Botanik

Rätsel der wackelnden Pflanzen gelöst

Schon Charles Darwin rätselte, warum Setzlinge mit dem Kopf kreisen

Setzling
Junge Pflanzen drehen ihren Kopf beim Wachstum im Kreis – aber warum? © lovelyday12/ iStock

Mysteriöse Wackeldackel: Junge Pflanzen wachsen nicht einfach starr nach oben, sondern bewegen ihre Spitze dabei kreisförmig umher – selbst wenn sie keine Kletter- oder Rankpflanzen sind. Aber warum? Darüber zerbrach sich schon Charles Darwin den Kopf. Doch nun haben Wissenschaftler das Rätsel offenbar gelöst. Ähnlich wie bei Sonnenblumen spielt demnach das Licht eine entscheidende Rolle.

Pflanzen erscheinen uns zwar starr, doch tatsächlich bewegen sie sich sogar recht viel. Sie tun dies nur so langsam, dass ihre Bewegungen für uns nicht immer mit dem bloßen Auge erkennbar sind. Zeitraffer-Aufnahmen zeigen aber zum Beispiel, wie Sonnenblumen der Sonne im Tagesverlauf folgen und sich dann nachts wieder auf ihre Ausgangsposition zurückdrehen. Auch Sonnenblumensetzlinge und andere Jungpflanzen sind bereits sehr bewegungsfreudig. Statt einfach gerade nach oben zu wachsen, wackeln sie mit dem Kopf und drehen diesen immer wieder im Kreis. Aber warum?

Junge Pflanzen wackeln beim Wachstum mit dem Kopf. © University of Colorado Boulder

Charles Darwin und die Wackelranken

Selbst Charles Darwin, der Vater der Evolutionslehre, zerbrach sich bereits den Kopf über das Gewackel der Jungpflanzen. Als er in den 1860er Jahren wegen wiederholter Krankheit nicht verreisen oder lange umhergehen konnte, verbrachte er teilweise Tage mit der Beobachtung der Pflanzenbewegungen und zeichnete diese sogar in Form spezieller Karten auf. „Ich amüsiere mich sehr über meine Ranken – es ist genau die Art von Arbeit, die mir Spaß macht“, schrieb Darwin 1863 an einen Freund.

Kartierung von Charles Darwin
Hier hat Charles Darwin über vier Tage hinweg die Wackelbewegungen einer jungen Nelke kartiert. © „The power of movement in plants,“ 1896, by Charles Darwin and Francis Darwin

Doch auch der berühmte Naturforscher konnte sich nicht erklären, warum seine Setzlinge sich verdrehten. „Bei Kletterpflanzen ist es offensichtlich, dass es um die Suche nach Stützen geht, an denen sie sich festhalten können“, erklärt Seniorautorin Yasmine Meroz von der Universität Tel Aviv. „Aber bei anderen Pflanzen ist nicht klar, warum sich das lohnt.“ Gemeinsam mit Erstautorin Chantal Nguyen von der University of Colorado in Boulder und ihren Kollegen hat sie das alte Mysterium daher nun nochmal aufgerollt.

Eine Reihenhaussiedlung für Sonnenblumen

Einen wichtigen Hinweis lieferte dabei eine Studie aus dem Jahr 2017, in der Wissenschaftler junge Sonnenblumen unter beengten Bedingungen gepflanzt hatten. Dabei entdeckten sie, dass diese sich mit der Zeit in einem Zickzack-Muster anordneten. Sie schlussfolgerten daraus, dass diese besondere Anordnung den Pflanzen einen Mehrwert bringen musste, ihnen also zum Beispiel dabei half, als Gruppe den Zugang zum Sonnenlicht zu maximieren. Doch wie organisierten die Sonnenblumen diesen Zickzack? Womöglich, indem sie als Jungpflanzen herumwackelten und so die perfekte Position fanden?

Um das herauszufinden, pflanzten Nguyen und ihr Team nun ebenfalls junge Sonnenblumen in einer Reihe. Ähnlich wie Darwin zeichneten sie das Wackelmuster der fünf Pflänzchen im Verlauf einer Woche auf. Um die zugrundeliegenden Wachstumsmuster zu analysieren, pflegten die Forschenden diese Wackeldaten schließlich in ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm ein.

Die Bewegungen der Sonnenblumen
Die Wackelbewegung der jungen Sonnenblumen ist in Schwarz, ihre finale Zickzack-Ausrichtung in Blau dargestellt. © Nguyen et al., 2024, Physical Review X

Das richtige Maß ist entscheidend

Dabei zeigte sich Ähnliches wie bereits bei Darwin und in der Studie aus 2017: Die jungen Sonnenblumen vollführten wilde und scheinbar zufällige Drehungen ihrer Wuchsspitze. Doch dahinter steckt Methode, wie Nguyen und ihre Kollegen durch Computersimulationen mit virtuellen Keimlingen herausfanden: Die Sonnenblumen bilden nur dann ihr charakteristisches Muster, wenn sie mit genau dem richtigen Maß an Zufälligkeit herumwackeln.

Bewegen sich die Setzlinge dagegen gar nicht, bleiben die Pflanzenköpfe fast gerade in einer Reihe. Bewegen sie sich zu viel, resultiert dies in einer komplett zufälligen Anordnung, in der viele Blätter im Schatten liegen. „Wenn man aber nur ein klein wenig Störrauschen [in Form der Bewegung] hinzufügt, erlaubt dies der Pflanze, ihre Umgebung zu erkunden und in der Konfiguration zu wachsen, die ihr optimale Lichtversorgung gewährleistet“, erklärt Nguyen.

Auf der Suche nach dem optimalen Licht

Die Forschenden schließen daraus, dass das Gewackel der Jungpflanzen in der Tat dazu dient, ihre Umgebung nach den besten Lichtverhältnissen abzusuchen, aber auch mit ihnen um Licht konkurrierende Pflanzen ausfindig zu machen. Durch diese Auskundschaftungen können sich alle Sonnenblumen der Reihe dann für das weitere Wachstum optimal ausrichten. Sie sind nun so orientiert, dass die Kombination von Sonnenstand und Beschattung durch Nachbarn ihnen das maximal mögliche Licht lässt.

Die augenscheinliche Planlosigkeit, die die Jungpflanzen bei ihrer Wackelei an den Tag legen, ist demnach auch gleichzeitig ihr Trumpf. (Physical Review X, 2024; doi: 10.1103/PhysRevX.14.031027

Quelle: University of Colorado at Boulder

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