Genetik

Wer war Kaspar Hauser?

Neue DNA-Analysen klären Kontroverse über vermeintlich fürstliche Herkunft

DNA und Kaspar Hauser
Kaspar Hausers Herkunft und Schicksal sind bis heute ein Rätsel. DNA-Analysen schließen nun jedoch zumindest eine gängige Theorie aus.© historisch; HG: Rasi Bhadramani/ Getty images

Seit fast 200 Jahren ist ungeklärt, wer Kaspar Hauser war und warum er in völliger Isolation aufgezogen wurde. Jetzt bringen DNA-Analysen neues Licht in den Fall. Die mitochondriale DNA von zehn Haarproben und einer Blutprobe widerlegt die gängigste Theorie zur Herkunft Hausers. Demnach kann der junge Mann kein entführter Prinz aus dem Hause Baden gewesen sein – die DNA stimmt nicht mit der dieses Adelsgeschlechts überein, wie das Forschungsteam berichtet. Doch wer war er dann?

Im Jahr 1828 tauchte in Nürnberg ein junger, geschwächter und der Sprache kaum mächtiger Jugendlicher scheinbar aus dem Nichts auf. Er wusste weder, wer er war, noch woher er kam, bezeichnete sich aber als „Kaspar Hauser“. In einem Brief, den er bei sich trug, hieß es, der Junge sei seit 1812 in völliger Isolation gehalten worden – ohne jeden Kontakt zu einem Menschen. Zwar lernte Kaspar Hauser in relativ kurzer Zeit sprechen und erwies als normal intelligent, doch seine Geschichte blieb ungeklärt. Ungewöhnlich auch: Mehrfach wurde Hauser von Unbekannten angegriffen. 1833 starb er schließlich an einer ihm zugefügten Messerwunde.

Kaspar Hauser
Das Auftauchen des Kaspar Hauser in einer Illustration aus dem Jahr 1893. © historisch

War Hauser ein entführter Prinz?

Dies nährte Gerüchte, nach denen der junge Mann möglicherweise adeliger Abstammung und Opfer einer Verschwörung gewesen sei. Demnach soll Hauser in Wirklichkeit der erstgeborene und vermeintlich kurz nach der Geburt gestorbene Sohn des Großherzogs Karl von Baden und seiner Frau Stéphanie von Beauharnais, einer Adoptivtochter Napoleons, gewesen sein. Das Kind – so die Theorie – wurde gegen einen kranken Säugling vertauscht und entführt, damit eine Nebenlinie später den Titel erben konnte.

Allerdings gab es schon zu Lebzeiten Hausers auch viele Menschen, die ihn schlicht für einen Betrüger und pathologischen Lügner hielten. Auch sein Aufwachsen in völliger Isolation – das „Kerkermärchen“ – wurde angezweifelt. Wer Hauser wirklich war, blieb auch nach seinem Tod offen. „Kaspar Hausers leben wurde eines der größten Rätsel der deutschen Geschichte“, erklären Walther Parson von der Medizinische Universität Innsbruck und seine Kollegen.

Das Problem der fragmentierten DNA

Deshalb haben Parson und sein Team den Fall Kaspar Hauser nun neu aufgerollt – mithilfe von DNA-Analysen. Zwar waren aufbewahrte Haarlocken und ein Blutfleck auf Kleidung Hausers schon im Jahr 1996 sowie 2001/2002 genetisch untersucht worden. Wegen der damals noch unzureichenden Methoden blieben die Resultate aber widersprüchlich und umstritten. So konnte der Vergleich der in den Proben gefundenen mitochondrialen DNA bei der ersten Analyse keine Übereinstimmungen mit dem Haus Baden finden, die zweite hingegen schon.

Das Problem jedoch: Die in den Proben erhaltene mitochondriale DNA ist stark fragmentiert. Dieses Erbmaterial, das außerhalb des Zellkerns in den Mitochondrien vorliegt und über die mütterliche Linie weitergegeben wird, ist zwar eigentlich gut geeignet für eine Abstammungsanalyse. In diesem Fall waren die DNA-Stücke aber zu klein, um mit der damals gängigen Analysemethode verlässlich rekonstruiert zu werden, wie Parson und sein Team erklären.

Die Forschenden haben daher die Haar- und Blutproben von Kaspar Hauser erneut genetisch analysiert und dabei eine neuere, auch für kurze DNA-Stücke geeignete Methode genutzt. Dieses sogenannte Primer Extension Capture Massively Parallel Sequencing (PEC MPS) wurde ursprünglich für die Entschlüsselung von Neandertaler-DNA und anderen tausende Jahre alten Proben entwickelt.

Stéphanie von Beauharnais
War Stéphanie von Beauharnais, Großfürstin von Baden, die Mutter von Kaspar Hauser? © historisch

Kein Abkömmling des Hauses Baden

Die Analysen enthüllten: Kaspar Hauser war offenbar kein entführter Prinz, wie das Team mit 99,9994-prozentiger Verlässlichkeit feststellte. Die in den Proben des jungen Mannes erhaltenen mitochondriale DNA gehört demnach zum Mitotyp W, der bei 0,2 Prozent der europäischen Bevölkerung vorkommt – aber nicht in der mütterlichen Verwandtschaftslinie des Hauses Baden, wie Vergleiche mit der DNA von heute noch lebenden Nachfahren der Stéphanie von Beauharnais ergaben.

„Die nunmehr gesicherte mitochondriale DNA-Sequenz von Kaspar Hauser (Mitotyp W) weicht deutlich von der badischen Abstammungslinie ab (Mitotyp H1bs), was eine mütterliche Verwandtschaft zum Haus Baden und damit die weit verbreitete Prinzentheorie ausschließt“, berichtet Parson. Eine von einem zweiten Labor unabhängig durchgeführte Analyse kam zu dem gleichen Ergebnis. Die bei den früheren DNA-Tests von 2001/2002 ermittelten Ähnlichkeiten gingen dagegen nicht auf Hausers Erbgut, sondern auf Kontamination der Proben zurück.

Aber wer war Hauser dann?

Damit ist zumindest ein Teil des Rätsels um Kaspar Hauser geklärt – und die beliebte Prinzentheorie widerlegt. Parson und seine Kollegen betonen jedoch, dass ihr Resultat keine Bestätigung der konkurrierenden Betrüger-Theorie bedeutet. Denn auch wenn Kaspar Hauser kein badischer Prinz war, könnte er dennoch Opfer einer Entführung und der Isolation gewesen sein. Aber wer war er und woher kam er?

Leider liefert die mitochondriale DNA darauf keine eindeutige Antwort, wie das Team erklärt. Denn Hausers Mitotyp W sei zwar selten, aber in ganz Europa verbreitet. „Es ist daher nicht möglich, Kaspar Hausers Herkunft allein auf Grundlage seiner mtDNA-Sequenz auf eine bestimmte Region einzugrenzen“, erklärt Parson. Aus genau diesem Grund seien aber auch frühere Feststellungen, nach denen Hauser aus Tirol stammen soll, anzuzweifeln.

„Um seiner tatsächlichen Identität näherzukommen, wären Analysen der Kern-DNA sehr wünschenswert, was jedoch nicht anhand seiner Haarproben, sondern nur mit Proben von Blut oder Knochen möglich ist“, sagt Parson. Das Geheimnis des Kaspar Hauser bleibt demnach vorerst bestehen. (iScience, 2024; doi: 10.1016/j.isci.2024.110539)

Quelle: Medizinische Universität Innsbruck

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