Alison Bashford ist Wissenschaftshistorikerin an der University of New South Wales in Australien – sie untersucht, was Historiker und Geologen früherer Zeiten über Gondwanaland dachten und wie sich diese Vorstellungen im Laufe der Zeit verändert haben. So waren Wissenschaftler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beispielsweise nicht davon überzeugt, dass die Idee der Plattentektonik überhaupt glaubwürdig sei, erklärt sie.
„Mit Atlantis in einem Topf“
Kein Wunder: Als Alfred Wegener – heute als Vater der Plattentektonik gefeiert – Anfang des Jahres 1912 seine Theorie von der Kontinentaldrift in einem Vortrag vorstellte, reagierten seine Fachkollegen mit Spott und Ablehnung. Die Idee von sich bewegenden Erdplatten und wandernden Kontinenten widersprach allem, was man damals zu wissen glaubte. Es dauerte noch fast ein halbes Jahrhundert, bis man die Theorie der Plattentektonik bewies und Wegener rehabilitierte. Bis dahin jedoch galt auch die Idee eines urzeitlichen Superkontinents als abwegig.
„Frühe Geologen haben Gondwanaland manchmal mit Atlantis in einen Topf geworfen“, sagt Bashford. „Sie wussten noch nicht wirklich, ob Gondwanaland existierte oder nicht. Es war eine Hypothese.“ Sogar der berühmte australische Antarktisforscher Douglas Mawson sei nicht davon überzeugt gewesen, dass Gondwanaland real sei, sagt sie. Er schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts sogar eine fiktive Geschichte darüber, wie er sich in Gondwanaland verirrte.
Ort für Science-Fiction und Zeitreisen
Aber Gondwanaland galt nicht nur bei Geologen und anderen Wissenschaftler als fiktiv: Es wurde auch zu einem mythischen Ort – und taucht bis heute häufig in der Science-Fiction auf. „Gondwanaland ist ein fast mythischer Raum und Ort“, sagt Bashford. „Es taucht überall in der Belletristik auf, vor allem in der Science-Fiction. Das liegt zum Teil an dem Wort selbst – das ‚Land‘ in Gondwanaland suggeriert einen fremden Ort, etwas Jenseitiges.“
Von J.B. Rowleys Kinderserie „Trapped in Gondwana“ bis hin zum frankbelgischen Comic „Le sanctuaire du Gondwana“ gibt es zahlreiche Beispiele für das Auftauchen von Gondwanaland in der Belletristik. Die Geschichten richten sich oft an Kinder oder junge Erwachsene und folgen oft dem Science-Fiction-Motiv des Zeitreisenden, der durch einen Riss in der Erde an einen anderen Ort und in eine andere Zeit fällt. Wenn die Figuren dann an dem mythischen Ort – in diesem Fall Gondwanaland – angekommen sind, müssen sie versuchen, den Weg zurück nach Hause zu finden.
„Die Idee von Gondwanaland suggeriert eine Wildnis, eine reine Erde vor dem Menschen“, erläutert Bashford. „Dieser halb mythische, halb reale Ort aus der Tiefe der Zeit lässt sich sehr leicht in unsere Vorstellungen integrieren, und genau das geschieht jetzt.“
Gondwana als Marke und Werbe-Masche
Dies gilt vor allem für Australien: Trotz der etymologischen und geologischen Wurzeln, die Gondwanaland mit Indien verbinden, denken viele Australier, dass der Begriff „Gondwanaland“ zu ihnen gehört. „Die Australier gehen oft davon aus, dass es sich um ein indigenes Wort handelt“, sagt Bashford. Dadurch sei Gondwanaland zu einer der erfolgreichsten und bekanntesten „Marken“ Australiens geworden. „Wenn man sich die ABN-Liste ansieht, gibt es etwa 350 Unternehmen mit ‚Gondwana‘ oder ‚Gondwanaland‘ in ihrem Namen“, sagt sie. Die „Australian Business Number“-Liste (ABN) entspricht in etwa unseren deutschen Handelsregistern, in denen Informationen über eingetragene Unternehmen öffentlich einsehbar sind.
In der australischen ABN-Liste schmücken sich die unterschiedlichsten Firmen mit dem Bezug auf Gondwana: von einem Day Spa über eine Kunstgalerie bis hin zum berühmten australischen Kinderchor. „Gondwana“ wird sogar für Unternehmen verwendet, deren Ziele klar entgegengesetzt sind – zum Beispiel ein Umweltschutzunternehmen und eine Firma, die mineralische Rohstoffe abbaut, wie die Historikerin erklärt.
Einzigartig für Australien
„Ich bin wohl eine typische, von meinem Thema besessene Akademikerin, aber ich besuche noch immer dreimal pro Woche die ABN-Website, gebe Gondwanaland ein und gehe die Liste noch einmal durch. Immer wieder erstaunt mich die Popularität dieses Wortes in Australien“, sagt Bashford. „Warum Australien sich Gondwanaland auf diese Weise aneignet, ist eine unserer Forschungsfragen. Denn in Indien ist das nicht der Fall. Und auch nicht in Südafrika. Es ist sehr speziell für uns.“
Ein Teil der Anziehungskraft von „Gondwanaland“ als Marke für Australier ist wahrscheinlich die Tiefe von Zeit und Raum, die dieser Name hervorruft, wie die Forscherin erklärt. Es suggeriere etwas Uraltes und Reines und rufe daher eine positive Reaktion hervor. „Wenn das Wort urheberrechtsfähig wäre, gäbe es darauf längst ein Copyright“, sagt Bashford.
Doch trotz der positiven Assoziationen: Nach Ansicht des Umwelthistorikers Jarrod Hore ist es wichtig im Hinterkopf zu behalten, auf welche Weise Begriffe „Gondwana“ oder „Gondwanaland“ umgeprägt und angeeignet wurden. „Die kolonialen Prozesse, die die Wissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt haben, scheinen ein weit weg zu sein, aber der Begriff Gondwanaland hat in Australien immer noch ein großes kulturelles Gewicht“, sagt er. „Wir sollten die kolonialen Ursprünge und Verwendungen daher kennen.“