Zoologie

Unterschätzte Genies

Tauben sind schlauer als viele denken

Die Belange und das emotionale Innenleben der Tauben ernst zu nehmen, fällt uns vielleicht auch deshalb schwer, weil wir in den Tieren keine sonderlich intelligenten Lebewesen sehen. Natürlich schreit es nicht unbedingt nach Intelligenz, wenn eine Stadttaube minutenlang am selben Zigarettenstummel herumpickt, nur um scheinbar immer wieder aufs Neue festzustellen, dass er ungenießbar ist. Doch der erste Eindruck täuscht: Kognitiv können Tauben in einigen Bereichen locker mit uns Menschen mithalten.

Tauben können zählen, „lesen“ und sogar Ping Pong spielen. © bfskinnerfoundation

Tauben können zählen und lesen

Zum Beispiel können Tauben zählen. In Experimenten ordnen sie Bilder korrekt nach der Menge der auf ihnen abgebildeten Objekte – und zwar genauso zuverlässig wie Affen. Auch in Geometrie sind die schlauen Vögeln bewandert: Sie können symmetrische von asymmetrischen Formen unterscheiden, was ihnen im Alltag wahrscheinlich bei der Nahrungssuche und Partnerwahl zugutekommt.

Sogar das Lesen ist für die gurrenden Intelligenzbestien kein Problem. Zumindest gelingt es ihnen nach entsprechendem Training, echte Wörter von sinnfreien Buchstaben-Kombinationen zu unterscheiden, wie Biologen herausgefunden haben. Sie können dann sogar ihnen unbekannte Begriffe korrekterweise als Wort oder als Nonsens einordnen. „Diese enorme kognitive Leistung der Tauben offenbart, dass es kein Privileg von Primaten – oder gar nur des Menschen – ist, orthografische Regeln zu beherrschen“, erklärt Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum.

Kritzelei
Tauben können „schlechte“ von guten Kunstwerken unterscheiden. © Xocolatl

Eine künstlerische Ader

Auch den schönen Künsten sind Tauben keineswegs abgeneigt. Wie japanische Wissenschaftler herausgefunden haben, lassen sich die Vögel so trainieren, dass sie gute von schlechten Kunstwerken gemäß menschlicher Maßstäbe unterscheiden können. Dafür wurden den Tauben zahlreiche Bilder beider Kategorien auf einem Computerbildschirm gezeigt. Pickten sie gute Bilder an, wurden sie mit Futter belohnt, beim Anpicken schlechter Bilder gab es hingegen keine Belohnung. Mit der Zeit lernten die Tauben so den Unterschied zwischen beiden Kategorien.

Bei solchen Lernprozessen kommt den Tauben auch ihr herausragendes visuelles Gedächtnis zugute. Sie können sich Hunderte verschiedene Bilder einprägen und sogar menschliche Gesichter und deren Ausdrücke voneinander unterscheiden. In Bezug auf die künstlerischen Fähigkeiten der Tauben ließen sich diese visuelle Fähigkeiten in der Vergangenheit bereits dazu nutzen, ihnen auch den Unterschied zwischen Pastell- und Aquarellmalerei sowie den zwischen einem Monet und einem Picasso beizubringen.

Konkurrenz für Radiologen

Doch Tauben könnten längst nicht nur als Kunstkritiker, sondern auch als Mediziner Karriere machen. Lernt man sie richtig an, können sie Krebstumore in menschlichen Gewebeschnitten ähnlich gut wie Radiologen identifizieren. „Die Vögel waren bemerkenswert gut darin, zwischen gutartigen Wucherungen und bösartigem Brustkrebs zu unterscheiden – eine Aufgabe, die unerfahrene menschliche Betrachter verwirren kann“, berichtet Richard Levenson von der University of California in Davis. „Die Treffsicherheit der Tauben erhöhte sich von anfangs 50 Prozent auf fast 85 Prozent – nach nur 13 bis 15 Tagen des Trainings.“

Gewebequerschnitt
Tauben lassen sich darauf trainieren, bösartige Gewebequerschnitte zu erkennen. © Yan Luo und Ce Bian/ Frontiers in Oncology, 2022 /CC-by 4.0

Während Tauben Krebspatienten das Leben retten, könnten sie sogar parallel noch andere Aufgaben übernehmen, wie eine Studie zu ihren Multitasking-Fähigkeiten zeigt. Demnach können Tauben genauso schnell wie Menschen zwischen zwei Aufgaben hin und her wechseln. In manchen Situationen sind sie sogar schneller als wir. Dabei hilft ihnen wahrscheinlich ihr dicht gepacktes Hirn. Zwar ist es im Vergleich zu unserem Denkorgan winzig, es besitzt pro Kubikmillimeter aber sechsmal mehr Nervenzellen als das menschliche Gehirn.

Das nächste Mal, wenn wir eine Taube an einer Zigarette herumpicken sehen, sollten wir also lieber nicht vorschnell urteilen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die Welt der Tauben
Ratten der Lüfte oder missverstandene Genies?

Eine große Familie
Taube ist nicht gleich Taube

Kot und Krankheit
Warum Stadttauben zu Unrecht einen schlechten Ruf haben

Das Leid der Brieftauben
Wie wir die Treue der Tiere ausnutzen

Unterschätzte Genies
Tauben sind schlauer als viele denken

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