Von wegen dummer Vogel: Der Dodo trägt sein Image als plumper, träger Laufvogel zu Unrecht, wie Wissenschaftler herausgefunden haben. Denn wie seine kräftigen Beinsehnen nahelegen, war der einst auf Mauritius heimische Vogel in Wirklichkeit ein flinker, wendiger Waldbewohner. Sein Aussterben vor 400 Jahren lässt sich demnach anders als gerne dargestellt keineswegs nur auf die ihm nachgesagte Tollpatschigkeit zurückführen, wie das Team berichtet.
Der Dodo (Raphus cucullatus) ist eine der großen Ikonen des Aussterbens. Nachdem europäische Seefahrer seine tropische Heimatinsel Mauritius im Jahr 1598 zum ersten Mal angesteuert hatten, dauerte es keine hundert Jahre, bis der einen Meter große und 20 Kilogramm schwere Laufvogel für immer verschwunden war. Die Seeleute jagten und aßen den flugunfähigen Dodo in großen Mengen, obwohl sein Fleisch als zäh und ranzig galt. Eingeschleppte Hunde, Schweine, Katzen und Ratten taten ihr Übriges, indem sie die Eier und Jungtiere des Vogels vertilgten.
Schlechter erforscht als die Dinosaurier
„Der Dodo war das erste Lebewesen, dessen Vorkommen aufgezeichnet wurde und das dann verschwand“, erklärt Neil Gostling von der University of Southampton. „Zuvor hatte man es nicht für möglich gehalten, dass der Mensch die Schöpfung Gottes auf diese Weise beeinflussen könnte.“ Das Aussterben des Dodos vollzog sich dabei so rasch, dass Naturforscher ihn bereits im 18. und 19. Jahrhundert für ein mythologisches Wesen hielten. Als abnorme Gestalt aus alten Seefahrergeschichten galt seine einstige Existenz als genauso fantastisch wie die von Meerjungfrauen und Drachen.
Heute versucht die Wissenschaft, anhand der spärlichen Überreste, die der Dodo uns hinterlassen hat, sein Aussehen und seine Lebensweise zu rekonstruieren. Da bislang allerdings noch kein einziges vollständiges Skelett entdeckt wurde und es nur ein Exemplar mit erhaltenen Hautstücken und eine Kopffeder gibt, wissen wir über den Dodo immer noch weniger als über die meisten Dinosaurier.
War der Dodo selbst schuld?
Trotz des geringen Wissensstands scheint sich die Welt aber längst ein recht klares Urteil über den Dodo gebildet zu haben. In Filmen wie „Ice Age“ wird der Vogel als plumper, träger Tollpatsch dargestellt, der selbst schuld an seinem Untergang war. Getreu dem Motto: Wäre er den Menschen gegenüber nicht so zutraulich gewesen und hätte seine Eier nicht einfach auf den Boden gelegt, dann hätte er sich den Neuankömmlingen auch nicht so auf dem Silbertablett serviert.
Forschende um Mark Young von der University of Southampton haben mit diesem schlechten Image nun aufgeräumt. Dafür trugen sie alles Wissen über den Dodo und einen ebenfalls ausgestorbenen Laufvogel-Cousin – den Rodrigues-Solitär (Pezophaps solitaria) – zusammen. Dieser kam einst ausschließlich auf der Insel Rodrigues vor, die fast 600 Kilometer östlich von Mauritius liegt.
Um dem wahren Wesen beider Vögel auf den Grund zu gehen, durchforsteten Young und sein Team in mühevoller Kleinarbeit 400 Jahre der wissenschaftlichen Literatur, historische Seefahrerberichte sowie alle britischen Museumssammlungen, die Überreste der ikonischen Vögel enthalten.
Von wegen dumm und träge
Das Ergebnis: Entgegen der allgemeinen Annahmen war der Dodo wahrscheinlich ein flinker Waldbewohner, wie Young und seine Kollegen berichten. „Knochenfunde deuten darauf hin, dass die Sehne des Dodos, mit der er seine Zehen schloss, außergewöhnlich kräftig war, ähnlich wie bei den heute lebenden Vögeln, die klettern und laufen können. Der Dodo war mit ziemlicher Sicherheit ein sehr aktives, sehr schnelles Tier“, erklärt Seniorautor Neil Gostling.
Und auch die Zutraulichkeit von Dodo und Rodrigues-Solitär zeugte keineswegs von Dummheit: „Diese Tiere waren perfekt an ihre Umwelt angepasst, aber auf den Inseln, auf denen sie lebten, gab es keine Raubsäugetiere“, sagt Gostling. Und wer sich nie vor einem Raubtier fürchten musste, der entwickelt auch keine Grundscheu. „Als dann die Menschen kamen und Ratten, Katzen und Schweine mitbrachten, hatten der Dodo und der Solitär keine Chance.“
Dass dem Dodo angeblich der Überlebensinstinkt fehlte und sein Aussterben daher unausweichlich war, stimmt so also nicht, schlussfolgern die Forschenden.
Arten-Wirrwarr aufgelöst
Bei ihrer umfangreichen Analyse konnten Young und seine Kollegen außerdem Klarheit in die biologische Systematik von Dodo und Rodrigues-Solitär bringen, denn in der Vergangenheit gingen Wissenschaftler immer wieder davon aus, dass es von beiden mehrere verschiedene Arten gegeben haben könnte, darunter den Nazarener-Dodo, den Weißen Dodo und den Weißen Solitär.
Doch dafür konnte das Team keine Anhaltspunkte finden. Bei vermeintlichen Sichtungen des Weißen Dodos auf der Nachbarinsel La Réunion muss es sich zum Beispiel stattdessen um den Réunion-Ibis gehandelt haben. Was sich allerdings bestätigte, ist die Zugehörigkeit von Dodo und Rodrigues-Solitär zur Familie der Tauben (Columbidae). (Zoological Journal of the Linnean Society, 2024; doi: 10.1093/zoolinnean/zlae086)
Quelle: University of Southampton