Archäologie

Weiterer Toter der fatalen Franklin-Expedition identifiziert

DNA-Abgleich enthüllt Identität von Crew-Mitglied der Polarexpedition

James Fitzjames
Foto (Daguerreotypie) von James Fitzjames, aufgenommen von Richard Beard im Mai 1845. © Foto mit freundlicher Genehmigung von Sotheby's

Gesicht einer Katastrophe: Anthropologen haben einen weiteren Toten der 1848 fatal gescheiterten Arktisexpedition um den Polarforscher John Franklin identifiziert. Es handelt sich um James Fitzjames, den Kommandanten der „Erebus“, wie DNA-Analysen seiner Überreste und genetische Vergleiche mit heutigen Nachfahren ergaben. Fitzjames gehörte zu den Expeditionsteilnehmern, die nach ihrem Tod Opfer von Kannibalismus unter der Crew wurden, wie Schnittspuren auf seinen Knochen belegen. Das wirft neues Licht auf das verzweifelte Ende der Expedition.

Im Jahr 1845 startete der britische Polarforscher und Marineoffizier John Franklin eine Schiffsexpedition, um von England aus die sagenumwobene Nordwestpassage durch das arktische Nordamerika zu suchen und zu durchqueren. Dieser Seeweg sollte die Route von Europa nach Ostasien abkürzen und eine Alternative zum langen Weg um die Südspitze Südamerikas sein. Durch den Klimawandel ist diese Passage inzwischen immer häufiger eisfrei und könnte künftig als Handelsroute an Bedeutung gewinnen.

Schiffsexpedition endete im Fiasko

Doch im September 1846 erwies sich die Nordwestpassage als unpassierbar: Die Schiffe der Franklin-Expedition, „HMS Erebus“ und „HMS Terror“, blieben mitsamt ihrer 128-köpfigen Besatzung im kanadischen Packeis stecken. Nach dem Tod von Franklin 1847 versuchten die verbleibenden Männer, die Arktis in Rettungsbooten und später zu Fuß zu verlassen, wie Augenzeugenberichte der Inuit und Notizen der Besatzung belegen. Doch keiner überlebte.

Studien zufolge könnten Kälte, Hunger, Tuberkulose und ein starker Zinkmangel das Ende der Männer beschleunigt haben. Was genau gegen Ende der Expedition geschah, ist jedoch nicht dokumentiert und weiterhin unklar. Erst gut zehn Jahre nach dem Ausbruch der Franklin-Expedition wurden bei Suchexpeditionen die Überreste einiger Seemänner gefunden, unter anderem in der Gegend um King William Island im kanadischen Nunavut. Auf der Insel fand man 451 Knochen von 13 der vermissten Seemänner.

Im Jahr 2021 identifizierten Forschende einen der auf King William Island verstorbenen Seefahrer mithilfe von Genanalysen als John Gregory, der als Ingenieur an Bord der „HMS Erebus“ war. Ein anderes Expeditionsmitglied der „HMS Terror“, dessen Leiche in einem Grab auf der nahe gelegenen Beechey Island gefunden wurde, wurde als John Hartnell identifiziert.

3D-Scan des Unterkiefers von James Fitzjames mit Schnittspuren
3D-Scan des Unterkiefers von James Fitzjames (NgLj-2:226) offenbart Positionen und Abdrücke von Schnittmarken, die mit Kannibalismus übereinstimmen. © Vinylpolysiloxan-Abdrücke von A. Keenleyside aus dem Jahr 1993

Unterkiefer gehört zu James Fitzjames

Nun hat ein Team um Douglas Stenton von der University of Waterloo in Kanada die sterblichen Überreste eines weiteren Mitglieds der Franklin-Expedition identifiziert. Dafür analysierten die Anthropologen die DNA aus den gefundenen Knochen, Zähnen und Haaren und glichen diese mit DNA-Proben aus Wangenabstrichen von heute lebenden Nachfahren der damaligen Schiffsbesatzung ab. „Wir sind dieser Familie sehr dankbar, dass sie ihre Geschichte mit uns geteilt und DNA-Proben zur Verfügung gestellt hat“, sagt Stenton.

„Wir arbeiteten mit einer Probe von guter Qualität, die es uns ermöglichte, ein Y-Chromosomenprofil zu erstellen, und wir hatten das Glück, eine Übereinstimmung zu erhalten“, ergänzt Koautor Stephen Fratpietro von der Lakehead University. Demnach war der Tote James Fitzjames – als Kapitän der „Erebus“ einer der Expeditionsleiter, der noch im April 1848 eine letzte kurze Notiz über den Verlauf der Expedition hinterließ. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt noch 105 Männer am Leben.

Knochenspuren belegen Kannibalismus

„Die Identifizierung von Fitzjames‘ sterblichen Überresten liefert neue Erkenntnisse über das traurige Ende der Expedition“, sagt Stenton. Denn Fitzjames‘ Unterkiefer gehört auch zu jenen Knochen, die zahlreiche Schnittspuren aufwiesen – ein Zeichen für Kannibalismus unter den Überlebenden des Schiffsunglücks. Rund ein Viertel der gefundenen Menschenknochen auf King William Island weisen solche Spuren auf, wie eine frühere Studie ergab. Sie gehörten zu mindestens vier Männern, die dort gestorben sind.

Fitzjames, zum Zeitpunkt seines Todes wahrscheinlich Vizekommandeur der Expedition, war offenbar einer von ihnen, wie die Studie nun belegt. „Dies zeigt, dass er zumindest vor einigen der anderen Seeleute starb und dass weder Rang noch Status das bestimmende Prinzip in den letzten verzweifelten Tagen der Expedition waren, als sie versuchten, sich selbst zu retten“, sagt Stenton. Demnach waren die überlebenden Männer gezwungen, das Fleisch ihrer toten Kameraden zu essen, um nicht zu verhungern.

Douglas Stenton am Steinhaufen an der archäologischen Stätte NgLj-2, wo die sterblichen Überreste von James Fitzjames und zwölf weiteren Matrosen der Franklin-Expedition ruhen
Douglas Stenton am Steinhaufen an der archäologischen Stätte NgLj-2, wo die sterblichen Überreste von James Fitzjames und zwölf weiteren Seeleuten der Franklin-Expedition ruhen. © R. Park

Forschungsexpedition wird zur Horrorgeschichte

Seit dem fatalen Ende der Franklin-Expedition in der Arktis vor 176 Jahren wurden viele spekulative Bücher und Artikel über ihr endgültiges Schicksal geschrieben. Zuletzt hatte eine TV-Miniserie die Expedition in eine Horrorgeschichte über Kannibalismus verwandelt. „Akribische archäologische Forschungen wie diese zeigen, dass die wahre Geschichte genauso interessant ist und dass es noch mehr zu lernen gibt“, sagt Seniorautor Robert Park von der University of Waterloo.

Stenton und seine Kollegen hoffen, durch DNA-Vergleiche künftig weitere Mitglieder der Franklin-Expedition identifizieren zu können, und wollen dafür mit anderen Nachkommen zusammenzuarbeiten. Die Überreste von Fitzjames ruhen jetzt neben der archäologischen Stätte auf King William Island in einem Steinhaufen, an dem eine Gedenktafel angebracht ist. (Journal of Archaeological Science: Reports; 2024; doi: 10.1016/j.jasrep.2024.104748)

Quelle: University of Waterloo

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