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Gesellschaft

Zwischen Autoschaden und Zahnersatz

Alles über Versicherungen

Abschleppen eines Unfallwagens
Ob Autounfall mit Totalschaden, Ausgerutschter Passant vor dem eigenen Haus oder Cyberattacke: Es gibt kaum etwas, was sich heute nicht versichern lässt. Nicht zuletzt der Beweis dafür, welch großes Erfolgsmodell „die Versicherung“ ist. © PhotoSpirit/Adobe Stock

Die aktuelle Debatte um eine Pflichtversicherung gegen Unwetterschäden rückte das Thema Versicherungen einmal mehr in den gesellschaftlichen Fokus – und das dahinterstehende Prinzip: Zahlungen leisten, in der Hoffnung, keine Gegenleistung zu benötigen, mag paradox klingen. Tatsächlich handelt es sich aber um ein echtes Erfolgsrezept, das zudem deutlich älter als die meisten heute existierenden Staaten und Nationen ist.

Das Versicherungsprinzip: „Alle für einen“ statt „jeder für sich“

Warum bietet jemand eine Versicherung an? Warum schließt jemand anderes eine Versicherung ab? Dafür ließen sich verschiedene Gründe anführen. Heruntergebrochen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner steht jedoch nur ein einziger Punkt – Mathematik.

Das mag auf manchen verwirrend wirken, aber tatsächlich haben wir es hier mit der praktischen Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun. Hinzu kommt noch das Prinzip der Risikoteilung. Das Ergebnis lässt sich ganz nüchtern darstellen:

  • Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen eines Schadensereignisses beträgt für den Einzelnen X. Für eine Gruppe von Personen ist die Wahrscheinlichkeit jedoch erheblich geringer.
  • Tritt ein Schadensereignis ein, muss der Einzelne 100 Prozent der Kosten tragen. Ist er hingegen versichert, dann belaufen sich seine Kosten lediglich auf den prozentualen Anteil, der auf ihn aus der Versichertengruppe entfällt.

Anders formuliert: Viele Personen zahlen einen Beitrag, der einem Bruchteil ihrer persönlichen Schadenskosten entspricht. Damit sichern sie alle sich gegen ein individuelles Risiko ab. Tritt ein Schadensereignis ein, werden alle Geschädigten ungeachtet ihres Anteils aus dem Topf der Versicherungsgemeinschaft bezahlt.

Diese Gemeinschafts-Gedanke sorgt für einen vollwertigen oder – je nach Versicherungsgestaltung zumindest umfassenden – Schutz, obwohl der Einzelne durch seine Beiträge (fachsprachlich Prämien genannt) vielleicht bislang deutlich weniger eingezahlt hat. Umgekehrt zahlt ein anderer mitunter jahrelang ein, hat aber das Glück, von den versicherten Schäden verschont zu bleiben.

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Dieses „Wirkprinzip“ führt uns über zum „Funktionsprinzip“ der Versicherung: Es funktioniert nur, wenn

  1. genügend Menschen für einen stets ausreichend gefüllten Topf sorgen und
  2. kein Versicherungsereignis eintritt, von dem so viele Versicherte betroffen sind, dass die Auszahlungen die Summe des Topfes überschreiten.

Das ist ein zentraler Grund, warum heute zum einen so viele verschiedene Versicherungsinstitute existieren. Es ist zum anderen ein Grund, wieso es in jeder davon zahlreiche verschiedene Versicherungen gegen alle möglichen Bedrohungen gibt, verschiedene Risikoklassen, Ausschlusskriterien, Boni, Bedingungen – zumindest bei privaten Versicherungen.

Eine (kleine) Ausnahme hiervon sind alle Versicherungen, die zum deutschen Sozialversicherungssystem gehören:

  • Bei privaten Versicherungen steht hinter der Prämienberechnung stets eine individuelle Kalkulation. Dadurch zahlt derjenige, der ein größeres Risiko darstellt, mehr als derjenige, dessen Risiko geringer bewertet wird – vereinfacht formuliert.
  • Bei den Sozialversicherungen greift dagegen das Solidaritätsprinzip. Hier ist der einzige Gradmesser der Prämienhöhe die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Person. Individuelle Risikofaktoren werden nicht berücksichtigt. Das soll insbesondere eine vollwertige, finanziell tragbare Versicherung für alle ermöglichen, selbst wenn Einzelne beispielsweise ein deutlich höheres Krankheitsrisiko haben.

Die Tätigkeit einer Versicherung – mehr als Geldverwaltung und Anspruchsprüfung

Die Versicherung ist die Institution, mit der man einen Vertrag über eine Leistung X im Fall Y eingeht. Allerdings ist das Aufgabenspektrum dieser Assekuranzen deutlich breiter aufgefächert:

  1. Bedarfsanalyse: Die meisten privaten Versicherungen sind stets auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. Daher analysieren sie, welche „neuen Versicherungen“ sich als Geschäftsmodell eignen könnten. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit sind etwa Cyberversicherungen – Schutz gegen Internetkriminelle.
  2. Risikoanalyse: Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird ein Leistungsfall eintreten? Wie viel müsste die Versicherung dann bezahlen – und wie hoch müssen dementsprechend die Prämien ausfallen? In dieser Kategorie geht alles darum, mit Wahrscheinlichkeiten und Beträgen zu kalkulieren.
  3. Geldverwaltung und -auszahlung: Der für die meisten Versicherungsnehmer spürbarste Wesenskern der Assekuranzen dreht sich darum, auf regelmäßige Zahlungen zu achten und im Leistungsfall eine Auszahlung an den Versicherungsnehmer in die Wege zu leiten. Dazu gehört auch eine sehr sorgfältige Kapitalanlage, damit jederzeit genügend Mittel vorhanden sind, um den Verpflichtungen nachzukommen. Dicht verbunden damit ist ein weiteres Sachgebiet, die Ermittlung und Verifizierung.
  4. Ermittlung und Verifizierung: Versicherungen müssen zwangsweise weite Wege gehen, um Betrugsversuche aufzudecken. Daher analysieren sie insbesondere weniger eindeutige Fälle besonders intensiv, mitunter sogar mit Test- und Prüflaboren, bei denen die geschilderten Situationen akribisch nachgestellt werden.

Damit ist die (deutsche) Versicherungswirtschaft ein riesiges Business. 2023 etwa nahm die Branche insgesamt knapp 225 Milliarden Euro ein – musste aber davon 200 Milliarden Euro als Leistungen auszahlen.

Leib, Leben, Sachwerte: Die wichtigsten Gruppen von Versicherungen

Sofern es eine hinreichend große Zielgruppe gibt und diese zum kalkulierten Risiko passt, gibt es kaum Grenzen dessen, was abgesichert werden kann. Das allerdings sorgt für eine ziemlich unübersichtliche Vielfalt. Etwas einfacher wird es, weil alle möglichen Versicherungen sich zu einigen Gruppen zusammenfassen lassen:

  1. Haftpflichtversicherungen: Sie schützen Versicherte gegen Ansprüche Dritter, die durch fehlerhaftes Handeln oder Unterlassung seitens des Versicherten entstanden. Versichert sind typischerweise Sach- und Personenschäden sowie unechte Vermögensschäden. Letztere sind eine Auswirkung eines Sach- oder Personenschadens – etwa ein Verdienstausfall, der durch eine Verletzung entstand.
  2. Personenversicherungen: Sie versichern Krankheiten und andere Gefahren, die dem Versicherten selbst entstehen könnten. Im Leistungsfall werden beispielsweise Behandlungen bezahlt oder regelmäßige Renten ausgezahlt.
  3. Rechtschutzversicherungen: Sie greift immer dann, wenn der Versicherte in irgendeiner Form Rechtswege bestreiten muss. Dazu gehören beispielsweise Anwalts- und Gerichtskosten, Zeugenentschädigungen oder die Kosten für Gutachten.
  4. Sachversicherungen: Hierbei werden bewegliche und unbewegliche Sachwerte eines Versicherten geschützt. Tritt ein Schaden auf, dann ist also der Versicherte der Geschädigte und bekommt diesen ersetzt.
  5. Vermögensversicherungen: Hiermit werden in aller Regel sogenannte echte Vermögensschäden Das sind finanzielle Schäden, die Dritten unmittelbar durch das Handeln des Versicherten entstanden. Dieser Schutz ist hauptsächlich als beruflicher Schutz für irgendwie finanziell beratende Selbstständige nötig – etwa Steuer- oder Anlageberater.
Sturz auf einer vereisten Treppe
Haftpflichtversicherungen sind die einzige Versicherungsgruppe, die ihre Versicherten nicht gegen eigene Schäden, sondern schadbedingte Ansprüche Dritter schützen – und somit eine enorme Breitenwirkung erzielen. © Astrid Gast/Adobe Stock

Manche Versicherungen können durchaus in mehreren Kategorien liegen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich die Kfz-Versicherung. In ihrer Basis-Ausführung ist sie eine klassische Haftpflichtversicherung, die also lediglich die Schäden Dritter zahlt. Wird jedoch noch zusätzlicher Teil- oder Vollkaskoschutz gebucht, dann ergeben sich weitere Leistungen im Schadensfall und der Versicherungsnehmer bekommt ebenso Schäden an seinem Fahrzeug ersetzt.

Das ist ein Grund dafür, warum Glasschäden in der Regel kostenlos repariert werden. Ist ein Austausch der beschädigten Scheibe notwendig, muss lediglich ein Betrag in Höhe der Selbstbeteiligung entrichtet werden. Die Kfz-Versicherung ist dann ebenso eine Sachversicherung.

Weiter unterteilen könnte man diese Versicherungen noch in solche für Privatpersonen und Unternehmen bzw. Selbstständige. Ebenfalls ist die deutsche Sozialversicherung ein Sonderfall. Sie trägt zwar viele Merkmale einer typischen Personenversicherung, ist aber durch das dahinterstehende Prinzip völlig anders aufgebaut.

Wichtig: Abseits der Sozialversicherung handelt es sich grundsätzlich um private Voll- oder Zusatzversicherungen. Daher gibt es hier keinerlei Verpflichtungen, solche Versicherungen abzuschließen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Fahrzeugversicherungen (eine Haftpflicht ist Grundvoraussetzung für die Zulassung eines Kraftfahrzeugs) sowie einige Pflichtversicherungen in diversen Berufen.

Rückversicherer: Die Versicherungen für Versicherungen

Im Vertragsrecht gilt „Vertrag ist Vertrag“. Eine Versicherung muss deshalb beim Eintreten eines definitionsgemäßen Leistungsfalls zahlen. Hier sei auf die oben verlinkten Zahlen der Versicherungswirtschaft verwiesen: In vielen Jahren passen die Einnahmen gerade eben zu den schadensregulierenden Ausgaben. In einigen Versicherungsbereichen sind die Ausgaben sogar häufig größer.

Im Normalfall können Assekuranzen derartiges durch eigene Rücklagen, Kredite usw. selbst abfedern. Da allerdings Versicherungen Wirtschaftsunternehmen sind, kann es zu Situationen kommen, in denen die auszuzahlenden Leistungen die finanziellen Möglichkeiten deutlich übersteigen – etwa Großschadensereignisse. Als beispielsweise unlängst ein Schiff eine Brücke in Baltimore rammte und zum Einsturz brachte, summierte sich der Schaden auf geschätzt 2 bis 4 Milliarden Dollar.

Bei solchen Fällen treten Rückversicherer auf den Plan. Das sind buchstäblich „Versicherungen, bei denen sich Versicherungen versichern“. Meist übernimmt eine Rückversicherung einen Teil der Schadensregulierung. Im Gegenzug wird sie an den Prämien beteiligt. Also 1:1 das gleiche Prinzip, nur auf einer viel größeren Ebene, bei der Assekuranzen die Versicherungsnehmer sind.

Zwischen Seedarlehen und Zünften: Die Frühgeschichte der Versicherungen

Strenggenommen war bereits die Lebensweise der Urmenschen im Kern eine Versicherung: Hier übernahm die Gruppe in Fällen, in denen der Einzelne nicht (mehr) genügend leisten konnte. Allerdings dauerte es, bis sich Versicherungen nach heutigem Verständnis etablierten.

Der „Urvater“ aller Versicherungen entstand nach Stand der heutigen Forschung im antiken Griechenland, mindestens 500 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung. Es war die Zeit, in der sich die ersten großen Seefahrernationen entwickelten. Seeleute und Schiffsbauer waren fähige Spezialisten. Die Schiffe waren komplex und teuer in Herstellung und Betrieb – und beförderten nicht minder kostspielige Waren.

In diesem Klima entstand das sogenannte Seedarlehen. Das ist keine „echte“ Versicherung, sondern eher ein Kredit. Es funktionierte folgendermaßen:

  • Ein Händler nahm ein Darlehen auf. Dieses diente dazu, an einem anderen Ort Waren und deren Transport per Schiff zu finanzieren. Dafür erhielt der Kreditgeber als Gläubiger einen gewissen Zinssatz.
  • Der Händler verpflichtete sich, den Kredit samt Zinsen zurückzuzahlen, sobald Schiff und Ware sicher im Zielhafen ankamen und die Ware verkauft war.

Was dieses Prinzip, einer Art Wagniskapital, zur Versicherung machte, war dieser Passus: Ging das Schiff unter oder entstand ein anderweitiger Verlust, musste der Schuldner weder Kredit noch Zinsen zurückzahlen.

Das Römische Reich übernahm diese Praxis und führte sie bis zum Zusammenbruch fort. Als jedoch das weströmische Reich unterging, entstand etwas Neues: Im Reich der Germanen bildeten sich ab zirka dem 5. Jahrhundert die ersten Zünfte (= Zusammenschlüsse von Handwerksmeistern) und Gilden (= Zusammenschlüsse von Kaufleuten).

Eine der vielen Funktionen dieser ab dem Frühmittelalter stark aufblühenden Zusammenschlüsse bestand darin, ihren Mitgliedern Schutz zu gewährleisten. In den damaligen Gesellschaften gab es keinerlei staatlichen Schutz gegen typische Schäden wie Unfallfolgen, Brände, Krankheiten, Todesfälle etc. Daher gehört es zum Wesenskern vieler Zünfte und Gilden, durch regelmäßige Beitragszahlungen derartigen Schutz zu bieten – freilich nur ihren Mitgliedern.

Zwar waren diese Zusammenschlüsse keine wirtschaftlich operierenden Versicherungen. Dennoch ähnelte ihr Leistungsspektrum verblüffend demjenigen heutiger Versicherer: Alle zahlen ein, um im Schadfall entschädigt zu werden. Auf diese Weise existierten bereits im Frühmittelalter leistungsfähige Sach- und Personenversicherungen.

Brandkassen, Seeversicherungen und das Christentum

In der damaligen Zeit waren die größten finanziellen Risiken die, die durch den Warentransport – speziell zur See – sowie durch Brände entstanden. Letzteres insbesondere durch Neugründung und starkes Anwachsen von Städten quer durch ganz Europa.

Gleichzeitig bekam die Kirche eine immer größere weltliche Macht. Gemäß ihren Glaubensgrundsätzen waren das Verleihen von Geld und das Erheben bzw. Auszahlen von Zinsen absolut abzulehnen. 1234 verbot Papst Gregor IX Zinsen deshalb rundweg. In diesem Klima konnte nicht nur das allgemeine Prinzip von Versicherungen gedeihen, sondern „die Versicherung“ als ein eigenständiges wirtschaftliches Unternehmen.

  • Nach heutigem Wissensstand begannen abermals die Gilden und Zünfte: Einige von ihnen boten den zuvor nur Mitgliedern zustehenden Schutz auch zahlungskräftigen Außenstehenden an.
  • Direkt beeinflusst vom päpstlichen Zinsverbot entwickelten insbesondere Kaufleute auf dem Gebiet des heutigen Italiens das bis heute gültige Prinzip der Prämien mit festgelegten Bedingungen darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Leistung zu erfolgen hatte.

Das alles begann bereits im Mittelalter und zog sich bis in die frühe Neuzeit hinein. Allerdings sind sich viele Wissenschaftler über eines einig: Verschiedene Verheerungen der damaligen Jahrhunderte wirkten sich durchaus „bremsend“ aus. Namentlich die große Pestepidemie 1348 bis 1353 sowie der Dreißigjährige Krieg 1618 bis 1648.

Doch die Grundlagen waren da. Leider sorgte jedoch kein kleiner „Schubser“, sondern eine große Katastrophe für den endgültigen Durchbruch: 1666 brannte London in einer mehrtägigen Feuersbrunst weitestgehend ab. Der Höhepunkt einer im Mittelalter begonnenen Zuspitzung:

  • enormes Städtewachstum und -verdichtung
  • kaum Bauvorgaben
  • kein organisiertes Feuerwehrwesen
  • primäre Verwendung von Holz als Baumaterial
  • kein organisiertes Schornsteinfegerwesen
  • viele offene Feuerstätten

Diese Mixtur hatte bereits seit dem frühen Mittelalter immer wieder kostspielige Verheerungen angerichtet, die den Einzelnen finanziell völlig überfordert hatten. Erst das Abbrennen der damals größten Stadt der Welt läutetet ein Umdenken ein.

Noch im 17. Jahrhundert entstanden auch auf deutschem Boden die ersten Brandversicherer. Etwa 1676 die Hamburger Feuerkasse, bis heute eine der ältesten Assekuranzen der Welt. In zahlreichen Ländern und Regionen schossen ähnliche Brandversicherer wie Pilze aus dem Boden. Vielfach waren sie von der jeweiligen Obrigkeit als Pflichtversicherung definiert. Bedeutet, beispielsweise jeder Bewohner einer Stadt musste darin einzahlen.

Unverbrüchlich mit dem Aufkommen dieser Versicherungen ist die Entwicklung des Feuerwehr- und Schornsteinfegerwesens verknüpft, auch staatlicherseits. Unter anderem förderten die Brandkassen die Errichtung gemauerter Schornsteine (anstelle hölzerner Rauchabzüge) und die Anschaffung von Löschausrüstung.

Die Wirkung war enorm: Die Zahlen von Bränden gingen innerhalb kurzer Zeit spürbar zurück – nicht zuletzt unterstützt durch das Aufkommen von Bauvorschriften. Ebenso zeigte sich die Lukrativität einer Versicherung. Im Verlauf der 1700er Jahre entstanden deshalb immer mehr Assekuranzen und Ideen, um zahlreiche andere materielle und immaterielle Dinge abzusichern.

Noch stärker befeuert wurde dieser neue Wirtschaftszweig, als mit der Industrialisierung die ersten Fabriken und anderen Großbetriebe entstanden. Hier, wo es um zuvor ungekannte Sachwerte und Investitionssummen ging, war nicht nur der Bedarf groß, sondern konnten Versicherungen effektiv über die Märkte an der Geldvermehrung agieren.

Die Industrialisierung war demnach ebenfalls für die Entwicklung einer gänzlich neuen Versicherungsform verantwortlich:

Historische Ansicht einer britische Fabrikhalle
Ein zentraler Grund für das Aufkommen der Sozialversicherung war der Wunsch, gesellschaftspolitischen Sprengstoff zu neutralisieren – entstanden fast ausschließlich durch die Industrialisierung. © Archivist/Adobe Stock

Die Sozialversicherung: Revolution über das Versicherungswesen hinaus

Als die Industrialisierung Fahrt aufnahm, hatten Gilden und Zünfte seit fast tausend Jahren ihre Mitglieder gegen die Auswirkungen von Krankheit, Alter und anderen Umständen abgesichert. Mit der Industrialisierung entstand jedoch eine völlig neue „Klasse von Mensch“ – die des Arbeiters.

Diese Personen waren schlichtweg nicht so organisiert wie Handwerker oder Händler. Und ihre Zahl schwoll insbesondere in Europa massiv an. Gleichzeitig gab es kaum Arbeitsschutz, keinerlei Krankheitsregelungen und keine sonstige Absicherung. Die Folge: Heerscharen von Menschen, die, sobald sie nicht wie gewohnt arbeiten konnten, direkt von Verelendung bedroht waren. Nur in wenigen Berufen, etwa bei den Bergleuten, gab es durch Knappschaften eine Versorgung.

Das barg enorme gesellschaftliche Brisanz. Sie war groß genug, um insbesondere in Deutschland die adligen Herrschenden wachzurütteln. Schon die Revolution 1848 hatte bewiesen, wie groß die Unzufriedenheit war. Und generell war Mitte des 19. Jahrhunderts die Gefahr für die herrschende Klasse groß. Nicht zuletzt, weil sich unter der Arbeiterschaft sozialistische Ideen wie ein Lauffeuer verbreiten konnten.

Aus Sicht der heutigen Wissenschaft hatte es deshalb weniger mit reiner Menschenfreundlichkeit zu tun, als vielmehr machtstrategischem Kalkül, was im weiteren Verlauf der 1800er hierzulande geschah. Nachdem Preußen bereits 1845 die Gründung von Krankenkassen für Arbeiter und Angestellte genehmigt hatte, ging es speziell nach der Reichsgründung 1871 Schlag auf Schlag: Mit der Kaiserlichen Botschaft 1881 begann eine nur wenige Jahre währende Epoche, innerhalb der Deutschland das erste moderne Sozialversicherungswesen erhielt:

  • gesetzliche Krankenversicherung
  • Rentenversicherung
  • Unfallversicherung

Dazu noch verschiedene andere Details wie etwa Mutterschutz, Invaliditätsrenten, die Trennung von privater und gesetzlicher Versicherung. Bis 1891 stand in groben Zügen das Fundament, auf dem die deutsche Sozialversicherung bis heute ruht.

Im Vergleich mit anderen Staaten war das ein Meilenstein. Keine andere Nation hatte auch nur ansatzweise ein dermaßen umfassendes staatliches Sozialsystem. Kritiker gab es damals zuhauf. Aber der Erfolg strafte sie Lügen. Im Verlauf der folgenden Jahre führten viele andere Nationen ähnliche Systeme ein. Nicht zwingend 1:1 kopiert, aber dennoch nach dem Muster eines umfassenden staatlichen Grund-Schutzes im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall, Alter oder Tod.

Letzten Endes war die Entwicklung einer solchen Sozialversicherung mitverantwortlich für das Entstehen von modernen Staaten – wodurch der Wandel weit über das Versicherungswesen hinausging.

Etwas Mathematik zum Schluss: Wie sich Versicherungsprämien berechneten

Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein funktionierte das ganze Versicherungswesen sprichwörtlich „Pi mal Daumen“: Es gab keinerlei statistische Grundlagen, man arbeitete mit Erfahrungswerten mehr schlecht als recht. Heute ist das völlig anders – schon seit langer Zeit.

Moderne Versicherungen nutzen wie kaum eine andere Organisation so sehr Statistiken, Datensätze und mathematische Grundlagen, um äußerst nüchtern die Höhe von Prämien, Risiken usw. zu beziffern. Verrechnet werden hierbei:

  1. Die Risikoprämie. Das ist der nötige (durchschnittliche) Betrag, der zur Erfüllung der Leistung nötig ist.
  2. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Versicherungsfall. Typischerweise wird mit historischen Datensätzen gearbeitet.
  3. Die Betriebskosten, die für das allgemeine Betreiben des Versicherungsunternehmens entstehen.

Das ergibt die sogenannte Netto-Prämie, also eine Preisuntergrenze, die nicht unterschritten werden kann, weil ein Versicherer sonst nicht mehr wirtschaftlich operiert. Typischerweise wird noch ein Sicherheits-Zuschlag hinzugerechnet. Das erhöht die insgesamte „Schlagkraft“ eines Versicherers, weil weniger Verlustgeschäfte zu befürchten sind – also Fälle, in denen mehr gezahlt werden muss als zuvor eingenommen wurde.

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