Die neuzeitliche Geschichte von Gondwana, dem alten Superkontinent der Südhalbkugel, beginnt ironischerweise auf der Nordhalbkugel: in einer Region Zentralindiens namens Gondwana. „Das Wort ‚Gondwana‘ stammt von den Gond-Völkern in Zentralindien und ist nach ihnen benannt“, erklärt die Historikerin Alison Bashford. „Es bedeutet ‚Land der Gonds‘.“
Aus diesem Grund wird der urzeitliche Superkontinent manchmal als Gondwana und manchmal als Gondwanaland bezeichnet – letzteres, um ihn von der Region in Indien zu unterscheiden. Jarrod Hore, Umwelthistoriker der University of New South Wales im Team des Gondwana/Land-Projekts und Co-Direktor des Forschungsprogramms New Earth Histories, erklärt, dass die Entdeckung des alten Superkontinents mit der Suche der Menschen nach Kohle begann.
Ein fossiles Blatt machte den Anfang
„Anfang des 19. Jahrhunderts tauschten sich Geologen im indischen Satpura-Becken und im australischen Hunter-Becken über die Fossilien aus, die sie in der Kohle entdeckt hatten“, berichtet Hore. „Sie stellten fest, dass ein bestimmtes Fossil, das Glossopteris-Fossil, in beiden Kohlelagerstätten vorkam, obwohl diese Tausende und Abertausende von Kilometern voneinander entfernt waren.“
Bei diesem immer wieder auftauchenden Fossil handelte es sich um das Glossopteris-Blatt: ein zungenförmiges Blatt des urzeitlichen Glossopteris-Baumes. Von diesem wissen wir heute, dass er einst der häufigste Baum in Gondwanaland war. Bald häuften sich die Funde desselben Fossils in verschiedenen Regionen der Welt, was darauf hindeutete, dass diese Kontinente einst miteinander verbunden waren. Im Jahr 1885 schlug der österreichische Geologe Eduard Suess die Idee des alten Superkontinents vor und nannte ihn nach der Region in Indien „Gondwanaland“.
Gond ohne Land
Doch während dieser uralte Superkontinent nach und nach „entdeckt“ und rekonstruiert wurde, verloren die Menschen, die in der namensgebenden Region lebten, ihr Land. Bis zum 18. Jahrhundert herrschte das Volk der Gond über diesen Teil Zentralindiens, doch nach der Eroberung ihres Territoriums erst durch die Marathen, dann durch die Briten, blieben nur einige Rajas der Gond an der Macht.
„Das Volk der Gond wurde aus seiner Heimat vertrieben“, berichtet Bashford. „Zunächst durch Abholzung und dann durch den Kohleabbau.“ Bis heute gibt es in Zentralindien eine politische Partei, die „Gondwana Ganatantra Party“, die sich für die Rückkehr des Gond-Volkes nach Gondwana und für die Anerkennung Gondwanas als eigenen Staat einsetzt. Politische Führer, Dichter und Künstler der Gond haben sich manchmal sogar auf den alten Superkontinent als ursprüngliche Heimat der Gond bezogen.
Mehr als nur Geologie
„Dieser alte Superkontinent, den wir mit einer nüchternen geologischen Vergangenheit in Verbindung bringen, hat für sie eine sehr menschliche, kulturelle und soziale Bedeutung“, sagt Hore. „Es ist eine Geschichte, die mit dem Imperialismus zusammenhängt. Es ist eine Geschichte, die von der Ausbeutung von Rohstoffen zeugt. Es ist eine Geschichte, die von der Gewalt des Kolonialismus und der britischen Herrschaft in Indien geprägt ist.“
„Und es ist auch eine Geschichte, die mit der industriellen Revolution zusammenhängt, weil die Geologen des 19. Jahrhunderts nach Ressourcen für die Industrie suchten – insbesondere nach den fossilen Ressourcen, die Großbritannien damals zum reichsten Land der Welt machten“, erklärt der Umwelthistoriker weiter. „Diese Netzwerke und Ströme prägten auch die Wissenschaft und wissenschaftliche Ideen. Und es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, wenn wir über einen scheinbar neutralen Begriff wie Gondwanaland nachdenken.“