Originelle Fluchttaktik: Wenn junge Japanische Aale von einem Raubfisch gefressen werden, können sie aus dessen Magen wieder entkommen. Wie sie diese Flucht bewerkstelligen, haben nun Biologen erstmals mithilfe von Röntgen-Videos mitverfolgt. Demnach wühlen sich die Aale rückwärts zurück in die Freiheit, indem sie ihre Schwanzspitze durch die Speiseröhre und weiter durch die Kiemen der Fische bohren. Erst zum Schluss folgt der Kopf der Aale.
Viele Beutetiere haben ausgeklügelte Verteidigungsstrategien, um nicht von ihren potenziellen Raubtieren gefressen zu werden. Einige Wirbellose und Fische sind sogar in der Lage, selbst nach dem Gefressenwerden noch zu entkommen, indem sie aus dem Maul oder den Atemwegen des Fressfeinds entwischen. Dazu zählen auch die Japanischen Aale (Anguilla japonica): Wenn sie von Raubfischen verschluckt werden, tauchen sie einige Momente später über deren Kiemen wieder auf, wie Biologen wiederholt beobachtet haben.
Röntgen-Kamera erlaubt detaillierte Einblicke
Doch wie gelingt den Aalen das? „Da sich die Flucht im Körper des Raubtiers abspielt, wussten wir nicht, wie sich die Aale dabei verhalten und auf welchem Weg sie entkommen“, sagt Yuha Hasegawa von der Universität Nagasaki in Japan.
Ein Team um Hasegawa hat nun einen Weg gefunden, die Fluchtroute der Aale sichtbar zu machen: Mithilfe einer Röntgen-Kamera filmten die Forschenden das Innere von Raubfischen der Art Odontobutis obscura, während diese junge Aale verschluckten, sowie deren anschließende Flucht. Um die rund sieben Zentimeter langen Aale im etwa doppelt so großen Fischkörper sichtbar zu machen, spritzen sie diesen zuvor ein Kontrastmittel. Insgesamt filmten die Biologen das Schicksal von 32 verspeisten Aalen.
Rückwärts aus dem Magen
Die Videos zeigen, wie die Aale zunächst am Stück und lebendig verschluckt werden, woraufhin sie im Magen der Fische landen. Einige der Aale suchen dann nach einem Ausgang aus dem Magen und kreisen darin umher, wie die Aufnahmen belegen. Von den 32 Aalen versuchten schließlich 28, den Rückweg anzutreten. Überraschenderweise schwammen sie dabei jedoch nicht mit ihrem Kopf voran, sondern rückwärts.
Fluchtvideo eines Japanischen Aals
Für diese Flucht im Rückwärtsgang manövrierten die kleinen Aale ihre robuste Schwanzspitze erst durch die Speiseröhre des Fisches und anschließend weiter durch dessen Kiemenspalten. 13 Aalen gelang es so, ihren Schwanz aus dem Fischkörper zu strecken, und neun Aalen gelang die gesamte Flucht in die Freiheit. Als letztes zogen sie dabei ihren Kopf aus den Kiemen, indem sie ihren bereits befreiten Körper zusammenrollten. Für den ganzen Weg benötigten sie im Schnitt nur 56 Sekunden.
„Einzigartige Verteidigungstaktik“
Damit nehmen die Aale einen anderen Fluchtweg als vermutet. „Zu Beginn des Experiments spekulierten wir, dass die Aale direkt aus dem Maul des Raubtiers in die Kieme entweichen würden“, sagt Kawabata. Erstaunlicherweise entkommen die Aale jedoch erst später, wenn sie schon im Magen des Raubfischs angekommen sind. Das ist deutlich komplizierter, weil sie zunächst die Speiseröhre finden müssen. Dafür haben sie nur etwa 3,5 Minuten Zeit, bevor sie von der sauren Umgebung im Magen getötet werden, wie das Team feststellte.
„Wir haben damit eine einzigartige Verteidigungstaktik bei jungen Japanischen Aale entdeckt“, sagt Seniorautor Yuuki Kawabata von der Universität Nagasaki. „Diese Studie ist die erste, die die Verhaltensmuster und Fluchtprozesse von Beutetieren im Verdauungstrakt von Raubtieren beobachtet.“ In Folgestudien wollen die Biologen mit der Röntgen-Kamera nun die Interaktion von anderen Beutetieren und ihren Jägern analysieren.
Zudem wollen sie herausfinden, warum manchen Aalen die Flucht gelingt, anderen jedoch nicht. „Die Ergebnisse legen nahe, dass für eine erfolgreiche Flucht insbesondere die Zeit bis zum Austritt des Schwanzes aus den Kiemen des Raubtiers entscheidend ist“, schreiben Hasegawa und seine Kollegen. Sie wollen nun genauer herausfinden, warum das nicht immer klappt. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.07.023)
Quelle: Cell Press