem Werk „Physik“. Er bezeichnete dies als potenzielle Unendlichkeit.
Praktisch und auf unsere wetteifernden Kinder bezogen würde dies bedeuten: Gerade weil man zu Unendlichkeit immer noch eine Zahl dazu addieren kann, ist der Zahlenraum unendlich. Doch was bedeutet dies für unsere Eingangsfrage? Kann man ∞ + 1 überhaupt rechnen? Die Antwort darauf lautet: ja, man kann eine 1 oder beliebige andere Zahl zu unendlich addieren – und das sogar unendlich oft. Doch das Ergebnis ist immer das Gleiche: unendlich. Denn die Menge der Zahlen bleibt unendlich – egal wie viele Zahlen ich hinzufüge.
Zu Gast in Hilberts Hotel
So paradox dies scheint, der deutsche Mathematiker David Hilbert illustrierte das Prinzip des Rechnens mit unendlich in seinem Gedankenexperiment von „Hilberts Hotel“: Dieses Hotel hat unendlich viele Zimmer, beginnend mit der Zimmernummer 1. Was ist nun, wenn alle Zimmer belegt sind, aber doch noch ein neuer Gast ankommt? Muss er abgewiesen werden?
Keineswegs. Stattdessen schafft man Platz, indem alle bereits eingecheckten Hotelgäste ihr Zimmer wechseln: Jeder zieht in das Zimmer mit der nächsthöchsten Zimmernummer. Das hat zur Folge, dass nun das Zimmer mit der Nummer 1 frei wird – und der neue Gast kann einziehen.
Auch ganze Busladungen neuer Gäste und sogar unendlich viele Neuankömmlinge lassen sich auf ähnliche Weise im eigentlich voll belegten „Hotel Hilbert“ unterbringen. Jeder schon eingezogene Gast multipliziert dafür seine Zimmernummer mit 2 und wechselt dann in das Zimmer mit der Nummer, die dabei herauskommt. Der Trick dabei: Durch diese Multiplikation entstehen nur gerade Zimmernummern, als Folge werden alle Zimmer mit ungeraden Nummern frei – und damit Räume für unendlich viele neue Gäste.
Archimedes, Galilei und der verflixte Vergleich
Hilberts Hotel demonstriert aber noch etwas: Wenn es unendlich viele ganze Zahlen gibt, dann gibt es auch unendlich viele gerade und unendlich viele ungerade Zahlen. Gäbe es Zimmer mit negativen Nummern würden sich auch diese ins Unendliche fortsetzen. Aber sind all diese unendlichen Zahlenmengen wirklich gleich groß?
Über diese Frage dachte auch der griechische Mathematiker Archimedes schon nach. In einem 1906 entdeckten, dann wieder verschollenen und 2002 schließlich wiederentdeckten Manuskript-Fragment verglich Archimedes bereits zwei unendliche Zahlenmengen – und kam zu dem Schluss, dass sie gleichgroß sein müssten. „Man hat vorher immer gedacht, dass die griechischen Mathematiker dies noch nicht versuchten, sondern erst die modernen Mathematiker „, sagt Reviel Netz von der Stanford University.
Später versuchte sich auch der Astronom Galileo Galilei am Vergleich unendlicher Zahlenmengen. Er beschrieb 1638 in seinem Werk „Discorsi“, dass es möglicherweise gleich viele Quadratzahlen wie natürliche Zahlen gibt – obwohl dies der Intuition völlig widerspricht. Denn wenn man eine Zahl quadriert, ist das Ergebnis ja auch eine natürliche Zahl – und damit eigentlich nur eine Teilmenge aller natürlichen Zahlen. Aber wie können dann beide Mengen eine gleichgroße unendliche Menge repräsentieren?
Dieses verwirrende Ergebnis wird heute auch als Galileis Paradoxon bezeichnet. Der Astronom und Physiker selbst sah darin eine möglicherweise zum Scheitern verurteilte Folge des Versuchs, mit unseren endlichen Gehirnen das Unendliche zu verstehen…