Ideenquelle: Wo in unserm Gehirn sitzt die Kreativität? Lässt sie sich überhaupt verorten? Eine Antwort darauf haben nun Forschende mithilfe von EEG-Analysen gefunden. Demnach gibt es zwar kein festes Hirnareal für Kreativität, wohl aber eine weit verzweigte Schaltstelle über mehrere Hirnregionen hinweg, ohne die wir keine Ideen generieren können. Die Erkenntnisse könnten künftig auch Menschen helfen, bei denen dieses Schalternetzwerk nicht richtig funktioniert.
Die besten Ideen kommen uns manchmal plötzlich und unverhofft, während wir über etwas völlig anderes nachdenken. Wie dieser paradoxe kreative Prozess in unserem Gehirn vonstatten geht, war bisher allerdings unklar, weil er nur schwer zu erforschen ist. „Im Gegensatz zur Motorik oder zum Sehen sind höhere kognitive Prozesse wie Kreativität nicht von einer bestimmten Stelle im Gehirn abhängig“, erklärt Ben Shofty von der University of Utah. „Es gibt keinen Kreativitätscortex.”
Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Kreativität eine Gehirnfunktion mit definiertem Ablauf und Ursprung ist. So kann eine lokale Hirnverletzung infolge eines Schlaganfalls beispielsweise unsere kreativen Fähigkeiten sowohl positiv als auch negativ verändern. Das deutet darauf hin, dass es theoretisch möglich sein müsste, die neurologischen Grundlagen der Kreativität zu lokalisieren.
Blick ins Gehirn von Epilepsie-Patienten
Ein Team um Shofty und Erstautorin Eleonora Bartoli vom Baylor College of Medicine in Houston hat nun untersucht, wie verschiedene Hirnareale zusammenarbeiten, um kreatives Denken zu ermöglichen. Die von den Neurochirurgen verwendete EEG-Technik liefert mithilfe winziger, ins Gehirn implantierter Elektroden präzise Momentaufnahmen der Hirnaktivität in verschiedenen Regionen. Sie wird normalerweise bei Epilepsie-Patienten angewandt, um Anfälle im Gehirn zu lokalisieren.
Bartoli und ihre Kollegen baten für ihre Studie 13 solcher Patienten mit implantierten Elektroden, kreative neue Einsatzmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie einen Stuhl oder eine Tasse zu benennen. Zum Vergleich forderten sie die Testpersonen auf, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen – ohne konkrete Aufgabe – sowie, sich auf ein Signal auf einem Bildschirm zu konzentrieren.
Bei ihren Hirnstrom-Beobachtungen fokussierte sich das Team auf das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network, DMN). Dieses Netzwerk verbindet verschiedene Nervenzellen in unterschiedlichen Arealen der Hirnrinde und ist unter anderem beim Nichtstun, Meditieren und Tagträumen aktiv, während unser Gehirn keine spezifische Aufgabe zu lösen hat. „Es ist ein Netzwerk, das im Grunde die ganze Zeit funktioniert und unseren spontanen Bewusstseinsstrom aufrechterhält“, erklärt Shofty.
Ursprung der Kreativität lokalisiert
„Wir konnten sehen, was innerhalb der ersten Millisekunden passiert, wenn wir versuchen, kreativ zu denken“, berichtet Shofty. Tatsächlich war bei den Patienten zuallererst das DMN aktiv, während sie die Kreativitäts-Aufgabe erfüllten, wie die Aufnahmen enthüllten. Anschließend synchronisierte sich die DMN-Aktivität mit anderen Hirnarealen, die auch beim Problemlösen oder bei der Entscheidungsfindung beteiligt sind.
Die Forschenden schließen daraus, dass der Ursprung kreativer Ideen im DMN liegt und andere Hirnregionen die Ideen anschließend prüfen und bewerten.
Ohne DMN keine Kreativität
Um die Vorgänge im Default Mode Network genauer zu untersuchen, dämpften Bartoli und ihre Kollegin über die Elektroden während einem der Tests vorübergehend gezielt einzelne Teile dieses Netzwerks. Tatsächlich präsentierten die Testpersonen daraufhin weniger originelle Einsatzmöglichkeiten für die Alltagsgegenstände, verloren sich aber unverändert in Tagträumen. Das zeige, dass diese Abschnitte des DMN spezifisch und unbedingt für das kreative Denken benötigt werden, so das Team.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die kausale Rolle des DMN beim kreativen Denken“, sagt Bartoli. Bei ähnlichen, ungerichteten Denkprozessen wie dem Tagträumen ist das Netzwerk demnach ebenfalls aktiv, aber die im Test manipulierten Regionen sind nicht essenziell für diese Prozesse. Die Forschenden vermuten daher, dass Kreativität auf das Zusammenspiel des DMN mit anderen Hirnregionen angewiesen sein könnte, Tagträumen hingegen ausschließlich einzelne Teile des DMN benötigt.
Hilfe bei Depressionen
Die Ergebnisse könnten künftig möglicherweise dazu beitragen, das kreative Denken gezielt anzukurbeln. Zudem könnten sie Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen helfen, bei denen diese Regionen des Gehirns übermäßig aktiv sind, wie das Team berichtet. Das Default-Mode-Netzwerk besser zu verstehen, könnte demnach helfen, bessere Behandlungen zu entwickeln. (Brain, 2024; doi: 10.1093/brain/awae199)
Quelle: University of Utah