Kein Virus mehr nachweisbar: Durch eine Stammzelltransplantation ist in Berlin erneut ein HIV-Patient geheilt worden – das Aids-Virus ist in seinen Zellen nicht mehr vorhanden. Weltweit ist er der erst siebte Fall einer solchen Heilung dank Knochenmarks-Stammzelltransplantation. Überraschenderweise klappte seine Heilung, obwohl die Spenderzellen nicht vollständig gegen HIV immun waren. Zwar ist die Methode nicht breitentauglich, der aktuelle Fall könnte aber neue Ansatzpunkte für Therapien liefern.
Der Kampf gegen Aids und HIV hält an, denn noch immer ist eine Infektion mit dem HI-Virus nicht heilbar. Zwar können moderne Medikamente die Virenlast unter die Nachweisgrenze drücken und so auch die Übertragung des Virus verhindern. Das Aids-Virus bleibt aber im Körper und erfordert eine lebenslange Einnahme der Mittel. Auch einen Impfstoff gegen HIV gibt es bisher nicht – trotz einiger im Tierversuch vielversprechender Kandidaten.
Nur gut eine Handvoll HIV-infizierte wurden bisher komplett geheilt. Weil sie zusätzlich zu ihrer HIV-Infektion an einem Blutkrebs litten, mussten sie sich einer Knochenmarks-Transplantation unterziehen. Dies nutzten die Mediziner, um Spender zu suchen, bei denen der sogenannte CCR5-Rezeptor auf den Immunzellen so mutiert ist, dass das Aids-Virus nicht eindringen kann. Rund ein Prozent der Menschen in Europa trägt diese Delta-32-Mutation.
Spenderzellen nur halb mutiert
Jetzt ist einem Team um Christian Gaebler von der Charité – Universitätsmedizin Berlin erneut die Heilung eines HIV-Patienten geglückt – aber mit einer modifizierten Methode. Der heute 60-jährige Patient war ähnlich wie die früheren Fälle an einem Blutkrebs, einer akuten myeloischen Leukämie, erkrankt und benötigte daher eine Knochenmarks-Transplantation. Anders als seine Vorgänger erhielt er jedoch keine vollständig mutierten und daher gegen HIV-immunen Stammzellen.
„Weil es für die Stammzellspende leider keine geeignete HIV-immune Person gab, haben wir eine Spenderin ausfindig gemacht, die auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle trägt“, erklärt Olaf Penack, Oberarzt an der behandelnden Klinik. „Das ist der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekommt. Das Vorhandensein beider Rezeptor-Versionen verleiht allerdings keine Immunität gegen das HI-Virus.“
Keine Aids-Viren mehr nachweisbar
Eigentlich hätte die Stammzelltherapie daher zwar gegen die Leukämie, nicht aber gegen das HI-Virus helfen dürfen – dennoch funktionierte es: Obwohl der Patient seit dem Jahr 2018 die antiviralen Medikamente abgesetzt hat, ist seit der Stammzellübertragung kein HI-Virus mehr nachweisbar. „Die jetzt mehr als fünfjährige virusfreie Beobachtungszeit deutet darauf hin, dass das HI-Virus aus dem Körper des Patienten tatsächlich komplett entfernt werden konnte“, sagt Penack. „Wir sehen ihn deshalb als von seiner HIV-Infektion geheilt an.“
Damit ist dieser Mann der zweite „Berliner Patient“ und weltweit erst der siebte Fall überhaupt, der von einer HIV-Infektion geheilt wurde. Dieser Erfolg kam selbst für das Forschungsteam unerwartet: „Dass die Heilung gelang, obwohl die Stammzellspenderin nicht immun gegen das HI-Virus war, ist äußerst überraschend“, betont Gaebler. „Bisherige Stammzelltransplantationen ohne immunen Spender führten dazu, dass sich das HI-Virus nach wenigen Monaten wieder vermehrte.“
Ursache des Erfolgs noch ungeklärt
Warum die Stammzelltransplantation zu einer Heilung geführt hat, obwohl das Virus sich bei vergleichbaren Fällen mit nur teilmutierten CCR5-Rezeptoren wieder vermehrte, ist noch unklar. Das Team vermutet, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten verdrängt haben. „Mit dem Austausch des Immunsystems haben wir offenbar alle Virus-Verstecke zunichte gemacht, sodass das HI-Virus die gespendeten, neuen Immunzellen nicht mehr infizieren konnte“, erklärt Gaebler.
In diesem Fall wäre die Heilung nicht primär auf die genetische CCR5-Ausstattung der Stammzellspenderin zurückzuführen, sondern darauf, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten beseitigt haben“, so Gaebler. Dieser Effekt könnte bei dem HIV-Patienten dadurch begünstigt worden sein, dass die neuen Immunzellen vergleichsweise schnell die alten, infizierten ersetzten.
Denkbar wäre aber auch, dass ein noch unbekannter Faktor diese Heilung ermöglichte: „Vielleicht verfügt aber auch das Immunsystem der Spenderin über besondere Eigenschaften, wie beispielsweise besonders aktive natürliche Killerzellen, die dafür sorgen, dass schon eine geringe HIV-Aktivität erkannt und beseitigt wird“, mutmaßt Gaebler.
Nicht massentauglich, aber vielleicht eine erste Spur
Trotz dieses Erfolgs und der Heilung des Patienten ist jedoch auch klar, dass die bei ihm durchgeführte Behandlung nicht für den Masseneinsatz bei den weltweit rund 39 Millionen HIV-infizierten Menschen geeignet ist. Denn die Stammzelltransplantation ist ein riskanter, belastender Eingriff, den rund zehn Prozent der Patienten nicht überleben. Er kommt deshalb nur bei schwerwiegenden Fällen von Blutkrebs zum Einsatz. Dennoch hoffen die Forschenden, aus ihrem aktuellen Fall, dem „zweiten Berliner Patienten“, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die auch der großen Masse der HIV-infizierten zugutekommen könnten.
„Sobald wir besser verstehen, welche Faktoren beim zweiten Berliner Patienten zur Entfernung aller HIV-Verstecke beigetragen haben, lassen sich die Erkenntnisse hoffentlich für die Entwicklung neuartiger Behandlungskonzepte wie zum Beispiel zellbasierter Immuntherapien oder therapeutischer Impfstoffe nutzen“, erklärt Gaebler. „Unser Ziel ist weiterhin, HIV-Infektionen in Zukunft nicht nur im Einzelfall, sondern in der Breite heilen zu können.“ (Welt-Aids-Konferenz 2024, abstract)
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin