Neurobiologie

Hummeln navigieren überraschend effektiv

Auch Insekten konstruieren aus räumlichen Erinnerungen eine mentale Karte

Hummel
Hummeln orientieren sich mithilfe einer flexiblen mentalen Karte – ähnlich wie Säugetiere, aber effizienter. © Rod Hill/ Getty images

Mentaler Kompass: Um sich zu orientieren und zum Futter oder Nest zu navigieren, verwenden Hummeln offenbar eine vektorbasierte Strategie, wie Biologen herausgefunden haben. Die pelzigen Insekten merken sich dabei ihre eigene Position und die von Bezugspunkten in Relation zu ihrem Zuhause und bilden daraus eine mentale räumliche Karte – ähnlich wie wir Menschen. Hummeln navigieren dadurch so effizient wie Säugetiere, benötigen dafür aber weniger Hirnleistung.

Säugetiere einschließlich des Menschen navigieren mit Hilfe einer mentalen Karte durch ihre Umwelt. Durch darin verankerte Fixpunkte können sie schnell zum Ziel finden und sogar Abkürzungen nehmen, auch wenn sie diese Wege zuvor nie beschritten haben. Auch Insekten, insbesondere Bienen und Ameisen, navigieren ähnlich effizient wie Säugetiere. Ob sie dafür aber ebenfalls über eine solche geistige Karte verfügen, um sich zu orientieren und an Wege zu erinnern, war bislang unklar.

Wie orientieren sich Hummeln?

Dieser Frage ist nun ein Team um Rickesh Patel von der Universität Lund in Schweden anhand von Erdhummeln (Bombus terrestris) nachgegangen. Um zu testen, wie diese zu den Echten Bienen gehörenden Insekten ihr Navigationsgedächtnis ausbilden, platzierten die Forschenden 82 farbig markierte Hummeln nacheinander an verschiedenen Stellen in einer runden, eintönigen Versuchsarena. Die Flügel der Insekten waren leicht beschnitten, um sie am Fliegen zu hindern.

Die Testarenen wurden mit polarisiertem Licht bestrahlt, das den Insekten bekanntermaßen als Orientierungshilfe dient. Die Schwingungsrichtung des Lichts bot den Hummeln damit ein Bezugsraster für ihre Bewegungen. Das Team beobachtete über eine Kamera, welche Laufwege die Tiere jeweils zum darin mittig platzierten Futter und zurück zum Eingang ihres Bienenstocks am Rand der Arena einschlugen.

Hummel im Laborversuch
Hummel am Futter nach bestandenem Navigationstest. © Rickesh Patel

Vektorbasierte Navigation

Nach einigen Versuchen erinnerten sich die Hummeln an den direkten Weg zum Futter und schlugen zielgerichtete Routen ein. Dabei navigierten sie offenbar mithilfe ihrer eigenen Position und der des Futters in Relation zu ihrem Nest, wie Patel und seine Kollegen beobachteten.

Nähere Analysen der Hummel-Bewegungsmuster deuteten darauf hin, dass sie sich anhand vektorbasierter Informationen orientierten: Sie merkten sich gewissermaßen die Richtung und Länge fiktiver Pfeile, die auf ihren Heimatort zeigen. Zur Orientierung nutzten sie jedoch auch die Landmarken in Form des polarisierten Lichts, deren Position in Relation zum Nest sie zuvor erlernt hatten, wie das Team feststellte. Das legt nahe, dass die Insekten ebenfalls eine mentale räumliche Karte anlegen.

Hummel-Navi im Langzeitgedächtnis verankert

Doch wie lange speichern die Tiere die Informationen dieser „Vektorkarte“? Um das zu testen, platzierten Patel und seine Kollegen die Hummeln in Folgeexperimenten einige Tage später direkt an der Futterquelle oder an beliebigen Positionen in derselben Arena und ließen sie von dort nach Hause, zurück zu ihrem Nest krabbeln. In diesen Tests veränderten sie zum Teil die Orientierung des polarisierten Lichts, das den Hummeln als Bezugspunkt dient.

Die jeweils eingeschlagenen Routen legen laut den Biologen nahe, dass die pelzigen Tiere sich auch nach Tagen noch an die Umgebung erinnerten und zielgerichtet, ohne Umwege gen Heimat liefen, sofern die zuvor erlernten Orientierungspunkte noch vorhanden waren. Ihr vektorbasiertes Navi ist demnach nicht nur im kurzlebigen Arbeitsspeicher, sondern auch im Langzeitgedächtnis verankert. „Wir haben gezeigt, dass diese Arbeitsgedächtnisvektoren auf das Langzeitgedächtnis übertragen werden können“, so das Team.

Neu schlägt alt

Anders sah es aus, wenn in den Tests die Fixpunkte verändert wurden. Je mehr neue Ortungsdaten die Hummeln dann bei ihren Bewegungen sammelten, desto eher ignorierten sie die älteren, nun weniger effektiven Wegbeschreibungen und bildeten parallel neue Langzeiterinnerungen mit optimaleren Wegen. Das ermöglichte ihnen nach kurzer Neuorientierungszeit, erneut effiziente Routen und Abkürzungen zu nehmen, wie das Team erklärt.

Demnach kann das Hummel-Navi offenbar sogar mehrere, abweichende Routen gleichzeitig umfassen: Die Tiere orientieren sich sowohl an den über das Arbeitsgedächtnis neu erlernten Wegen als auch an den verschiedenen über das Langzeitgedächtnis gespeicherten. „Wir zeigen, dass ein Insekt mehrere durch Pfadintegration abgeleitete Heimat-Vektoren im Langzeitgedächtnis speichern und an einem vertrauten Ort abrufen kann, um die Navigation zu steuern“, schreiben Patel und seine Kollegen.

Mentale Karte im Langzeitgedächtnis

Die Forschenden schließen aus ihren Beobachtungen, dass Hummeln die vektorbasierten Informationen zur Lage verschiedener Orte in ihrem Kurz- und Langzeitgedächtnis speichern und zu einer Art flexiblen, mentalen, räumlichen Karte kombinieren. Dies sei eine sehr effektive Navigationsstrategie, so das Team. Denn Hummeln erstellen so im Ergebnis ähnliche Karten wie die der Säugetiere, umgehen durch ihre spezielle vektorbasierte Art der räumlichen Orientierung aber die aufwendige geistige Rechenleistung, die Säugetiere für ihre Navigation aufbringen müssen. Angesichts der begrenzten Neuronenzahl im vergleichsweise kleinen Gehirn der Insekten könnten sie diese auch gar nicht aufbringen.

Hummeln könnten damit vielleicht sogar als Vorbild für neue Navigationsgeräte dienen: „Angesichts dieser Effizienz haben diese neuronalen Schaltkreise der Insekten das Potenzial, technologische Anwendungen zu inspirieren, um komplexe Navigationsaufgaben mit rechnerisch und energetisch kostengünstigen Lösungen zu bewältigen, insbesondere in Kombination mit Computertechnologie der nächsten Generation“, schreiben Patel und seine Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2402509121)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)

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