Widerspruch zur Theorie: Astronomen haben den bisher genauesten Blick unter die Oberfläche der rätselhaften „Supergranulen“ auf der Sonne geworfen – und Überraschendes entdeckt. Denn das Sonnenplasma in diesen zehntausende Kilometer großen Strömungszellen zeigt eine seltsame Lücke: Es strömt rund 40 Prozent mehr heißes Plasma an die Oberfläche als wieder nach unten absinkt. Dies widerspricht nicht nur der gängigen Theorie, es deutet auch auf einen noch unentdeckten Mechanismus hin, wie das Team in „Nature Astronomy“ berichtet.
Die Sonne gleicht in ihrem äußeren Drittel einem Topf mit kochendem Wasser: Getrieben von der gewaltigen Hitze im Innern des Sterns steigt heißes Plasma auf, kühlt weiter oben ab und sinkt dann wieder in die Tiefe. Diese Konvektionsströmungen verschiedener Größenordnungen spielen eine entscheidende Rolle für den solaren Wärmetransport, das Magnetfeld und auch den Aktivitätszyklus der Sonne. Doch wie genau diese Konvektion abläuft, ist bisher vor allem für die größten und kleinsten Plasmaströmungen bekannt – dazwischen klafft eine Lücke.
Diese Lücke betrifft vor allem die sogenannten Supergranulen – Strömungszellen auf der Sonnenoberfläche, die 30.000 bis 40.000 Kilometer groß sind. In ihnen steigt heißes Plasma aus tieferen Zonen nach oben, kühlt sich ab, strömt nach außen und sinkt dort wieder in die Tiefe hinab – so jedenfalls die vereinfachte Theorie. Typischerweise bleibt eine solche Superzelle rund 24 bis 36 Stunden bestehen, bevor sie sich auflöst und eine neue entsteht.
Wie weit reichen Strömungen hinab?
Doch wie tief die Strömungen der Supergranulen hinabreichen und welche Strukturen sich unter ihrer Oberfläche verbergen, ist bisher unklar. „Diese Supergranulen sind eine bedeutende Komponente des solaren Wärmetransports, aber sie zu verstehen, ist eine echte Herausforderung“, erklärt Koautor Shravan Hanasoge von der New York University in Abu Dhabi. Das Problem: Astronomen können nicht unter die Sonnenoberfläche blicken, sie sind auf indirekte Methoden wie die Helioseismologie und die Beobachtung der Oberflächenphänomene angewiesen.
Diese Messungen haben jedoch widersprüchliche Resultate ergeben. „Einigen Modellen zufolge reicht die adiabatische Konvektionszone der Supergranulen rund 10.000 Kilometer tief, andere Studien kamen jedoch auf weit geringere Tiefen von nur 2.500 bis 5.000 Kilometern“, erklärt das Team um Hanasoge und Erstautor Chris Hanson von der New York University. Um mehr Klarheit zu bringen, haben sie nun Strömungen und Entwicklung von gut 23.000 solaren Supergranulen analysiert. Basis bildeten dabei Daten des NASA-Sonnensatelliten Solar Dynamics Observatory (SDO).
40 Prozent des Absinkstroms fehlen
Die neuen Analysen liefern erstmals einen genaueren Blick in die verborgene Struktur der solaren Supergranulen. Demnach beginnen die heißen Aufströme in einer Tiefe von rund 25.000 Kilometern unter der Sonnenoberfläche und erreichen ihre größte Geschwindigkeit in rund 10.000 Kilometer Tiefe, wie das Team berichtet. Schon rund 7.000 Kilometer unter der Oberfläche beginnt dieses heiße Plasma aber, sich seitlich auszubreiten und bildet eine Zone nach außen gerichteter Plasmaströme, die rund 18.000 Kilometer weit hinaus reicht.
Das Überraschende jedoch: Am Außenrand der Super-Strömungszellen sinkt viel weniger abgekühltes Plasma in die Tiefe als es die gängigen Modelle vorsehen. „Wir haben einen klaren Unterschied zwischen den Amplituden der durchschnittlichen Auf- und Abströme festgestellt – letzte sind rund 40 Prozent geringer“, berichten Hanson und seine Kollegen. Dieses Ungleichgewicht legt nahe, dass die vorherrschende Theorie nicht ausreicht, um den konvektiven Transport der Supergranulen zu beschreiben.“
Widerspruch zur klassischen Mischungslängen-Theorie
Was aber bedeutet dies konkret? Wie die Astronomen erklären, geht die klassische Mischungslängen-Theorie davon aus, dass die Bewegung des solaren Plasmas allein durch Dichte und Temperaturunterschiede im Verhältnis zu seiner Umgebung bestimmt wird: Das Plasma steigt so lange auf, bis es genauso heiß ist wie sein Umfeld und sinkt ab, solange es kälter ist als dieses. Gleichzeitig besagt diese Theorie, dass größere Konvektionsströmungen auch seitlich mehr Raum einnehmen und größere Strömungszellen bilden.
Auf den ersten Blick ist dies auch bei den Supergranulen der Sonne der Fall. Doch das von Hanson und seinem Team entdeckte Ungleichgewicht von Auf- und Abströmen widerspricht dem klassischen Bild. „Unsere Ergebnisse widerlegen Annahmen, die zentral für unser gegenwärtiges Verständnis der solaren Konvektion sind „, sagt Hanasoge. Wie die Astronomen erklären, muss es demnach einen noch unentdeckten Mechanismus geben, der die zu schwachen Abwärtsströmungen ausgleichen kann.
Plasma-„Regen“ statt großer Konvektionsströme?
Wie dieser Prozess aussieht, ist noch offen. Hanson und sein Team vermuten aber, dass sich an der Sonnenoberfläche zusätzlich zu den großen Absinkströmungen möglicherweise kleine, nur rund 100 Kilometer breite Plasma-Plumes bilden könnten. Dieser dichte, kühle Plasma-„Regen“ könnte dann besonders schnell und weit nach unten sinken. „Der Hypothese nach würde dieses kühle Material ein ballistisches Absinken bis zur Basis der Konvektionszone durchlaufen“, erklären sie.
Weil diese Mini-Strömungen aber zu klein sind, um mit den gängigen helioseismologischen Methoden nachgewiesen zu werden, blieben sie bisher unentdeckt, so die Vermutung. Hier sei nun weitere Forschung nötig. (Nature Astronomy, 2024; doi: 10.1038/s41550-024-02304-w)
Quelle: New York University