Wie sensibel die Atlantische Umwälzströmung auf den Klimawandel reagiert, ist seit Jahren heiß umstritten. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob diese „Pumpe“ des ozeanischen Strömungssystems ein sogenanntes Kippelement darstellt – ein System, das wie ein Schalter abrupt in einen neuen Zustand wechseln kann. Ebenso strittig ist die Frage, wo der Kipppunkt der Umwälzströmung liegt und wie nah sie ihm bereits ist.
Zwei verschiedene Zustände
Bisher gehen die meisten Forschenden aber davon aus, dass die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) tatsächlich ein Kippelement ist: „Aus Computersimulationen und paläoklimatischen Daten wissen wir, dass die Umwälzströmung zwei verschiedene Modi einnehmen kann – den zurzeit noch herrschenden starken Modus und einen zweiten, substantiell schwächeren“, erklärt beispielsweise Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
„Diese Bi-Stabilität deutet darauf hin, dass abrupte Wechsel zwischen diesen beiden Strömungsarten prinzipiell möglich sind“, so Boers weiter. Demnach könnte der Strömungsmotor für Europas „Fernheizung“, der Nordatlantikstrom, unter bestimmten Bedingungen umkippen und dann ganz stoppen oder zumindest in einem neuen Zustand schwacher Pumpleistung verharren.
Frühwarnzeichen gesucht
Doch wo liegt die Schwelle zum Umkippen? Das im Vorhinein festzustellen, ist alles andere als einfach. Denn die Umwälzströmung ist ein komplexes System, dessen Verhalten und Einflussfaktoren schwer zu erfassen und noch schwerer vorherzusagen sind. So ist zwar bekannt, dass Erwärmung, Schmelzwassereinstrom und Meereisrückgang die Umwälzpumpe bereits geschwächt haben. Das allein verrät aber noch nicht, ab wann diese Abschwächung kritisch wird und die AMOC ihren Kipppunkt erreicht.
Wie also sagt man einen Kipppunkt voraus? Als wichtiges Frühwarnzeichen für eine zunehmende Destabilisierung gilt neben stärker werdenden Schwankungen die sogenannte Autokorrelation. Dies bezeichnet Messwerte einer Zeitreihe, bei denen positive Ausreißer vermehrt weitere positive Schwankungen nach sich ziehen oder negative Ausreißer weitere negative – eine Art Teufelskreis.
Im konkreten Fall der atlantischen Umwälzpumpe bedeutet dies: Bei rein natürlichen Schwankungen wechseln sich Phasen schwächerer und stärkerer Pumpleistung entweder komplett zufällig oder in einem zyklischen, von übergeordneten Klimaschwankungen getriebenen Muster ab. Führen Schwächephasen durch eine Rückkopplung jedoch zu weiteren Abschwächungen der AMOC, kann dies ein Vorzeichen des endgültigen Umkippens sein.
Auf dem Weg zum Kipppunkt?
Ob das beim atlantischen Strömungsmotor der Fall ist, haben verschiedene Forschungsteams in den letzten Jahren mehrfach untersucht, darunter auch Boers und sein Team. Sie analysierten im Jahr 2021 die Temperatur und Salzgehalt des Nordatlantikwassers anhand von acht verschiedenen Indikatoren. Das Ergebnis: In allen acht untersuchten Parametern zeigte sich in den letzten gut 100 Jahren ein Trend zunehmender Autokorrelation und stärker werdender Schwankungen.
„Das spricht dafür, dass die Abschwächung der Umwälzströmung nicht nur eine normale Fluktuation oder eine lineare Reaktion auf die steigenden Temperaturen ist“, sagt Boers. „Stattdessen bedeutet es, dass sich das System einer kritischen Schwelle nähert, ab der das Strömungssystem kollabieren könnte.“ Ähnliches haben seither auch andere Studien festgestellt.
Auf das Tempo kommt es an
Doch es gibt noch einen weiteren Faktor, der den nordatlantischen Strömungsmotor aus dem Gleichgewicht bringt – und ihn verfrüht kollabieren lassen könnte. Entdeckt haben dies Johannes Lohmann und Peter Ditlevsen von der Universität Kopenhagen ebenfalls im Jahr 2021, als sie die Reaktion der AMOC auf den zunehmenden Schmelzwassereinstrom im Modell nachbildeten. Dabei zeigte sich, dass auch das Tempo der Veränderungen eine entscheidende Rolle spielt: Je mehr Schmelzwasser in kurzer Zeit in den Nordatlantik strömt, desto sensibler reagiert die Umwälzpumpe.
Konkret bedeutet dies: Das atlantische Strömungssystem kippt nicht erst bei einer bestimmten Temperatur, sondern reagiert auf das Tempo des Klimawandels. Steigt beispielsweise der Einstrom von Schmelzwasser sehr schnell, kann das System schon früher als erwartet aus dem Gleichgewicht geraten. „Wenn die Veränderungen schnell genug sind, dann können schon kleine Auslenkungen der Einflussgröße einen Kollaps des Strömungsmotors verursachen“, erklären die beiden Forscher. Dieses rateninduzierte Kippen macht es damit noch schwerer, den genauen Schwellenwert für den Kipppunkt der AMOC zu bestimmen.
Doch was wäre, wenn die Pumpe versagt?