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Medizin

Zweifel an Bluttest zur Krebserkennung

Fachjournal deckt Absprachen zwischen Regierung und Biotech-Unternehmen auf

Bluttest
Ein Bluttest soll 50 Krebsarten erkennen können. Doch wie seriös und ergebnisoffen sind aktuelle Studien dazu?© undefined/ iStock

Kungelei aufgedeckt: 50 Krebsarten soll ein neuartiger Bluttesterkennen können – doch aktuelle Erkenntnisse lassen Zweifel aufkommen. So weist der Test insbesondere bei Frühstadien von Krebs nur eine geringe Erkennungsquote auf. Dennoch lässt der britische National Health Service eine 150 Millionen Pfund teure Studie mit diesem Test durchführen – und verpflichtet sich, dem Hersteller im Erfolgsfall mindestens eine Million Tests abzukaufen. Interne Dokumente deuten nun auf Interessenkonflikte hin.

Anhand einer einzigen Blutprobe soll der sogenannte Galleri-Test 50 verschiedene Krebsarten identifizieren können. Dazu sucht der Test nach krebstypischen Veränderungen an DNA-Schnipseln im Blut. 2020 zeigte eine Studie, dass das Verfahren vor allem Krebs im fortgeschrittenen Stadium erkennt. Für die Stadien I bis III lag die Erkennungsquote dagegen nur bei 43,9 Prozent. Eine weitere Studie ergab 2021 eine Sensitivität von lediglich 16,8 Prozent für Tumoren im frühesten Stadium.

Aktuell lässt der britische National Health Service (NHS) das Testverfahren in einer großen Studie mit 140.000 Teilnehmenden prüfen. Die Kosten der Studie in Höhe von rund 150 Millionen Pfund trägt zwar der Hersteller, das kalifornische Biotech-Unternehmen Grail. Für den Fall, dass die erhofften Endpunkte erreicht werden, hat sich die Gesundheitsbehörde jedoch gegenüber Grail verpflichtet, mindestens eine Million Tests zu erwerben.

Fragwürdige Endpunkte

Daran regt sich nun Kritik. Denn die Kopplung an eine garantierte Abnahme der Tests wirft Zweifel daran auf, dass die Studie neutral und ergebnisoffen verlaufen wird. Recherchen des British Medical Journal (BMJ) deuten nun darauf hin, dass die aktuelle Studie tatsächlich nicht geeignet ist, einen großflächigen Einsatz des Bluttests im Rahmen eines nationalen Screenings zu rechtfertigen. Ein Kritikpunkt: Die für die Studie definierten Erfolgskriterien beziehen sich nicht etwa auf das Gesamtüberleben der Patienten oder einen Zugewinn an gesunden Lebensjahren.

„Der NHS hat sich verpflichtet, eine Million Tests zu kaufen, wenn bei mindestens 30 Prozent der Personen mit positivem Testergebnis tatsächlich eine Krebserkrankung vorliegt, die Krebserkrankungen in Stadium IV um 30 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe verringert werden und der Test 75 Prozent mehr Krebserkrankungen entdeckt werden als in der Kontrollgruppe“, erklären die Journalistinnen Margaret McCartney und Deborah Cohen.

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Kritik von der Empfehlungsstelle

„Es stellt sich die Frage, was der geeignete Endpunkt ist“, kommentiert der Krebsepidemiologe Paul Pharoah vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles. „Bei einem Test zur Erkennung von Multikrebs (mit der Möglichkeit einer Überbehandlung) kann ich mir nicht vorstellen, dass etwas anderes als die Gesamtmortalität ausreichend ist.“

Interne Dokumente, die dem BMJ vorliegen, zeigen, dass auch das UK National Screening Committee (NSC), das üblicherweise die Entscheidung über die Einführung von Screenings in Großbritannien trifft, das Vorgehen des NHS kritisch sieht. Demnach seien bei dem Galleri-Test wichtige Fragen in Bezug auf Testgenauigkeit, Diagnose, Behandlung, Akzeptanz und Ethik offen. „Daher wäre es sehr unwahrscheinlich, dass der britische NSC eine groß angelegte programmatische Evaluierung ohne weitere Grundlagenforschung empfehlen würde“, wie aus einer E-Mail des NSC an den NHS von September 2023 hervorgeht.

Falsch-positive Ergebnisse

Ein weiteres Problem: „Wenn ein so großer Teil der Bevölkerung einem Screening unterzogen wird, kann selbst ein kleiner Anteil falsch positiver Tests große Auswirkungen auf die Nachfrage nach bildgebenden und diagnostischen Untersuchungen, die Kosten und die Wartelisten haben“, erklärt Pharoah.

Dies zeigt sich bereits in den USA, wo der Test für Selbstzahler kommerziell verfügbar ist und überdies 2023 in einer großen Studie geprüft wurde. In dieser Studie hatten 1,4 Prozent der Teilnehmenden einen positiven Test – doch 62 Prozent dieser Ergebnisse erwiesen sich als falsch positiv. Für viele Menschen bedeuteten solche Testergebnisse daher finanziell und emotional belastende Folgeuntersuchungen, die sich im Nachhinein als unnötig erwiesen.

Mögliche Interessenkonflikte

Aus Sicht von Pharoah ist es unverständlich, warum der NHS die aktuelle Studie mit dem Galleri-Test durchführt, der ausgerechnet in der Früherkennung schwache Ergebnisse aufweist. „Ich glaube nicht, dass die Beweise stark genug waren, um die Studie zu rechtfertigen“, sagt er. „Mit einer Sensitivität für das Stadium I von weniger als 20 Prozent insgesamt und nur 44 Prozent für alle Krebsarten im Stadium I bis III halte ich eine Studie nicht für ethisch vertretbar“.

Interne E-Mails, die nach dem Informationsfreiheitsgesetz freigegeben wurden, zeigen einen engen Austausch zwischen Mitgliedern der britischen Regierung und Unternehmensvertretern von Grail. Die Studie wurde initiiert, ohne die Details vorab transparent zu machen. Auch der Vertrag mit Grail über die Abnahme von Millionen Tests im Erfolgsfall wurde hinter verschlossenen Türen unterzeichnet. Eine Ausschreibung, die andere Anbieter mit ähnlichen, möglicherweise aussichtsreicheren Ansätzen einbezogen hätte, gab es nicht.

Entscheidung aufgeschoben

Um welche Summen es bei der Abnahmevereinbarung mit Grail genau geht, ist nicht bekannt. In den USA kostet ein einziger dieser Tests aktuell 950 Dollar. „Die neue Regierung muss die klinische Forschung im Bereich der Medizintechnik strenger und transparenter überprüfen, vor allem, wenn es um einen so weitreichenden Zugang zu NHS-Ressourcen geht“, sagt Richard Sullivan, Direktor des Institute of Cancer Policy am King’s College London.

Der NHS hat die Entscheidung über eine potenzielle Einführung des Tests vertagt. In einem Bericht zu Zwischenergebnissen der Studie von Mai 2024 heißt es: „Der NHS England hat die vorläufigen Daten aus dem ersten Jahr der NHS-Galleri-Studie geprüft und fand sie nicht überzeugend genug, um sofort mit einem groß angelegten Pilotprogramm des Tests in der klinischen Praxis des NHS fortzufahren.“ Stattdessen sollen nun die endgültigen Ergebnisse nach Abschluss der Studie im Jahr 2026 abgewartet werden. (BMJ, 2024, doi: 10.1136/bmj.q1706)

Quelle: British Medical Journal (BMJ)

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