Anzeige
Neurowissenschaften

Wo sitzt die Kreativität in unserem Gehirn?

Hirnwellen enthüllen neuronale Schaltstelle des kreativen Denkens

Kreatives Gehirn
Wo in unserem Gehirn entsteht die Kreativität? © Bartoli et al./ Brain, 2024, doi: 10.1093/brain/awae199

Ideenquelle: Wo in unserm Gehirn sitzt die Kreativität? Lässt sie sich überhaupt verorten? Eine Antwort darauf haben nun Forschende mithilfe von EEG-Analysen gefunden. Demnach gibt es zwar kein festes Hirnareal für Kreativität, wohl aber eine weit verzweigte Schaltstelle über mehrere Hirnregionen hinweg, ohne die wir keine Ideen generieren können. Die Erkenntnisse könnten künftig auch Menschen helfen, bei denen dieses Schalternetzwerk nicht richtig funktioniert.

Die besten Ideen kommen uns manchmal plötzlich und unverhofft, während wir über etwas völlig anderes nachdenken. Wie dieser paradoxe kreative Prozess in unserem Gehirn vonstatten geht, war bisher allerdings unklar, weil er nur schwer zu erforschen ist. „Im Gegensatz zur Motorik oder zum Sehen sind höhere kognitive Prozesse wie Kreativität nicht von einer bestimmten Stelle im Gehirn abhängig“, erklärt Ben Shofty von der University of Utah. „Es gibt keinen Kreativitätscortex.”

Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Kreativität eine Gehirnfunktion mit definiertem Ablauf und Ursprung ist. So kann eine lokale Hirnverletzung infolge eines Schlaganfalls beispielsweise unsere kreativen Fähigkeiten sowohl positiv als auch negativ verändern. Das deutet darauf hin, dass es theoretisch möglich sein müsste, die neurologischen Grundlagen der Kreativität zu lokalisieren.

Kreativitätsareale im Gehirn
Farbige Punkte zeigen die Positionen aller Elektroden bei allen Patienten, farbcodiert nach Hirnregionen. Rote Punkte in den unteren Bildern zeigen die Positionen der Elektroden im „default mode network“ (DMN). © Bartoli et al./ Brain, 2024, doi: 10.1093/brain/awae199

Blick ins Gehirn von Epilepsie-Patienten

Ein Team um Shofty und Erstautorin Eleonora Bartoli vom Baylor College of Medicine in Houston hat nun untersucht, wie verschiedene Hirnareale zusammenarbeiten, um kreatives Denken zu ermöglichen. Die von den Neurochirurgen verwendete EEG-Technik liefert mithilfe winziger, ins Gehirn implantierter Elektroden präzise Momentaufnahmen der Hirnaktivität in verschiedenen Regionen. Sie wird normalerweise bei Epilepsie-Patienten angewandt, um Anfälle im Gehirn zu lokalisieren.

Bartoli und ihre Kollegen baten für ihre Studie 13 solcher Patienten mit implantierten Elektroden, kreative neue Einsatzmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie einen Stuhl oder eine Tasse zu benennen. Zum Vergleich forderten sie die Testpersonen auf, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen – ohne konkrete Aufgabe – sowie, sich auf ein Signal auf einem Bildschirm zu konzentrieren.

Anzeige

Bei ihren Hirnstrom-Beobachtungen fokussierte sich das Team auf das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network, DMN). Dieses Netzwerk verbindet verschiedene Nervenzellen in unterschiedlichen Arealen der Hirnrinde und ist unter anderem beim Nichtstun, Meditieren und Tagträumen aktiv, während unser Gehirn keine spezifische Aufgabe zu lösen hat. „Es ist ein Netzwerk, das im Grunde die ganze Zeit funktioniert und unseren spontanen Bewusstseinsstrom aufrechterhält“, erklärt Shofty.

Ursprung der Kreativität lokalisiert

„Wir konnten sehen, was innerhalb der ersten Millisekunden passiert, wenn wir versuchen, kreativ zu denken“, berichtet Shofty. Tatsächlich war bei den Patienten zuallererst das DMN aktiv, während sie die Kreativitäts-Aufgabe erfüllten, wie die Aufnahmen enthüllten. Anschließend synchronisierte sich die DMN-Aktivität mit anderen Hirnarealen, die auch beim Problemlösen oder bei der Entscheidungsfindung beteiligt sind.

Die Forschenden schließen daraus, dass der Ursprung kreativer Ideen im DMN liegt und andere Hirnregionen die Ideen anschließend prüfen und bewerten.

Ohne DMN keine Kreativität

Um die Vorgänge im Default Mode Network genauer zu untersuchen, dämpften Bartoli und ihre Kollegin über die Elektroden während einem der Tests vorübergehend gezielt einzelne Teile dieses Netzwerks. Tatsächlich präsentierten die Testpersonen daraufhin weniger originelle Einsatzmöglichkeiten für die Alltagsgegenstände, verloren sich aber unverändert in Tagträumen. Das zeige, dass diese Abschnitte des DMN spezifisch und unbedingt für das kreative Denken benötigt werden, so das Team.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die kausale Rolle des DMN beim kreativen Denken“, sagt Bartoli. Bei ähnlichen, ungerichteten Denkprozessen wie dem Tagträumen ist das Netzwerk demnach ebenfalls aktiv, aber die im Test manipulierten Regionen sind nicht essenziell für diese Prozesse. Die Forschenden vermuten daher, dass Kreativität auf das Zusammenspiel des DMN mit anderen Hirnregionen angewiesen sein könnte, Tagträumen hingegen ausschließlich einzelne Teile des DMN benötigt.

Hilfe bei Depressionen

Die Ergebnisse könnten künftig möglicherweise dazu beitragen, das kreative Denken gezielt anzukurbeln. Zudem könnten sie Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen helfen, bei denen diese Regionen des Gehirns übermäßig aktiv sind, wie das Team berichtet. Das Default-Mode-Netzwerk besser zu verstehen, könnte demnach helfen, bessere Behandlungen zu entwickeln. (Brain, 2024; doi: 10.1093/brain/awae199)

Quelle: University of Utah

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Dolmen von Menga

Geheimnis des Menga-Dolmen gelüftet

Starliner: Rückflug ohne Crew bestätigt

Wir speichern Erinnerungen in drei Kopien

Küstenschutz: Aus losem Sand wird Gestein

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Träumen

Träumen - Wenn das Gehirn eigene Wege geht...

Bücher zum Thema

50 Schlüsselideen Psychologie - von Adrian Furnham

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

Top-Clicks der Woche