Wenn man an Tauben denkt, hat man meist graue Vögel vor Augen, die sich gurrend auf den Plätzen und Dächern der Städte tummeln und vor Pommesbuden regelrechte Kriege um heruntergefallene Fritten führen. Doch solche Stadttauben sind nur ein kleiner Teil einer großen und vielfältigen Familie, die über 300 Arten umfasst und fast alle Regionen der Erde besiedelt hat.
Willkommen bei den Columbidae
Die Vielfalt der Tauben (Columbidae) reicht vom winzigen Zwergtäubchen, das kaum größer als ein Spatz ist, bis zur riesigen Blaubrust-Krontaube, die die Ausmaße eines Truthahns annehmen kann, und von der in unauffälliges Braun gehüllten Salvintaube bis hin zur Marianen-Fruchttaube, die aussieht, als hätte sie sich einmal in der Farbpalette eines Künstlers gewälzt.
Auch in Deutschland leben abseits der Städte verschiedene Taubenspezies, darunter die plump anmutende Ringeltaube und die Türkentaube mit ihrem markanten schwarzen Nackenring. Sogar der Dodo – ein wahrer Promi unter den ausgestorbenen Tieren – zählte offiziell zur Familie der Tauben. Nachdem Seefahrer diesen flugunfähigen Vogel Anfang des 16. Jahrhunderts auf Mauritius entdeckt hatten, vergingen keine 180 Jahre bis zu seiner kompletten Ausrottung.
Vom Seelenvogel zum Sündenbock
Den Stadttauben wünschen einige wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal wie dem Dodo. Doch unser Verhältnis zu unseren geflügelten Mitbewohnern war nicht immer so hasserfüllt. Im Gegenteil: Im alten Indien und unter germanischen Stämmen galten Tauben als Verkörperung menschlicher Seelen, die ihre Hülle verlassen hatten. In der Bibel war es eine Taube, die Noah mit einem Ölzweig im Schnabel das Ende der Sintflut verkündete. Und in der Antike standen Tauben als Sinnbild für Unschuld, Reinheit und Sanftmut.
Auch heute noch werden weiße Tauben gerne als Friedenssymbol verwendet. Doch genauso wie bei der enormen Familiengröße dieser Vögel gilt: Taube ist eben nicht gleich Taube. Dass viele Menschen ausgerechnet Stadttauben so sehr verabscheuen, ist dabei eigentlich kurios, denn sie sind die Nachfahren unserer Haustiere.
Stadttauben sind keine Wildtiere
Tauben gehörten einst zu den ersten vom Menschen domestizierten Tieren. Ihr Übergang vom Wild- zum Nutztier ereignete sich wahrscheinlich in der Zeit vor 6.000 bis 5.000 Jahren im alten Ägypten und Mesopotamien. Dort hielten unsere Vorfahren vor allem Felsentauben (Columba livia). Ihr Fleisch und ihre Eier dienten als Nahrung, ihr Kot als Dünger und ihr ausgezeichneter Orientierungssinn half bei der Übermittlung von Nachrichten.
Seit damals sind diese ersten Haustauben zu vielen unterschiedlichen Rassen weitergezüchtet worden und haben sich weltweit verbreitet. Diejenigen von ihnen, die ausgesetzt wurden oder sich bei ihren Flügen verirrt haben, landeten irgendwann als Stadttauben in unseren Städten. Doch ihr Genom ist dem der Felsentauben nach wie vor zum Verwechseln ähnlich, daher auch der wissenschaftliche Name Columba livia domestica.
Dass heutige Stadttauben von domestizierten Tieren abstammen, bedeutet aber auch, dass sie nach wie vor unsere Nähe suchen und eigentlich immer noch auf unsere Fürsorge angewiesen sind – ein Bedürfnis, das nur allzu selten erfüllt wird.