Naturkatastrophen

Istanbul: Neuer Frühwarner für das Megabeben

Multiparameter-Bohrloch-Messtation überwacht Plattenbewegungen im Marmarameer

Kapidag-Halbinsel
Blick auf die die Kapidag-Halbinsel im Marmarameer. Hier liegt die neue Erdbeben-Frühwarnstation. © Aytug Bayer/ stock.adobe.com

Warten auf „the Big One“: Istanbul steht ein Starkbeben bevor – die Frage ist nur wann. Eine neu installierte Messstation im Marmarameer soll nun helfen, die Plattenbewegungen im Untergrund besser zu überwachen – und mögliche Bebenvorzeichen schneller zu erkennen. Die weltweit einmalige Multiparameter-Messstation besteht aus einem 120 Meter tiefen Bohrloch, in dem Seismometer, Deformationsmesser und weitere Instrumente installiert sind. Dies ermöglicht besonders schnelle und genaue Messungen.

Istanbul liegt an einer tektonischen Zeitbombe: Nur rund 20 Kilometer südlich der Stadt verläuft eine Plattengrenze, an der ein Starkbeben längst überfällig ist. Während sich der westliche Teil dieser unter dem Marmarameer liegenden Verwerfung noch kriechend verschiebt, ist der östliche Teil der Verwerfung komplett blockiert – die Spannung im Untergrund wächst. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis das Gestein bricht und sich die Spannung in einem Starkbeben von Magnitude 7 und höher entlädt.

„Statistisch gesehen ist so ein Megabeben überfällig“, sagt Marco Bohnhoff vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. „Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wann es kommt – morgen, in den nächsten Monaten oder erst in 20, 30 Jahren.“ Von einem solchen Starkbeben wären im Extremfall Millionen Menschen und fast 40 Prozent der türkischen Wirtschaftskraft betroffen.

Bohrloch-Seismometer
Eines der Breitband-Seismometer vor dem Einbau in die Bohrloch-Messstation. © GFZ

Bebenwächter im Marmarameer

Wegen dieser akuten Gefahr gibt es seit 2015 ein seismologisches Messnetz, an dem auch Forschende des GFZ beteiligt sind. Das GONAF (Geophysical Observatory at the North Anatolian Fault) umfast bisher sieben Messstandorte im östlichen Marmarameer – dem Gebiet, in dem ein Bruch der Verwerfung und damit ein Erdbebenherd am wahrscheinlichsten ist. „Die angestaute tektonische Energie ist unter dem östlichen Marmarameer maximal“, erklärt Bohnhoff.

Allerdings ist auch der Abschnitt westlich davon nicht ungefährlich – auch dort hat es fast 250 Jahre lang kein Erdbeben mehr gegeben. Deswegen wird das GONAF-Observatorium ausgebaut und nach Westen erweitert. Den ersten Schritt dazu bildet nun eine neue sogenannte Multiparameter-Bohrloch-Messstation des GFZ auf der Kapidag-Halbinsel am Südufer des Marmarameeres. Sie nutzt eine weltweit bisher einmalige Technologie zur Erdbebenfrühwarnung.

Ein Bohrloch gespickt mit Sensoren

Das Besondere an der neuen Messstation: Sie besteht aus einer 120 Meter tiefen Bohrung, in der neueste Breitband-Seismometer-Sensoren sowie Dehnungs- und Deformationsmesser installiert sind. Letztere können die Verformung des Untergrunds bis auf ein Billionstel Meter detektieren – das entspricht dem Hundertstel eines Atomdurchmessers. „Dadurch können wir das gesamte Spektrum an Deformationsprozessen in nur einer Bohrung überwachen – dies gibt es so bisher nirgends“, erklärt GONAF-Koordinatorin Patricia Martinez-Garzon vom GFZ.

Hinzu kommt eine zweite Bohrung an gleicher Stelle, in der ein Porendrucksensor den Druck im Untergrund misst und auftretende Druckwellen erfasst. Komplettiert wird die Sensorik durch eine Reihe von Geophonen. Ziel ist es, mit dieser Bohrloch-Messtation die Bewegungen der Eurasischen und der Anatolischen Kontinentalplatten unterhalb des Marmarameeres mit bisher nicht erreichter Genauigkeit zu überwachen.

Datentransfer in Echtzeit

Sämtliche Daten werden in Echtzeit sowohl nach Potsdam zum GFZ als auch nach Ankara zur türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD übermittelt. Dies ist von entscheidender Bedeutung, weil die Vorzeichen eines Erdbebens oft erst unmittelbar vor dem Ereignis auftreten – nur wenige Minuten bis Sekunden vorher. Je schneller die Messungen ablaufen, vollautomatisch analysiert und versendet werden, desto eher besteht die Chance, noch handeln zu können.

Das GFZ ist bereits dabei, auch an der Nordküste des Marmarameeres weitere Bohrloch-Messtationen mit der neuen Sensortechnik zu installieren.

Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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