Mathematik

Die Kunst der Zuordnung

Wie vergleicht man unendliche Zahlenmengen?

Gibt es nur eine Unendlichkeit? Oder kann es mehrere, verschieden große Unendlichkeiten geben? Und wie vergleicht man zwei unendliche Mengen? Diese Frage treibt Mathematiker seit Jahrhunderten um. Für endliche Mengen ist es einfach, ihre Mächtigkeit zu bestimmen: Man zählt die einzelnen Elemente und erhält am Ende eine Summe. Diese kann man dann für verschiedene Mengen vergleichen. Doch bei einer unendlichen Menge gibt es kein letztes Element, also auch keine abgeschlossene Summe. Wie geht man dann vor?

Bijektion mit Quadratzahlen
Jede natürliche Zahl lässt sich einer zugehörigen Quadratzahl zuordnen. Es entstehen Paare ohne Lücken oder Mehrfachzuordnungen – eine Bjektion. © scinexx; HG: titoOnz/ iStock

Pärchenbildung im Zahlenraum

Eine Antwort auf diese Frage fand erst der deutsche Mathematiker und Begründer der Mengenlehre Georg Cantor. Im Jahr 1873 beschrieb er eine Methode, mit dem sich die Mächtigkeit zweier unendlicher Zahlenmengen vergleichen lässt. Ausgangspunkt von Cantors Überlegungen ist die bijektive Zuordnung. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein im Grunde ganz einfaches Prinzip: Statt die beiden Zahlenmengen abzuzählen, ordnet man sie einander zu.

Nehmen wir Galileis Vergleich von natürlichen Zahlen mit Quadratzahlen: Für die bijektive Zuordnung schreibt man einfach beide Zahlenstränge untereinander und verbindet jedes Element der ersten Zahlenreihe mit einem der zweiten – es entstehen Paare aus einer Zahl und ihrer Quadratzahl. Im Idealfall lässt sich jedem Element der ersten Zahlenmenge genau ein Element der zweiten Zahlenmenge zuordnen – und dies lässt sich unendlich weit fortsetzen.

Reise nach Jerusalem

Eine solche paarige Zuordnung bezeichnen Mathematiker als bijektive Funktion oder Bijektion. Die erste Voraussetzung dafür ist, dass es bei dieser Paarung keine mehrfach zugeordneten Zahlen gibt – sie ist mathematisch gesprochen surjektiv. Die zweite Voraussetzung ist, dass es auch keine Lücken in Form nicht zugeordneter Zahlen gibt – die Zuordnung muss injektiv sein. Trifft beides zu, ist die Zuordnung symmetrisch und beiden Zahlenmengen müssen daher die gleiche Mächtigkeit haben, egal wie lange sich die Zahlenstrahlen fortsetzen lassen.

Die Mathematikerin Mary Coupland von der University of Technology in Sydney vergleicht dies mit einer Art „Reise nach Jerusalem“ im Stadionformat: „Wenn alle Zuschauer sitzen und es keine freien Plätze mehr gibt, dann wissen wir, dass die Menge der Zuschauer und der Sitze gleichgroß ist – selbst wenn ihre Gesamtmenge zu groß zum Zählen ist.“ Bleiben dagegen Besucher stehen oder Sitze leer, geht der Vergleich nicht auf.

erstes Diagnoalargument
In Cantors erstem Diagonalargument ordnet man jedem nicht auf eine ganze Zahl kürzbaren Bruch eine natürliche Zahl zu. Daraus ergibt sich nach weiteren Kürzungsschritten eine bijektive Zuordnung. © scinexx; HG: titoOnz/ iStock

Gleiche Unendlichkeiten

Georg Cantor nutzte dieses Grundprinzip, um erstmals zu beweisen, dass die Menge der natürlichen Zahlen – also aller positiven ganzen Zahlen – genauso groß ist wie die der rationalen Zahlen – aller Bruchzahlen, die ganzzahlige Zähler und Nenner aufweisen. Ihre Unendlichkeiten sind demnach gleichmächtig. Auf den ersten Blick ist dies ein Paradox, denn beide Zahlenmengen sind zwar unendlich, gleichzeitig passen aber allein zwischen Null und Eins unendlich viele Bruchzahlen. Wie können dann diese beiden Unendlichkeiten gleichmächtig sein?

Cantor bewies diesen paradox erscheinenden Fakt mithilfe seines sogenannten ersten Diagonalarguments. In diesem ordnet man zunächst die Brüche in einem zweidimensionalen Schema an, in dem der Zähler jeweils nach unten hin zunimmt, der Nenner nach rechts. Dann geht man diagonal im Zickzack durch dieses Zahlenfeld und ordnet jedem nicht weiter kürzbaren Bruch eine positive ganze Zahl zu. Dabei entsteht eine bijektive Zuordnung – daher müssen beiden Zahlenmengen gleich groß sein, so Cantors Schlussfolgerung.

Aleph 0 – ein Maß für die Unendlichkeit

Das bedeutet: Auch wenn es unsere Vorstellungskraft arg strapaziert, ist die unendliche Menge der positiven ganzen Zahlen genauso groß wie die aller positiven Bruchzahlen. Ihre Unendlichkeiten sind demnach gleichmächtig. Mathematisch gesprochen gelten alle Zahlenmengen, deren Mächtigkeit der der natürlichen Zahlen entspricht, als abzählbar unendlich – das gilt für Galileis Quadratzahlen ebenso wie für gerade und ungerade Zahlen oder die Brüche der rationalen Zahlen.

Um diese „Sorte“ unendlicher Zahlen zu kennzeichnen, gab Cantor solchen Zahlenmengen die Kardinalzahl ℵ0 (Aleph 0). Aber bedeutet dies, dass es in der Mathematik nur eine einzige Unendlichkeit gibt, egal um welche Zahlen es sich handelt?

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Wie unendlich ist die Unendlichkeit?
Dem Phänomen des Grenzenlosen auf der Spur

Vom Kleinsten bis ins Größte
Wo begegnet uns Unendlichkeit?

Wie viel ist unendlich plus 1?
Rechnen mit Unendlichkeiten

Die Kunst der Zuordnung
Wie vergleicht man unendliche Zahlenmengen?

Über die Unendlichkeit hinaus
Reelle Zahlen und die Kontinuumshypothese

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