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Physik

Gibt es überlichtschnelle Tachyonen doch?

Neues Modell zu den exotischen Teilchen sorgt für Diskussionen unter Physikern

Tachyonen
Tachyonen sind schneller als das Licht – jedenfalls in der Theorie. Doch gibt es diese exotischen Teilchen überhaupt?© amgun/ iStock

Keine bloße Science-Fiction: Tachyonen können schneller fliegen als das Licht – zumindest besagen dies einige physikalische Modelle. Doch ob diese hypothetischen Teilchen mit der Relativitätstheorie vereinbar sind und über Quantenfeldtheorien beschrieben werden können, ist strittig. Jetzt haben Physiker eine mögliche Lösung dieses Dilemmas veröffentlicht – und die Diskussion neu entfacht. Was aber ist das Problem mit den Tachyonen?

Sie klingen wie aus Star Trek oder einem andern Science Fiction-Szenario: Tachyonen sind hypothetische Teilchen, die mit Überlichtgeschwindigkeit durch das All rasen und damit sogar rückwärts in der Zeit reisen können. Das klingt wie ein klarer Verstoß gegen Einsteins Spezielle Relativitätstheorie, nach der nichts schneller sein kann als das Licht. Selbst masselose Teilchen wie die Photonen erreichen demnach maximal eine Geschwindigkeit von rund 300.00o Kilometer pro Sekunde.

Schneller als das Licht?

Doch 1962 wiesen Physiker nach, dass Einsteins Feldgleichungen zwar das Überlicht-Tempo für Teilchen mit Masse verbieten, es aber eine Lücke gibt. Demnach könnte es theoretisch Teilchen geben, deren quadrierte Masse einen negativen Wert hat und die dadurch das Einstein’sche Tempolimit überschreiten können. Sie müssten allerdings ausschließlich überlichtschnell unterwegs sein, so die Theorie.

Möglich wird dies, weil diese Teilchen mit steigender Geschwindigkeit an Masse und Energie verlieren – genau umgekehrt wie alle normalen Teilchen. Um diese überlichtschnellen Teilchen bis auf Lichtgeschwindigkeit oder darunter abzubremsen, müsste man ihnen demnach unendlich viel Energie zuführen. 1967 prägte der US-Physiker Gerald Feinberg für diese hypothetischen Partikel erstmals den Begriff „Tachyonen“ und lieferte eine erste Erklärung auf Basis der Quantenphysik. Demnach entstehen die Tachyonen – ähnlich wie das Higgs-Boson – durch die spontane Symmetriebrechung eines im Universum präsenten Skalarfelds.

Tachyonen, Teilchen schneller als das Licht.© Cosmoknowledge

Drei physikalische Hürden

Soweit die vereinfachte Geschichte. Doch physikalisch betrachtet ist die Frage nach den Tachyonen etwas komplizierter. Zwar können diese überlichtschnellen Teilchen im Rahmen der String-Theorie und auch des Casimir-Effekts beschrieben werden, nicht aber innerhalb der gültigen Quantenfeldtheorie. „Mindestens drei schwerwiegende Probleme sind dafür bisher ungelöst“, erklären Jerzy Paczos von der Universität Stockholm und seine Kollegen.

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Das erste Problem: Die Energie der Tachyonen könnte unter bestimmten Bedingungen negative Werte annehmen – was nach gängiger Theorie nicht geht. Die zweite Hürde besteht darin, dass das quantenphysikalische Tachyonenfeld bisherigen Berechnungen nach im Grundzustand instabil wäre – was eine Art Lawine solcher überlichtschnellen Teilchen auslösen würde. Und drittens müsste sich die Zahl der Tachyonen je nach Zustand des Betrachters ändern – auch das widerspricht gängigen Modellen.

„Unter anderem deswegen gelten Tachyonen bislang eher als unerwünschte Artefakte, die eine Inkonsistenz des Signals oder zumindest eine Instabilität der Theorie anzeigen“, erklären die Physiker.

Skalarfelder
Tachyonen könnten ähnlich wie das Higgs-Boson auf ein exotisches Skalarfeld im frühen Kosmos zurückgehen. © Kanawatvector/ iStock

Zu enger Rahmen?

Doch jetzt demonstrieren Paczos und sein Team, dass diese drei Hindernisse möglicherweise auf einer Fehlannahme beruhen. „Wir zeigen, dass diese Probleme von einer fehlerhaften Repräsentation der Lorentz-Gruppe in einem zu kleinen Hilbert-Raum verursacht werden“, erklären die Physiker. Der Hilbert-Raum beschreibt dabei die möglichen Zustände eines quantenphysikalischen Skalarfelds. Die Lorentz-Gruppe beschreibt die Symmetrie der die Naturgesetz beschreibenden Gleichungen wie beispielsweise die Einstein’schen Feldgleichungen.

Vereinfacht gesagt führen die Physiker die drei Probleme der Tachyonen darauf zurück, dass die Bedingungen für ihre physikalische Integration bisher zu eng gefasst wurden. Weil diese Teilchen sich in einem anderen Zeitrahmen bewegen – sie können theoretisch in der Zeit zurückspringen – müsse neben dem Anfangszustand des Systems auch dessen Endzustand mit einbezogen werden. „Um Raum für die Tachyonen zu schaffen, müssen wir den Zustandsraum erweitern“, erklären die Physiker.

„Die Idee, dass die Zukunft auch die Gegenwart beeinflussen kann statt nur umgekehrt, ist in der Physik keineswegs neu“, sagt Seniorautor Andrzej Dragan von der Universität Warschau. „Aber bisher galt dies bestenfalls als unorthodoxe Interpretation einiger Quantenphänomene.“

Hürden beseitigt…

In ihrer Studie demonstrieren die Physiker nun, dass eine Erweiterung des Hilbert-Raums die drei Haupthürden für die quantenphysikalische Beschreibung von Tachyonen weitgehend beseitigt. „Indem wir diesen Raum verdoppeln, etablieren wir ein kovariantes Gerüst, das die korrekte Quantisierung der Tachyonfelder erlaubt – und all diese Problem beseitigt“, schreiben Paczos und sein Team. Die überlichtschnellen Teilchen lassen sich dann in die Quantenfeldtheorie einfügen.

Und nicht nur das: Nach Ansicht der Forscher könnte die Integration der Tachyonen sogar einige der offenen Fragen zum Higgs-Boson und dem Ursprung seines Quantenfelds klären. „Unser Quantisierungs-Ansatz könnte helfen, die Physik des Phasenübergangs beim Higgs zu verstehen und die Dynamik seiner ungebrochenen gegenüber der gebrochenen Symmetrie zu klären“, schreiben Paczos und sein Team.

…oder doch nicht?

Allerdings: Andere Physiker widersprechen dem Ansatz von Paczos und seinen Kollegen und halten ihn für nicht gültig. So rechnet beispielsweise Krzysztof Jodlowski vom Institut für Grundlagenforschung in Seoul vor, dass diese Lösung nicht aufgeht. „Wir zeigen, dass die vorgeschlagene Quantenfeldtheorie der interagierenden Tachyonen das Lokalitätsprinzip von Interaktionen auf grundlegende Weise verletzt“, konstatiert Jodlowski in einem entgegnenden Fachartikel.

Seiner Ansicht nach gibt es deswegen wahrscheinlich keine Teilchen mit negativer Quadratmasse – und damit auch keine Tachyonen. „Die quantenmechanische Beschreibung ihrer Interaktionen ergibt keinen Sinn“, so Jodlowski. „Die angepassten Gleichungen aus dem Standardwerkzeugkasten der Quantenfeldtheorie führen zu einem unphysikalischen Verhalten.“

Damit bleibt es weiter strittig, ob die überlichtschnelllen Tachyonen nun existieren oder nicht. Immerhin scheint ihre Existenz aber nicht so unrealistisch, dass sie direkt ins Reich der Science-Fiction verbannt wurden. Stattdessen sorgen die mysteriösen Teilchen bis heute für Diskussionen unter den Physikern. (Physical Review D, 2024; doi: 10.1103/PhysRevD.110.015006; arXiv-Preprint, 2024; doi: 10.48550/arXiv.2406.14225)

Quelle: University of Warsaw, Physical Review D, arXiv,

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