„Ground Zero“ der Pandemie: Neue Analysen erhärten den Verdacht, dass die Corona-Pandemie vom Wildtiermarkt in Wuhan ausging – und liefern erstmals eine „Shortlist“ der potenziellen Überträgertiere. Demnach häuften sich mit SARS-CoV-2 kontaminierte Proben rund um einen Stand, der Marderhunde und Schleichkatzen aus dem Süden des Landes verkaufte. Beide Arten waren schon Überträger der SARS-Pandemie von 2002/2003 und stehen auch für SARS-CoV-2 als Zwischenwirte im Verdacht.
Woher kam das Coronavirus SARS-CoV-2? Seit Jahren wird darüber gestritten, ob der Erreger von Covid-19 von einem Wildtier auf den Menschen übergesprungen ist oder ob das Virus vielleicht doch aus einem Labor freigesetzt wurde. Denkbar wäre beides, denn in Wuhan gibt es ein Virologie-Labor, in dem an Fledermaus-Coronaviren geforscht wurde. Gleichzeitig legten schon 2022 erste Analysen von Proben aus dem Huanan-Wildtiermarkt in Wuhan nahe, dass dort verkaufte Wildtiere mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen sind.
Neue Analysen der Proben aus Wuhan
Jetzt gibt es neue Informationen aus Wuhan. Ein Team unter Leitung von Michael Worobey von der University of Arizona hat erneut Probendaten analysiert, die am 1. Januar 2020 von der chinesischen Seuchenbehörde im Huanan-Wildtiermarkt in Wuhan gesammelt wurden. Die Forschenden analysierten die von Tierständen, Oberflächen und Abwasserrinnen stammende DNA und RNA sowohl auf die Präsenz von SARS-CoV-2 hin als auch auf die genaue genetische Linie des Virus.
Anders als in früheren Studien bestimmte das Team diesmal auch genauer, welche Tiere in den am stärksten mit dem, Coronavirus kontaminierten Marktständen präsent waren. Das ermöglichte es ihnen, eine „Shortlist“ der potenziellen Überträgertiere und ihrer Herkunft zu erstellen. „Wir haben die Daten auf neue, gründliche Weise analysiert und zeigen, wie es mit den restlichen Belegen zusammenpasst, die wir über den Beginn der Pandemie schon haben“, sagt Worobey. „Es ist ein letztes Puzzlestück in dem bereits relativ klaren Bild.“
Südwestecke des Markts als Seuchenherd
Die neuen Analysen bestätigen, dass eine bestimmte Ecke im Wildtiermarkt von Wuhan besonders stark mit SARS-CoV-2 kontaminiert war: Das Coronavirus fand sich vermehrt an Käfigen und auf anderen Oberflächen eines Stands in der Südwestwecke des Markts. „Auch die umgebenden Stände hatten erhöhte Raten von Corona-positiven Proben und die Abwasser-Abflüsse rund um diesen Wildtierstand testeten ebenfalls positiv auf SARS-CoV-2“, berichten die Forschenden.
Die starke Häufung der Virusproben in nur einer Ecke des Markts spricht nach Ansicht von Worobey und seinem Team gegen die Hypothese, nach der nicht die Tiere, sondern infizierte Menschen das Coronavirus in den Markt einschleppten und ihn zu einem Hotspot der Pandemie machten. „Da sich die Menschen überall auf dem Markt bewegten, die Tiere aber nur in einer Ecke des Markes verkauft wurden, erscheint diese Häufung unplausibel für eine rein humane Eintragung, wie zum Beispiel durch einen Besucher“, kommentiert auch die nicht an der Studie beteiligte Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf.
Marderhunde und Schleichkatzen aus dem Süden
Gestützt wird dies durch die erste genauere Bestimmung der Wildtiere, die an dem am stärksten kontaminierten Stand und in seiner Nachbarschaft präsent waren. Wie die Forschenden ermittelten, war an diesem Stand am häufigsten die Gensignatur von Marderhunden (Nyctereutes procyonoides) und Schleichkatzen (Paguma larvata) zu finden. In geringem Maße auch von Bambusratten (Rhizomys pruinosus), Amurigel (Erinaceus amurensis) und dem Malaiischen Stachelschwein (Hystrix brachyura).
Vor allem Marderhunde und Schleichkatzen stehen schon länger im Verdacht, Zwischenwirte für Coronaviren zu sein. „Dies sind die gleichen Tierarten, die schon im Jahr 2002 den Artsprung des SARS-Virus auf den Menschen erleichtert haben“, erklärt Worobey. Nähere Analysen ergaben zudem, dass zumindest ein Teil dieser Wildtiere aus Regionen südlich von Wuhan stammte – Gebieten, in denen sich SARS-CoV-2 entwickelt und erste Infektionen von Zwischenwirten und Menschen verursacht haben könnte.
Gestützt wird dies durch die genetische Typisierung der im Wildtiermarkt nachgewiesenen Coronaviren. „Dies demonstriert, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der im Huanan-Markt nachgewiesenen SARS-CoV-2-Viren genetisch identisch mit dem gemeinsamen Vorfahren des Auslösers der gesamten Pandemie war“, schreiben die Wissenschaftler.
Starke Indizien
Dem Szenario des Teams zufolge könnten die Händler am Stand A demnach schon vor Januar 2020 infizierte Wildtiere in den Wildtiermarkt gebracht und sich auch selbst infiziert haben. Der dortige Kontakt mit vielen Menschen auf engem Raum war dann der Faktor, der dem Coronavirus die schnelle Ausbreitung ermöglichte. „Das ist das riskanteste, was wir tun können: Wilde Tiere einfangen, die vor Viren nur so strotzen, und sie dann ins Herz großer Städte bringen, deren Populationsdichte es den Viren leicht machen, Fuß zu fassen“, sagt Worobey.
Allerdings: Für den endgültigen Nachweis dieser Wildtiere als Pandemie-Ursache fehlen direkte Blut- oder Speichelproben der Tiere von diesem Wildtierstand. Weil der Markt zum Zeitpunkt der Beprobung schon geschlossen war, konnten diese entscheidenden Belege aber nicht mehr sichergestellt werden. Dennoch halten die Forschenden ihre Ergebnisse für starke Indizien dafür, dass die Corona-Pandemie tatsächlich in Wildtieren und nicht in einem Labor ihren Ursprung hatte.
Potenziell zoonotische Influenzaviren waren auch präsent
Ein weiterer Befund unterstreicht die Brisanz des Wildtiermarkts und des mit ihm verknüpften Tierhandels: In den Proben aus der am stärksten kontaminierten Ecke des Wildtiermarkts wurde neben SARS-CoV-2 auch weitere Tierviren nachgewiesen. Darunter waren in Hundeartigen und igeln verbreitete Coronaviren, aber auch das Influenzavirus H9N2. Dieses ursprünglich bei Vögeln verbreitet Grippevirus wurde in China bereits früher in Schleichkatzen nachgewiesen und hat auch schon Menschen infiziert.
„Nicht alle diese Viren haben das Potenzial, eine Pandemie zu starten, aber wenn man in eine solche Umgebung wie den Markt bringt, ist das wie ein Zündfunke in einem Pulverfass“, sagt Worobey. (Cell, 2024; doi: 10.1016/j.cell.2024.08.010)
Quelle: Cell Press, University of Arizona