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Gesellschaft

Was macht eine perfekte Geschichte aus?

Wissenswert

Illustration eines geöffneten Buchs, aus dem die Charaktere herausschauen
Worauf kommt es bei einer guten Erzählung an? © Jorm Sangsorn / iStock

Ob in Büchern, Filmen oder Serien: Einige Geschichten fesseln uns mehr als andere. Aber was macht eine gute Geschichte aus? Einiges spricht dafür, dass abwechslungsreiche, von überraschenden Wendungen geprägte Erzählungen besonders beliebt sind. Doch warum ist das so? Wie lässt sich das nutzen? Und wie viele Wendepunkte hat eine perfekte Geschichte?

Menschen erzählen sich seit jeher Geschichten, wie Höhlenmalereien, Märchen, Sagen und Legenden bezeugen. Heute kommen Bücher, Filme und Serien dazu. Erzählungen gibt es daher in unendlich vielen Varianten. Je nach Thema und Plot lassen sich die allermeisten Handlungen zwar in nur sechs Kategorien einteilen – wie etwa die „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte oder die von Protagonisten, die erst durch Widrigkeiten heranreifen. Doch auch innerhalb dieser Narrative gibt es zahllose Variationen, von denen einige beliebter sind als andere. Nicht jede „Cinderella-Story“ ist automatisch ein Kassenschlager.

Ein wesentlicher Faktor, der einer Geschichte zum Erfolg verhilft, sind dabei erzählerische Wendepunkte, wie schon der antike Gelehrte Aristoteles wusste. Solche Wechsel können die Handlung selbst betreffen, die Charaktere oder den Erzählstil. Sie machen die Geschichte abwechslungsreicher und dadurch beliebter, wie Verkäufe und Bewertungen nahelegen. Doch wie viele Wendungen braucht eine Story, um gut anzukommen, und wie groß ist deren Einfluss tatsächlich?

Quantifizierung der Wendepunkte

Das hat ein Team um Samsun Knight von der University of Toronto in vier Studien untersucht. Dabei ermittelten die Marketing-Experten mit Computermodellen, an welchen Stellen in Geschichten emotionale Wendepunkte auftreten, an denen sich die Erzählung vom Positiven zum Negativen oder umgekehrt wendet, und wie wichtig sie für den erzählerischen Erfolg sind.

Insgesamt analysierten die Forschenden den Verlauf und die Bewertungen von 3.713 Filmen, 19.339 Folgen von Fernsehserien und TV-Shows sowie 8.663 Romanen. Zudem untersuchten sie 1.133 Spendenaufrufe für Projekte auf der Plattform GoFundMe. Im Gegensatz zu den klassischen Medienformaten wurden diese nicht von professionellen Autoren und Drehbuchschreibern, sondern von Amateuren formuliert. Sie erzählten zudem keine fiktiven Geschichten, sondern den Hintergrund der Projekte.

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Je mehr Turning Points, desto besser

Dabei zeigte sich: Je mehr Wendepunkte eine Geschichte aufwies und umso dramatischer diese waren, desto höhere Bewertungen erhielt sie. Beispielsweise erhielt die Romcom „Zehn Dinge, die ich an dir hasse“, die 16 größere Turning Points aufweist, rund 1,4 Sterne mehr auf der Plattform Internet Movie Database (IMDb) als die am schlechtesten bewerteten Filme.

Bei Serien betrug der Unterschied zwischen den beliebtesten und den unbeliebtesten Folgen immerhin 0,35 Sterne auf IMDb. Auch hier war die Zahl der Wendepunkte ausschlaggebend: Je mehr davon, desto beliebter im Schnitt die Folge. Die E-Books mit den meisten Turning Points in ihrer Handlung wurden um 110 Prozent häufiger heruntergeladen als diejenigen mit den wenigsten Wendepunkten. Und auch private Förderaufrufe erhielten mehr Spenden und erreichten häufiger ihr Spendenziel, wenn sie mehr Wendungen enthielten.

Wie groß ist der Einfluss der Wendepunkte?

Überraschenderweise gilt dieser Trend unabhängig vom Genre, der Alterszielgruppe, dem Erscheinungsjahr und der Produktionsqualität der Geschichten. Auch die Geschwindigkeit, Länge, Grundstimmung und der Grundaufbau der Handlung spielen bei diesem Effekt offenbar keine Rolle. Die Zahl und das dramaturgische Ausmaß der Wendepunkte ist demnach aussagekräftiger und einflussreicher für die Beliebtheit einer Geschichte als andere Faktoren, die bislang gemeinhin als ausschlaggebend für den Story-Erfolg galten.

Doch woher rührt dieser starke Einfluss der Turning Points? Frühere Studien zur dramaturgischen Theorie legen nahe, dass Wendepunkte die Geschichte vorantreiben, die Handlung bereichern und sie dadurch für uns emotionaler, spannender und ansprechender machen. Das gilt insbesondere, wenn sich das Blatt dramatisch und unerwartet wendet und die Zuschauer oder Leser überrascht werden. Die Wendepunkte beinhalten und kombinieren damit verschiedene erzählerische Aspekte, die ebenfalls für den Erfolg einer Geschichte als wesentlich gelten.

Wie kreiert man die perfekte Geschichte?

Eine Obergrenze oder eine Abnutzung des Effekts konnten die Forschenden in ihrer Stichprobe nicht feststellen: Es gibt demnach keine Geschichte mit zu vielen Wendepunkten. Allerdings sei anzunehmen, dass Filme und Bücher mit deutlicher Überlänge gar nicht erst auf den Markt gekommen und somit nicht in der Stichprobe gelandet sind, betont das Team.

Wer als Autor mit seinem Film, Buch oder seiner Serie erfolgreich sein will, muss demnach möglichst viele Überraschungen in seine Geschichte einbauen. Doch auch andere Narrative können von der Erkenntnis profitieren: „Zu verstehen, welche Macht narrative Umkehrungen in Erzählungen haben, ermöglicht es uns, die Überzeugungskraft des Geschichtenerzählens effektiver zu nutzen – sei es in der Bildung, in der Politik, im Marketing oder in anderen Bereichen“, so Knight und seine Kollegen. Und auch privat kann das Wissen helfen, etwa bei der Kindererziehung über Geschichten.

Dennoch gilt weiterhin: „Storytelling ist sowohl eine Kunst als auch eine Wissenschaft“, schreiben Knight und seine Kollegen. Warum uns manche Geschichten mehr packen als andere, wird demnach möglicherweise nie gänzlich zu klären sein. Die perfekte Story lässt sich daher auch nur bedingt strategisch planen. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adl2013)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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