Physik

Kommt bald der Myonen-Beschleuniger?

Neue Methode ermöglicht Fokussierung der schweren Elektronen-"Verwandten"

Myonenstrahl
Verdichtung und Fokussierung des Myonenstrahls für zwei verschiedene Ausgangs-Strahldicken. © MICE Collaboration/ Nature Physics, CC-by 4.0

Technischer Durchbruch: Physikern ist es erstmals gelungen, einen Strahl aus Myonen zu fokussieren und zu verdichten – den kurzlebigen, schweren „Brüdern“ des Elektrons. Die nun demonstrierte Methode der „Ionenkühlung“ schafft damit eine wichtige Voraussetzung für Teilchenbeschleuniger der nächsten Generation. Denn Myonen können die gleiche Kollisionsenergie mit viel weniger Anlauf und Kosten erreichen als der Large Hadron Collider (LHC) oder große Elektronenbeschleuniger.

Das Myon ist der „schwere Bruder“ des Elektrons – und ein für Physiker besonders spannendes Teilchen. Denn es teilt viele Merkmale mit dem Elektron, darunter die negative Elementarladung, hat aber eine rund 200-fach größere Masse und vermittelt mehr Energie. Myonen durchdringen dadurch selbst Beton oder Stein und können verborgene Strukturen enthüllen – ob Gänge und Kammern in der Cheops-Pyramide oder das Innenleben von Atomreaktoren. In der Physik können Myonen dagegen Abweichungen vom Standardmodell aufdecken.

LHC
Der Large Hadron Collider (LHC) am CERN ist der zurzeit leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger weltweit. Doch seine Protonenkollisionen reichen noch immer nicht aus, um bestimmte Fragen zu klaren. © CERN/ CC-by 4.0

Bessere Beschleuniger gesucht

Doch es gibt noch einen Bereich, in dem Myonen besser geeignet wären als ihre leichteren „Brüder“: in Teilchenbeschleunigern. Bisher werden in den leistungsstärksten Anlagen wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN meist Protonen beschleunigt und kollidiert. Doch diese Atomkern-Bausteine sind zusammengesetzte Teilchen und übertragen daher nur einen Teil ihrer Masse und Energie auf die Kollision. Um höhere Energien zu erreichen, müssen die Beschleunigerringe daher enorme Größen haben.

Deutlich „einfacher gestrickt“ sind dagegen echte Elementarteilchen wie Elektronen oder Myonen. Deshalb werden viele Experimente mit Kollisionen von Elektronen und Positronen durchgeführt. Der Nachteil hierbei: Weil die Elektronen sehr leicht sind und beim Beschleunigen einen Großteil ihrer Energie als Synchrotronstrahlung verlieren, sind ihre Kollisionen weit energieärmer als die der Protonen.

Zwei Hindernisse auf dem Weg

An diesem Punkt kommen die Myonen ins Spiel: „Ein Myonen-Collider könnte Multi-Teraelektronenvolt-Energien und präzise zentrierte Kollisionen ermöglichen, käme aber mit weit kleineren Anlagen aus“, erklären Paul Bogdan Jurj vom Imperial College London und seine Kollegen von der MICE-Kollaboration (Muon Ionization Cooling Experiment). So könnte ein Myonen-Beschleuniger im Tunnel des LHC genauso hohe Energien erreichen wie in einem 100-Kilometer-Ring.

Der Haken allerdings: Myonen sind instabil und zerfallen schon nach rund zwei Mikrosekunden. Sie bis zur Kollision zu einem schnellen, ausreichend dichten und gebündelten Strahl zu formen, ist daher eine Herausforderung. Physiker lösen das Zeitproblem, indem sie erst einen Protonenstrahl beschleunigen und ihn auf ein „Zwischenziel“ schießen. Dies erzeugt dann wiederum einen Strahl aus Mesonen – Teilchen aus einem Quark und einem Antiquark – die dann im Flug zu Myonen zerfallen.

Ein Verdichter für Myonen

Jetzt ist dem Team der MICE-Kollaboration ein entscheidender Schritt auch zur Lösung des Bündelungs-Problems der Myonen gelungen. Sie haben einen Strahl von Myonen erstmals bis auf zwei Millimeter Dicke komprimiert und verdichtet. Gleichzeitig erwies sich dieser Myonenstrahl auch als stärker geordnet, wie die Physiker berichten. Möglich wurde dies mit der Methode der sognannten Ionen-Kühlung am MICE-Experiment.

Im Experiment wird der noch unfokussierte Myonenstrahl durch eine Abfolge von zwölf supraleitenden Magnetspulen geleitet. Diese halten ihn auf Kurs und beschleunigen ihn gleichzeitig. In der Mitte dieser Teilchenstrecke liegt ein Absorber aus Lithiumhydrid (LiH) oder Lithiumwasserstoff (LiH2), der vor allem weit außen liegende oder in ihren Merkmalen stark abweichende Myonen abfängt oder umlenkt.

MICE-Experiment
Aufbau des MICE-Experiments © MICE Collaboration/ Nature Physics, CC-by 4.0

Wichtiger Schritt auf dem Weg zum Myonen-Collider

Wie die Messungen ergaben, entsteht durch diese Technik ein stärker fokussierter, homogenerer Myonenstrahl, der nun von den folgenden Magnetspulen weiter beschleunigt werden kann. „Dieser Machbarkeitsbeweis ist eine wunderbare Nachricht für die Teilchenphysik-Gemeinschaft“, sagt Jurj. Denn das Experiment demonstriere, dass die Ionenkühlung von Myonen funktioniere und fokussierte Myonstrahlen erzeugen könne.

Noch reicht die im Test erzielte Fokussierung auf zwei Millimeter zwar für einen Myonen-Beschleuniger nicht aus, Wie die Physiker erklären, lassen sich aber noch dichtere, schmalere Strahlen durch mehrere solcher Absorber-Zellen hintereinander erreichen. „Das klar positive Resultat dieses Versuchs gibt uns die nötige Sicherheit, um nun mit größeren Beschleuniger-Prototypen weiterzumachen“, erklärt MICE-Sprecher Ken Long vom Imperial College London. Die Physiker sind bereits dabei, diese größere Myonen-Anlage, den Muon Cooling Demonstrator, am Forschungszentrum CERN aufzubauen.

Positiv sieht auch der nicht an dem Experiment beteiligte Physiker Masashi Otani vom Hochenergie-Forschungszentrum KEK in Japan die jüngsten Ergebnisse: „Diese Errungenschaft der MICE-Kollaboration repräsentiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Myonen-Collider“, kommentiert Otani. „Diese Fortschritte werden nicht nur der Teilchenphysik zugutekommen, sondern auch anderen Forschungsgebieten.“ (Nature Physics, 2024; doi: 10.1038/s41567-024-02547-4)

Quelle: Nature Physics, Imperial College London

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