Evolution

Frühe Säugetiere lebten in Zeitlupe

Einzigartige Fossilien bieten Einblick in die Säugetierwelt vor 166 Millionen Jahren

Ur-Säuger
Der Lebenszyklus früher Säugetiere sah offenbar ganz anders aus als bei heutigen Säugetieren derselben Größe. © Maija Karala

Frühe Säugetiere ähnelten zwar den heutigen Mäusen, aber ihr Lebensablauf war komplett anders – die Ur-Säuger lebten gewissermaßen in Zeitlupe, wie Paläontologen in „Nature“ berichten. Schottische Fossilienfunde aus der Zeit vor 166 Millionen Jahren zeigen demnach, dass Ur-Säuger deutlich langsamer heranwuchsen als ihre heutigen Nachfahren gleicher Größe. Dafür wurden sie aber auch erheblich älter.

Ob Blauwal, Giraffe, Wolf oder Mensch: Mit über 6.400 verschiedenen Spezies beherrschen Säugetiere den Planeten, doch das war nicht immer so. Als vor 225 Millionen Jahren die ersten Vertreter dieser Tiergruppe entstanden, lebten sie zunächst im Schatten der Dinosaurier. Die winzigen, mausähnlichen Ur-Säuger bewegten sich wahrscheinlich bevorzugt im Schutze der Nacht fort und verkrochen sich tagsüber in Unterholz und Höhlen. Doch über ihre genaue Lebensweise ist aufgrund mangelnder und unvollständiger Fossilien nur wenig bekannt.

Ein mausartiges Gespann

Nun bieten zwei außergewöhnlich gut erhaltene Säugetier-Fossilien von der schottischen Isle of Skye neue Einblicke in das Leben der frühen Säugetiere. Es handelt sich bei den Funden um Relikte der mausgroßen Spezies „Krusatodon kirtlingtonensis“, die im mittleren Jura vor 166 Millionen Jahre lebte. Die Fossilien stammen von einem ausgewachsenen Exemplar und einem Jungtier.

Das Skelett des erwachsenen Ur-Säugers ist zu über 95 Prozent erhalten und damit eines der weltweit intaktesten Säugetierskelette aus dieser Zeit. Das zu 40 Prozent erhaltene Jungtier wiederum ist derzeit sogar das einzige bekannte jugendliche Säugetier aus dem Jura. Die beiden Fossilien wurden zwar nicht zusammen entdeckt – das erwachsende Krusatodon fanden Paläontologen in den 1970er Jahren, das Jungtier erst 2016 – , dafür nun aber gemeinsam untersucht.

Elsa Panciroli
Elsa Panciroli untersucht die fossilen Überreste der beiden Krusatodon kirtlingtonesis. © Duncan Mc Glynn

Zähne als Personalausweis

Unter anderem wollten Elsa Panciroli von den National Museums Scotland und ihre Kollegen herausfinden, wie schnell ein Krusatodon einst erwachsen wurde und wie lange es lebte. Denn heutige Säugetiere dieser geringen Größe führen ein Leben wie im Zeitraffer: Zwischen Geburt und Tod wildlebender Hausmäuse liegen zum Beispiel gerade einmal zwölf Monate. Doch war das in der Urzeit auch schon so?

Um mehr über den Lebenszyklus der Ur-Säuger zu erfahren, analysierten Panciroli und ihre Kollegen die Wachstumsringe in den Zähnen der beiden Krusatodon-Exemplare und konnten so auf deren jeweiliges Alter schließen. Indem sie zusätzlich die Größendifferenz der beiden Fossilien ermittelten, lernten die Paläontologen auch mehr über die Dauer der verschiedenen Abschnitte eines Krusatodon-Lebens.

Ur-Säuger ließen sich Zeit

Das Ergebnis: Wie die Zahn-Wachstumsringe des erwachsenen Ur-Säuger-Fossils zeigen, ist dieses Exemplar einst im Alter von sieben Jahren gestorben. Das Jungtier wiederum war zum Zeitpunkt seines Todes sieben Monate bis zwei Jahre alt – aber noch nicht annähernd ausgewachsen. Wie die Paläontologen festgestellt haben, war es gerade erst dabei, seine Milchzähne durch erwachsene Zähne zu ersetzen. Im Vergleich zu heutigen mausgroßen Säugetieren entwickelte es sich somit ungewöhnlich langsam.

Gleichzeitig brachte das Krusatodon-Junges wahrscheinlich nur etwa 51 bis 59 Prozent der Körpermasse eines erwachsenen Tieres auf die Waage. Es hätte damit bequem in eine menschliche Hand gepasst. Wie lange der junge Ur-Säuger noch gebraucht hätte, um sein finales Gewicht von 58 bis 158 Gramm zu erreichen, lässt sich nicht genau sagen. So oder so ließ er sich mit dem Erwachsenwerden aber deutlich mehr Zeit als heutige Säugetiere derselben Größe.

„Obwohl Krusatodon äußerlich wie eine Spitzmaus aussah, war es im Inneren ganz anders: Es wuchs langsamer und lebte viel länger als heutige Kleinsäuger. Infolgedessen hatte es wahrscheinlich auch eine ganz andere Physiologie und Lebensgeschichte“, schlussfolgert Panciroli.

Wann trat der Wandel ein?

Während oder nach dem mittleren Jura müssen sich die Wachstumsmuster und die Lebenserwartung kleiner Säugetiere dann grundlegend verändert haben. Warum und wann genau sich dieser Wechsel hin zum schnellen Erwachsenwerden und jungen Sterben ereignete, ist allerdings noch unbekannt. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07733-1

Quelle: National Museums Scotland

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