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Umwelt

Regenwälder: Wie viel Abholzung ist zu viel?

Auch degradierte Regenwälder sind teilweise noch schützenswert

Querschnitt eines gefällten Baums
Die Erkenntnisse könnten die Waldflächen erweitern, die als „erhaltenswert“ gelten. Die Studie zeigt aber auch, wie sehr der Holzeinschlag die Wälder über den Punkt hinaus degradiert, an dem es kein Zurück mehr gibt. © kirstenivatts0

Unerwarteter Spielraum: Selbst degradierte und teilweise abgeholzte Tropenwälder verfügen noch über eine überraschend große Artenvielfalt. Bis zu einer gewissen Schwelle der Abholzung können sich solche Regenwälder wieder erholen und weiter als CO2-Senke fungieren, wie nun ein Forschungsteam ermittelt hat. Für die Biodiversität und das Klima lohnt es sich demnach, auch bereits degradierte Gebiete unter Naturschutz zu stellen. Ab einem gewissen Punkt sind die Wälder jedoch tatsächlich verloren, wie die Wissenschaftler in „Nature“ berichten.

Weltweit gibt es immer weniger unberührte Regenwälder. Durch legale und illegale Brandrodung, Abholzung und Fragmentierung zugunsten von Landwirtschaft und Straßen werden sie zerstört oder degradiert. Das schadet der Biodiversität und dem Klima. Denn die tropischen Regenwälder sind wichtige CO2-Senken, kühlen die Erde und sind das Zuhause tausender Tier- und Pflanzenarten.

Aber wie schlimm ist die Abholzung tatsächlich? Bis zu welchem Punkt können die Wälder noch gerettet werden? Und ab wann ist so viel Fläche verloren, dass sich ein Regenwald nicht wieder selbst regenerieren kann?

Abholzung des Regenwaldes in Sabah auf Borneo
Abholzung des Regenwaldes in Sabah auf Borneo, Malaysia. © Zoe G. Davies

Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt in Malaysia

Diesen Fragen ist nun ein Forschungsteam um Robert Ewers vom Imperial College London nachgegangen. Dafür werteten die Biologen Daten aus 127 Studien zum Zustand der Tier- und Pflanzenwelt in einem Regenwald in Malaysia aus. Sie belegen die Entwicklung von tausenden Arten über einen Zeitraum von elf Jahren, darunter 590 Pflanzen, 88 Säugetiere, 161 Vögel, neun Reptilien, 42 Amphibien, 26 Fische und 635 Wirbellose wie Insekten.

Die Gegend im Bundesstaat Sabah auf Borneo umfasst verschiedene forstwirtschaftliche Zonen: vom absolut unberührten Regenwald über weitgehend intakte und geschützte Pufferzonen an Flüssen und teilweise bewirtschaftete Gebiete bis zu nahezu komplett in Ölplantagen umgewandelte Areale.

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Geringfügig veränderte Wälder erholen sich wieder

Die Auswertung bestätigte zunächst, dass menschliche Eingriffe in den Tropenwald immer ökologische Folgen haben – so klein die gerodete Fläche auch sein mag. Dennoch scheint es einen wichtigen Grenzwert zu geben: Wenn infolge der Abholzung in den Wäldern weniger als 29 Prozent der Biomasse verloren gegangen sind, bleibt die Biodiversität darin trotzdem weitgehend erhalten, wie das Team ermittelte.

„Wir haben festgestellt, dass viele dieser ‚verwüsteten‘ Wälder eine überraschende Artenvielfalt beherbergen“, sagt Koautor Will Pearse vom Imperial College London. Werden die Wälder, deren Abholzung unterhalb dieses Grenzwerts liegt, in Ruhe gelassen, können sie sich zudem auch meist wieder erholen, wie das Team feststellte.

Zwei Schwellenwerte für die Biodiversität

Doch den Daten zufolge gibt es noch eine weitere wichtige Schwelle: Gehen mehr als 68 Prozent der Biomasse verloren, sterben viele Pflanzen und Tiere aus oder werden durch invasive Arten verdrängt. Das schwächt das Ökosystem erheblich. Um die Biodiversität in diesen Gebieten zu erhalten, seien umfassendere Schutz- und Aufbaumaßnahmen nötig, so die Forschenden. Von allein können sich diese Regenwälder nicht wieder regenerieren.

„Die Veränderungen der biologischen Vielfalt sind unter 30 Prozent und über 70 Prozent Biomasseverlust schneller“, fasst Seniorautorin Cristina Banks-Leite, ebenfalls vom Imperial College London, die Ergebnisse zusammen. „Das deutet darauf hin, dass jede Verbesserung des Lebensraums in diesen Gebieten zu dramatischen Veränderungen der biologischen Vielfalt führen würde.“

Faustregel für Tropenwälder in Südostasien

Zwar können die exakten Zahlen für die Schwellenwerte von Region zu Region variieren, wie das Team berichtet. Doch die für Malaysia beispielhaft ermittelten Zahlen geben nun erstmals eine Orientierung und Faustregel, wie viel Unterstützung die Regenwälder in Südostasien bei der Regeneration benötigen – abhängig vom Ausmaß ihrer bisherigen Bewirtschaftung. „Wir haben jetzt einen Rahmen, um zu bewerten, wo diese Veränderungspunkte in anderen Ökosystemen liegen könnten“, so Ewers.

Die Studie gibt damit neue Anhaltspunkte für Regierungen und Entscheidungsträger, wo welche Maßnahmen am sinnvollsten eingesetzt werden sollten – beispielsweise, ob die Wälder nur passiv geschützt oder aktiv aufgeforstet werden müssen. „Im Naturschutz gibt es eine Tendenz, unberührte Wälder als die einzigen zu betrachten, in die es sich zu investieren lohnt –, dass bereits teilweise abgeholzte Wälder es nicht wert sind, betrachtet zu werden“, sagt Ewers. „Was wir gezeigt haben, ist, dass das potenzielle ‚Naturschutzgebiet‘ viel größer ist, als wir dachten.“

Kombination aus Forstwirtschaft und Naturschutz möglich

Die Erkenntnisse eröffnen nun auch neue Möglichkeiten für eine Kombination von Fortwirtschaft und Naturschutz: „Ein gewisses Maß an Abholzung kann immer notwendig sein“, sagt Pearse. „Obwohl diese Wälder nicht so ideal sind wie unberührte Wälder, können sie sich ab einem bestimmten Schwellenwert immer noch als funktionierende Ökosysteme erhalten.“

„Wir haben gezeigt, dass Flora und Fauna in bewirtschafteten und teilweise abgeholzten Wäldern innerhalb bestimmter Grenzen überleben und sogar gedeihen kann“, ergänzt Koautor Roger Kitching von der Griffith University in Australien. Wegen ihrer Artenvielfalt und ihrer Funktion als CO2-Senke seien auch diese modifizierten Wälder erhaltenswert.

Anhand der Daten wollen die Forschenden nun ein virtuelles Abbild des Tropenwaldes in Malaysia erstellen, um die Entwicklungen der Natur künftig noch besser nachvollziehen und vorhersagen zu können. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07657-w)

Quelle: Imperial College London, Nature

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