Lebens-Alphabet erweitert: Forschende haben die DNA so verändert, dass sie auch synthetische Aminosäuren kodieren kann. Diese nicht in der Natur vorkommenden Proteinbausteine werden durch vier statt drei DNA-Buchstaben repräsentiert – können aber dennoch von Zellen korrekt ausgelesen und umgesetzt werden, wie Experimente belegen. Dies eröffnet die Chance, neuartige Proteine für Medizin und Technik auf mikrobiologischem Wege zu erzeugen, wie das Team in „Nature Biotechnology“ berichtet.
Die DNA enthält die Bauanleitung für alle Proteine, die ein Lebewesen ausmachen. Dieser Code des Lebens besteht aus verschiedenen Abfolgen der vier Nukleotide mit den Basen Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und Cytosin (C). Jeweils drei dieser DNA-Buchstaben bilden ein Codon, das den Proteinfabriken der Zelle verrät, welche von 20 Aminosäuren als nächstes in ein Protein eingebaut werden soll. Dabei liefern Transfer-RNAs (tRNAs) die zu dem jeweiligen Codon passende Aminosäure.
Um die Vielfalt möglicher Proteine zu erhöhen, versuchen Forschende, zusätzlich zu den 20 kanonischen Aminosäuren weitere, künstliche Aminosäuren einzuschleusen. In früheren Experimenten ist es bereits gelungen, den genetischen Code zu diesem Zweck um zwei Buchstaben zu erweitern. Andere Ansätze haben versucht, tRNAs so umzuprogrammieren, dass sie anstelle einer kanonischen Aminosäure eine synthetische liefern. Das erfordert allerdings weitreichende Umbauten im Genom.
Vier Buchstaben statt drei
Ein Team um Alan Costello vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla hat nun einen Ansatz entwickelt, mit dem sich die Bauanleitungen für nicht-kanonische Aminosäuren einfacher als bisher erzeugen lassen. Dabei ließen sich die Forschenden von Bakterien inspirieren: Manche schnell mutierenden Bakterien nutzen neben den üblichen Triplet-Codons aus drei Buchstaben in seltenen Fällen auch Codons aus vier Buchstaben.
„Quadruplet-Codons bieten eine Möglichkeit zur Diversifizierung, da sie 255 nicht-kanonische Aminosäuren plus ein Stopp-Codon codieren können“, erklären Costello und sein Team. Da die Vierer-Codons noch keine von der Natur festgelegte Bedeutung haben, lassen sich maßgeschneiderte tRNAs erzeugen, die den neuen Quadruplets verschiedene nicht-kanonische Aminosäuren zuordnen.
Verstehen Zellen den neuen Code?
Doch wie lässt sich der Translationsapparat einer Zelle dazu bringen, Vierer- statt Dreier-Codons abzulesen? Wie sich zeigte, können Bakterien durch gezielte Zucht lernen, diese Bauanleitungen zu verstehen und umzusetzen. „Wir haben festgestellt, dass Quadruplet-Codons bevorzugt dann abgelesen werden, wenn sich direkt dahinter besonders häufig genutzte Triplet-Codons befinden“, berichten die Forschenden.
Mit diesem Wissen gelang es Costello und seinen Kollegen, die Sequenz eines einzelnen Gens so zu verändern, dass es an der gewünschten Stelle ein Vierer-Codon enthielt. Wenn sich unter den darauf folgenden Triplets selten genutzte befanden, ersetzten die Forschenden diese durch häufigere Varianten, die für die gleiche Aminosäure codieren. Das solcherart veränderten Gen schleuste das Team daraufhin Escherichia coli-Bakterien ein, um zu testen, ob deren Zellmaschinerie die Bauanleitungen umsetzen konnte.
Bakterium erzeugt in der Natur nicht vorkommende Peptide
Das Ergebnis: Tatsächlich begannen die Darmbakterien, auf Basis ihres manipulierten Gencodes nun auch künstliche, dem Nährmedium zugesetzte Aminosäuren zu verarbeiten und in Proteine zu integrieren. Das Team erzeugte dadurch mehr als 100 neuartige zyklische Peptide, die jeweils bis zu drei nicht-kanonische Aminosäuren enthielten. „Unsere optimierten Bauanleitungen katalysieren den effizienten Einbau von mehreren neuartigen, nicht-kanonischen Aminosäuren in Proteine“, berichten die Wissenschaftler.
Im Vergleich zu früheren Ansätzen ist die Methode den Forschenden zufolge einfacher zu handhaben, da nur das jeweilige Zielgen verändert werden muss und nicht das gesamte Genom einer Zelle. „Das Schöne an diesem Konzept ist, dass es sehr einfach in verschiedene Arbeitsabläufe integriert werden kann, da es nur ein durchdachtes Gendesign erfordert“, schreibt Matthew Hartman, von der Virginia Commonwealth University in Richmond, der nicht an der Studie beteiligt war, in einem begleitenden Kommentar.
Anwendungen in Biotechnologie und Medizin
Damit ermöglicht es diese Methode, maßgeschneiderte, in der Natur nicht vorkommende Biomoleküle auf mikrobiologischem Wege zu erzeugen – beispielsweise für die Medizin. „Die zyklischen Peptide erinnern an kleine bioaktive Moleküle, die man in der Natur finden kann“, sagt Costellos Kollege Ahmed Badran. „Indem wir die Programmierbarkeit der Proteinsynthese und die Vielfalt der Bausteine, die mit diesem Ansatz zugänglich sind, nutzen, können wir kleine Moleküle schaffen, die in der Natur nicht vorkommen und spannende Anwendungsmöglichkeiten in der Arzneimittelforschung eröffnen.“
„Unser Ziel ist die Entwicklung von Proteinen mit maßgeschneiderten Funktionen für Anwendungen in den Bereichen Bioengineering und Arzneimittelforschung“, sagt Badran. „Die Möglichkeit, mit dieser neuen Methode nicht-kanonische Aminosäuren in Proteine einzubauen, bringt uns diesem Ziel näher.“ (Nature Biotechnology, 2024, doi: 10.1038/s41587-024-02385-y)
Quelle: Scripps Research Institute