32 gigantische Megalithen, millimetergenau eingefügt: Der rund 5.700 Jahre alte Menga-Dolmen in Spanien ist einer der größten Steinzeitbauten Europas. Doch wie schafften es seine Erbauer, die bis zu 150 Tonnen schweren Blöcke dieses Galeriegrabs so passgenau aufzustellen? Das hat nun ein Forschungsteam erstmals rekonstruiert. Sie enthüllen verblüffend fortgeschrittene, präzise Technologien, die dem gängigen Bild „primitiver“ Steinzeittechnik widersprechen.
Vor rund 6.000 Jahren breitete sich die Megalithkultur in Westeuropa aus und hinterließ eine Fülle an gigantischen, rätselhaften Bauwerken: große Steinkreise wie in Stonehenge, kilometerlange Menhirreihen wie in Carnac oder gewaltige Dolmen – kammerartige Großsteingräber mit massiven Decksteinen. Wie die steinzeitlichen Erbauer es schafften, die tonnenschweren Steine von ihren teilweise hunderte Kilometer entfernten Ursprungsorten zu transportieren und aufzustellen, ist bis heute ein Rätsel.
Giganten selbst nach Megalith-Maßstäben
Dies gilt auch für den Dolmen von Menga in Andalusien – eines der größten und ältesten Megalith-Bauwerke Europas. Es besteht aus 32 Megalithen, von denen jeder einzelne größer und schwerer ist als die größten Steine von Stonehenge. 20 dieser Großsteine bilden die beiden Seitenwände des knapp 25 Meter langen Ganggrabs, fünf bilden die Decke. Weitere Megalithe bilden die Rückwand sowie aufrechte Pfeiler im Inneren der Anlage.
„Das 3800 bis 3600 vor unserer Zeitrechnung erbaute Menga sticht allein schon durch seine enorme Größe und das kolossale Gewicht seiner Steine hervor“, erklären José Antonio Lozano Rodríguez vom Ozeanografischen Institut der Kanaren und seine Kollegen. Allein der größte der fünf Decksteine von Menga wiegt gut 150 Tonnen – er ist der zweitgrößte Megalith Europas, übertroffen nur vom Grand Menhir bei Carnac. Wie die Steinzeit-Baumeister dieses Gewicht bewältigen und auf die Steinreihen hieven konnten, ist seit Jahrhunderten ein Rätsel.
Passgenau ineinandergefügt
Um dem Geheimnis von Menga und seiner Riesen-Megalithen auf die Spur zu kommen, haben Lozano Rodríguez und sein Team das Steinzeit-Bauwerk nun erstmals interdisziplinär analysiert – von den Fundamenten der Großsteine über ihre Bearbeitung bis hin zu einer Rekonstruktion der Techniken, mit denen die riesigen Steine in ihre Positionen verfrachtet wurden. „Dies ermöglicht einen ganz neuen Blick auf bisher ungelöste, entscheidende Fragen“, konstatieren die Forschenden.
Die Analysen enthüllten beispielsweise, dass die aufrechtstehenden Großsteine, sogenannte Orthostaten, in tief in den Felsuntergrund eingesenkten Gruben stehen – rund ein Drittel ihrer Länge steckt in diesen Sockelfundamenten. Die Orthostaten sind zudem in einem Winkel von rund 85 Grad in den Untergrund eingelassen, so dass sie sich leicht zueinander und nach innen neigen. Das machte das Bauwerk in Dachhöhe schmaler als am Grund.
„Diese schlaue Idee erlaubte es den Erbauern, die Breite der Decksteine zu reduzieren, die aus eher weichem bis mittelweichem Gestein bestanden und daher nicht sonderlich widerstandsfähig gegenüber Zugkräften waren“, schreibt das Team.
Eingesenkt statt aufgerichtet
Doch wie schafften es die Steinzeitmenschen, die riesigen Decksteine auf das Dach der Anlage zu heben? Auf Basis ihrer Messungen und geologischen Analysen haben Lozano Rodríguez und sein Team die Bauweise Schritt für Schritt nachvollzogen – und kommen zu einem überraschenden Schluss: Die Erbauer von Menga mussten die Decksteine gar nicht heben. Stattdessen stellten sie als erstes die seitlichen Reihen der aufrechten Megalithe auf, indem sie diese im Untergrund versenkten.
Diese seitlichen Großsteine wurden per Holzschlitten bis an den Rand der zuvor ausgehobenen Fundamentgruben gezogen und dann hineingekippt. Nacheinander wurden so die beiden seitlichen Wände des Galeriegrabs aufgestellt. Die Megalithe ragten nur wenig aus dem Untergrund heraus. „Durch diese Bauweise konnten sie die Orthostaten nahezu perfekt aneinander ausrichten. Dadurch verkeilten sie sich gegenseitig und bildeten eine solide, dauerhafte Steinkonstruktion“, erklären die Wissenschaftler.
Mit Holzschlitten auf das Dach
Der Clou dabei: Der spätere Innenraum des Dolmen war noch nicht ausgehöhlt, dadurch lag die Ebene des Dachs nur knapp über dem Felsuntergrund. Die tonnenschweren Decksteine konnten daher mit Holzschlitten bis an ihre spätere Position gezogen und präzise auf der Oberkante der Orthostaten platziert werden. „Erst nachdem die Decksteine platziert waren, wurde der Felsuntergrund darunter herausgehauen und so der Innenraum des Monuments geschaffen“, beschreiben Lozano Rodríguez und seine Kollegen das Prozedere.
Das enorme Gewicht der Decksteine wurde im fertigen Bau nicht nur durch zusätzliche Säulensteine gehalten, auch die Decksteine waren gezielt angepasst: Sie waren so behauen, dass sie eine leichte Bogenform bekamen. „Dies hilft, die Belastung vom Zentrum des Decksteins zu den Seiten hin abzuleiten“, schreiben die Forschenden. „Unseres Wissens nach ist dies die frühste menschengemachte Steinstruktur, die als ein solcher Entlastungsbogen fungiert“, erklärt das Team.
Zeugnis früher Ingenieurskunst und Wissenschaft
Zusammengenommen zeugt der Dolmen von Menga davon, wie durchdacht und fortschrittlich seine Erbauer schon vor rund 5.700 Jahre agierten. „Unsere Ergebnisse widersprechen völlig den Vorstellungen von ‚primitiven‘ und ‚groben‘ neolithischen Gesellschaften, die so lange das allgemeine und wissenschaftliche Denken prägten“, sagt Lozano Rodríguez. „Die Art, wie die Steine platziert wurden, liefert uns zahlreiche Belege des kreativen Genius und der frühen wissenschaftlichen Ingenieurskunst der Architekten und Ingenieure, die Menga entwarfen und erbauten.“
Nach Ansicht der Wissenschaftler demonstriert der Dolmen von Menga, welchen enormen technologischen Fortschritt die Megalithkultur mit sich brachte. „Menga repräsentiert nicht nur eine frühe Ingenieursleistung, sondern auch einen substantiellen Schritt vorwärts für die menschliche Wissenschaft, er spiegelt die Akkumulation fortgeschrittenen Wissens wider“, so Lozano Rodríguez und seine Kollegen. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adp1295)
Quelle: Science Advances, American Association for the Advancement of Science (AAAS)