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Archäologie

Antikythera-Mechanismus: Mond- statt Sonnenjahr?

Zahl der Marker am Kalenderring des "Himmelscomputers" geringer als gedacht

Antikythera-Mechanismus
Der gut 2.1000 Jahre alte Antikythera-Mechanismus gibt bis heute Rätsel auf. © Juanxi (nachbearbeitet)/ CC-by-sa 3.0

Korrigierte Zählung: Der berühmte Antikythera-Mechanismus überrascht noch immer. Jetzt haben Forscher einen Irrtum in Bezug auf den Kalenderring dieses antiken „Himmelscomputers“ aufgedeckt. Ihren Analysen zufolge trug dieser Ring nur 354 oder 355 Tagesmarker statt wie bisher angenommen 365. Der Mechanismus orientierte sich demnach nicht am Sonnenjahr, sondern am griechischen Mondjahr. Die Analysen enthüllen auch, wie unglaublich präzise die Konstrukteure vor mehr als 3.000 Jahren arbeiteten.

Er gilt als das komplexeste Gerät der Antike und als erster früher „Himmelscomputer“: Der 1901 in einem Schiffswrack entdeckte Mechanismus von Antikythera ist bis heute nicht vollständig entschlüsselt – auch, weil nur Fragmente des bronzenen Räderwerks erhalten geblieben sind. Klar scheint aber, dass das komplizierte Ensemble aus mehr als 30 Zahnrädern, Zifferblättern und Zeigern zahlreiche Funktionen in sich vereinte: Es konnte unter anderem Finsternisse und Zyklen von Sonne und Mond anzeigen, die Planetenpositionen und die Olympiaden.

Kalenderring
Der Kalenderring (Pfeil) ist in Fragment C des Antikythera-Mechanismus erhalten – aber nur zum Teil. © Francesco Bini/ CC-by-sa 4.0

Was zeigte der Kalenderring?

Eine weitere Funktion übernahm der sogenannte Kalenderring im sogenannten Fragment C des Antikythera-Mechanismus. Von diesem beweglichen, direkt neben den Tierkreiszeichen-Ring gelegenen Bauteil ist nur rund ein Viertel erhalten. Auf dem Kalenderring sind in regelmäßigen Abständen Striche eingraviert, parallel dazu weist die unter dem Ring liegende Führungsgrube regelmäßige Löcher auf – möglicherweise zur Arretierung der Tagesposition. Das erhaltene Ringviertel trägt zudem drei ägyptische Monatsnamen in griechischer Schrift.

„Deshalb galt dieser Kalenderring allgemein – ohne großes Hinterfragen – als nicht weiter bemerkenswertes Beispiel für einen ägyptischen Kalender“, erklären Graham Woan und Joseph Bayley von der University of Glasgow. Der in der Antike weit verbreitete ägyptische Sonnenkalender ging von einem Jahr mit 365 Tagen aus, das in zwölf Monate mit jeweils 30 Tagen und fünf Zwischentage unterteilt war. Tatsächlich ist jeder 30. Strich im Kalenderring etwas länger.

2020 ermittelte ein Team um den Hobby-Forscher Chris Budiselic auf Basis genauer Vermessungen und mathematischer Berechnungen, dass die Führungsgrube des Kalenderrings zwischen 347 und 367 Löcher aufweisen könnte – auf den ersten Blick scheint auch dies zu einer Einteilung nach dem Sonnenjahr zu passen.

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Modernste Astrophysik-Analysen für antike Himmelsmaschine

Doch jetzt haben Woan und Bayley diese Annahme noch einmal überprüft. Ihr Ziel war es, die Zahl der Tageslöcher im Kalenderring genauer einzugrenzen. Dafür setzten die beiden Astrophysiker statistische Methoden ein, die sie normalerweise für die Auswertung von Gravitationswellendaten der LIGO-Detektoren nutzen. „Es liegt eine schöne Symmetrie darin, dass wir Techniken adaptiert haben, mit denen wir heute das Universum erforschen, um mehr über einen Mechanismus zu erfahren, mit dem Menschen vor zwei Jahrtausenden die Himmelsabläufe verfolgten“, sagt Woan.

Mithilfe dieser Kombination aus Bayesscher Analyse, den Algorithmen des Markow-Chain-Monte-Carlo-Verfahrens (MCMC) und Stichprobenanalysen errechneten die Forscher erneut die Zahl der Tagesmarker im Antikythera-Mechanismus.

Tagesmarker
Wahrscheinlichste Zahl der Tageslöcher im Führungskanal des Kalenderrings. © Woan und Bayley / arXiV, CC-by 4.0

Mondjahr statt Sonnenkalender

Das überraschende Ergebnis: Der Kalenderring umfasst offenbar doch keine 365 Tage, sondern deutlich weniger. „Unser zu 99,9-Prozent verlässliches Intervall reicht von 351,62 und 358,86“, berichten die Forscher. Wenn sie dies auf ganzen Zahlen eingrenzen und von Rissen verdeckte Stellen berücksichtigen, dann kommen sie auf 354 bis 355 Löcher. „Die 354-Löcher-Annahme ist unseren Berechnungen zufolge 229-mal wahrscheinlicher als 360 Löcher und um Längen wahrscheinlicher als 365 Löcher“, konstatieren Woan und Bayley.

Das aber bedeutet: Die Konstrukteure des Antikythera-Mechanismus orientierten sich offenbar doch nicht am ägyptischen Sonnenjahr. Stattdessen folgte der Kalenderring dem Mondjahr, das elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr – es dauert 354 Tage. Ein solcher am Mond orientierter Kalender war im antiken Griechenland durchaus gebräuchlich, in diesem hatten die Monate 29 oder 30 Tage, angelehnt an den Zyklus der Mondphasen.

„Es gab schon früher Studien, die den Kalenderring als Repräsentation eines Mondjahres sahen. Unsere auf zwei Methoden basierenden Methoden haben die Wahrscheinlichkeit dafür nun stark erhöht“, sagt Bayley.

Unglaubliche präzise Konstruktion

Interessant auch: Ihre Analysen enthüllten auch, wie präzise die Markierungen des Kalenderrings gesetzt waren: „Der Grad der Präzision ist bemerkenswert: Die Standardabweichung in den Lochpositionen liegt seitlich bei nur 0,028 Millimetern und bei den Lochabständen bei nur 0,129 Millimetern“, berichten die Forscher. Dies erlaube auch einige Rückschlüsse darüber, wie der Konstrukteur des Mechanismus diese Marker einst setzte:

„Wahrscheinlich begann die Fertigung mit dem Einritzen eines Kreises in das Metall“, erklären Woan und Bayley. Dann nutzte der Konstrukteur diesen Kreis als Führungsrille, um seine Punze präzise auf dem Ringbogen zu platzieren und die Löcher einzuschlagen. „Der radiale Fehler wird dadurch sehr klein“, so die Forscher. Die Abstände der Löcher erforderten dagegen jedes Mal eine neue Messung -entsprechend anspruchsvoller war die Präzision in dieser Richtung.

„Diese Erkenntnisse steigern meine Bewunderung für den Antikythera-Mechanismus und die enorme Mühe und Kunstfertigkeit, die die griechischen Handwerker in ihn hineinsteckten“, sagt Bayley. „Allein für die Tagesmarkierungen mussten sie extrem genau messen und sie brauchen eine unglaublich ruhige Hand, um sie dann an der korrekten Stelle einzustanzen.“ (Horological Journal, 2024; PDF)

Quelle: University of Glasgow

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