Entwicklungsbiologie

Einzelkinder kommen früher in die Pubertät

Wie Geschwister den Beginn der Pubertät beeinflussen

Symbolbild Familie: Zwei Mädchen und ein Mann auf einem Sofa
Ob Kinder mit leiblichen, Halb- oder Stiefgeschwistern oder ganz ohne Geschwister aufwachsen, hat Einfluss auf ihre Entwicklung. © PGGutenbergUKLtd / iStock

Familieneffekt: Einzelkinder kommen deutlich früher in die Pubertät als Kinder, die leibliche Geschwister haben, wie eine Studie zeigt. Demnach entwickeln ohne Brüder oder Schwestern aufwachsende Kinder bis zu fünf Monate früher Geschlechtsmerkmale. Ähnliches gilt für Kinder mit Halb- und Stiefgeschwistern. Aber warum? Die Ursache für diesen Geschwister-Effekt ist bisher nicht eindeutig geklärt. Es gibt aber erste Theorien.

Zwischen Geschwistern herrscht eine ganz besondere Verbindung. Das Zusammenleben in einer Familie prägt sie als Kinder und sorgt dafür, dass sie sich umeinander kümmern, jedoch später keine sexuelle Beziehung miteinander eingehen. Aber beeinflusst die Beziehung zu unseren Geschwistern auch, wann wir sexuell aktiv werden und in die Pubertät kommen?

In den letzten beiden Jahrhunderten hat die Pubertät bei Kindern immer früher eingesetzt. Studien legen nahe, dass dies vor allem auf eine bessere Ernährung und Gesundheit zurückzuführen ist. Als mögliche Nebenursachen werden aber auch die veränderten Familienkonstellationen diskutiert: Familienhaushalte beinhalten inzwischen immer weniger Kinder, weil die Eltern später mit der Familienplanung beginnen, sich häufiger trennen und neue Partner suchen.

Geschwistervergleich

Wie sich die Familienkonstellation auf den Beginn der Pubertät auswirkt, hat nun ein Team um Katrine Andersen von der Universität Aarhus untersucht. Dafür werteten die Forschenden die Daten von 10.657 Kindern in Dänemark aus, von denen halbjährliche Berichte über ihre Entwicklung vorlagen – ab dem Alter von elf Jahren und durch die Pubertät hindurch.

Erfasst wurden verschiedene Geschlechtsmerkmale wie das Wachstum von Brust und Genitalien sowie Scham- und Achselhaaren. Auch der Zeitpunkt der ersten Menstruation beziehungsweise Ejakulation und das Einsetzen von Stimmbruch und Akne sind Indikatoren für die einsetzende Geschlechtsreife. Diese Daten verglichen Andersen und ihre Kollegen mit Angaben zur familiären Situation der Kinder.

Bis zu fünf Monate früher in der Pubertät

Dabei zeigte sich, dass Geschwister tatsächlich die Entwicklung der Kinder beeinflussen. Einzelkinder und solche, die Halb- oder Stiefgeschwister haben, kommen demnach deutlich früher in die Pubertät. „Wir fanden heraus, dass Einzelkinder bis zu fünf Monate früher in die Pubertät kommen als Kinder mit ausschließlich leiblichen Geschwistern“, berichtet Seniorautorin Anne Gaml-Sørensen von der Universität Aarhus. Bei Mädchen waren es im Schnitt 5,5 Monate, bei Jungen 4,5 Monate.

Bei Mädchen mit ausschließlich Halb- oder Stiefgeschwistern begann die Pubertät indes durchschnittlich 2,2 Monate früher, bei Jungen rund 1,2 Monate früher. Bei dieser Konstellation war der Effekt demnach weniger stark ausgeprägt als bei Einzelkindern. Ebenfalls schwächer war er, wenn die Kinder sowohl leibliche als auch nicht-leibliche Geschwister hatten. Mädchen kamen dann 1,2 und Jungen 1,4 Monate früher in die Pubertät.

Stress durch fehlende oder wechselnde Geschwister?

Andersen und ihre Kollegen führen dies auf die Dynamik innerhalb der Familien zurück, die sich je nach Anzahl und Beziehung der Kinder unterscheidet. Allerdings scheint dabei die reine Zahl der Geschwister nicht den Ausschlag zu geben – denn dann müssten Halb- und Stiefgeschwister denselben Effekt auf die Pubertät haben wie Vollgeschwister.

Das Team vermutet deshalb, dass Veränderungen der Familienzusammensetzung, beispielsweise durch Trennung der Eltern und Bildung von Patchworkfamilien, einen ähnlichen Effekt haben wie das Aufwachsen als Einzelkind. Sollte dies zutreffen, könnte innerfamiliärer Stress ein Auslöser für die frühere Geschlechtsreife sein. Allerdings wurde der Zeitpunkt, an dem die „neuen“ Geschwister in die jeweiligen Familien kamen, in der Studie nicht erfasst. Daher lässt sich diese Annahme nicht eindeutig belegen.

Für familiären Stress als Einflussfaktor sprechen aber auch frühere Studien, wonach Kinder, die ohne Vater aufwachsen, ebenfalls früher in die Pubertät kommen können. In ihrer aktuellen Analyse fanden Andersen und ihre Kollegen jedoch keinen Zusammenhang mit der Abwesenheit eines Elternteils. Auch Scheidungen und psychischer Stress schienen den Pubertätsbeginn der Kinder nicht zu beeinflussen.

Sind die Gene schuld?

Doch es gibt auch eine mögliche genetische Erklärung für das Geschwisterphänomen. „Wenn Kinder Vollgeschwister haben, kann es für sie evolutionär vorteilhaft sein, in deren Gesundheit zu investieren, damit sie ihre gemeinsamen Gene weitergeben können“, erklärt Koautorin Cecilia Ramlau-Hansen, ebenfalls von der Universität Aarhus. Dieser tief in der Biologie verankerte, nicht bewusste Effekt könnte demnach über noch nicht geklärte Mechanismen das Einsetzen der Geschlechtsreife bei Vollgeschwistern verzögern.

„Wenn sie jedoch- Halb- oder Stiefgeschwister haben, ist die genetische Verwandtschaft schwächer. Dann kann es vorteilhafter sein, durch einen früheren Eintritt in die Pubertät ihre eigene Fortpflanzung zu sichern“, erklärt Ramlau-Hansen.

Keine Ratschläge für Eltern

Die Analyse zeigt zwar nur Trends in der dänischen Bevölkerung auf, deckt sich aber teils mit früheren Erkenntnissen zum Pubertätsbeginn bei Mädchen aus den USA, Großbritannien und Tschechien. „Unsere Studie zeigt nur Trends auf Populationsebene auf, es geht nicht um individuelle Fälle“, betont Gaml-Sørensen. „Daher lassen sich daraus keine konkreten Ratschläge dazu ableiten, wie man seine Familie strukturieren sollte.”

In Folgestudien wollen die Forschenden nun genauer untersuchen, wie verschiedene Familienstrukturen die Kindesentwicklung beeinflussen. „Spannend wäre es etwa, Kinder von Wahl-Alleinerziehenden oder Kinder aus Familien mit zwei Müttern zu untersuchen. Es erfordert jedoch einen großen Datensatz, um starke Schlussfolgerungen zu ziehen“, erklärt Gaml-Sørensen. (Annals of Epidemiology, 2024; doi: 10.1016/j.annepidem.2024.08.004)

Quelle: Universität Aarhus

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