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Physik

Brodelndes Gammaglühen in Gewittern entdeckt

Neuartige, flackernde Gammastrahlen-Emissionen erstrecken sich über tausende Kilometer

Gammaglühen von Gewitterwolken
Könnten wir Gammastrahlen sehen, würden Gewitterwolken von oben brodelnd leuchten und glühen. Mit einem umgebauten Spionageflugzeug haben Forschende dieses flackernde Gammaglühen nun nachgewiesen. © The ALOFT team / Mount Visual/CC-by 4.0

Neuartiges Phänomen: Gewitter erzeugen nicht nur Blitze – ihre Wolken glühen und brodeln auch im Gammastrahlen-Bereich, wie Flüge mit einem umgebauten Spionageflugzeug enthüllen. Das für unsere Augen unsichtbare flackernde Gammaglühen kann sich Stunden hinweg und tausende Quadratkilometer erstrecken. Diese Gammastrahlen-Emission unterscheidet sich jedoch von den schon bekannten Gammablitzen solcher Gewitter, wie Forschende in „Nature“ berichten. Wie aber entsteht dieses neuartige Phänomen?

Die Ladungsunterschiede in einer Gewitterwolke können enorme Spannungen von mehr als einer Milliarde Volt erzeugen. Diese entladen sich in Blitzen, die die umgebende Luft in Sekundenbruchteilen in ein Plasma verwandeln. Dabei werden im Extremfall sogar Antimaterie sowie energiereiche Röntgen- und Gammablitze freigesetzt.

Messflugzeug ER-2
Das NASA-Messflugzeug ER-2 wurde ursprünglich als Spionage-Flugzeug eingesetzt. Jetzt dient es der Wissenschaft. © NASA/ Carla Thomas

Spionage-Flugzeug bietet Gewitterblick von oben

Doch das ist nicht alles, wie nun Beobachtungen mithilfe eines umgebauten Spionageflugzeugs aus dem Kalten Krieg enthüllen. Das inzwischen von der NASA genutzte Flugzeug kann doppelt so hoch fliegen wie kommerzielle Maschinen und ist sehr viel schneller. „Dadurch können wir über die Spitzen der Gewitterwolken hinwegfliegen“, erklärt Projektleiter Nikolai Østgaard von der Universität Bergen. Ziel war es, die Gammastrahlen-Emissionen von Gewittern genauer zu untersuchen.

Dafür überflog das Team mehrere große Gewitter in der Karibik und Mittelamerika in rund 20 Kilometer Höhe. Das Messflugzeug zeichnete dabei das Geschehen in den Gewitterwolken und an ihrer Oberseite mit fünf verschiedenen Gammastrahlendetektoren, 30 Photometern sowie mehreren Sensoren für elektrische Felder, Radargeräten und Radiometern auf.

Gammaglühen über 9.000 Quadratkilometer

Dabei zeigte sich Überraschendes: „Wir haben festgestellt, dass tropische Gewitter über dem Ozean und der Küste über Stunden hinweg Gammastrahlen emittieren“, berichten Østgaard und seine Kollegen. Dieses Gammaglühen kann sich über tausende von Quadratkilometern erstrecken und scheint keine Ausnahmeerscheinung zu sein: Das Team detektierte es bei neun ihrer zehn Messflüge. „Wie es aussieht, erzeugen nahezu alle größeren Gewitter die ganze Zeit hindurch Gammastrahlen in verschiedenster Form“, berichtet Koautor Steve Cummer von der Duke University.

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Doch anders als zuvor angenommen zeigt sich diese Gammastrahlung nicht nur in kurzen Blitzen oder einem sehr schwachen, gleichmäßigen Glühen: Das jetzt beobachtete Phänomen ähnelt eher einem dynamischen Flackern oder Brodeln. „Dabei folgen viele wiederkehrende Strahlungs-Peaks von jeweils einige Millisekunden Dauer aufeinander“, berichten die Forschenden. Bei diesen Strahlungsspitzen steigt die Intensität der Gammastrahlung abrupt und kurzzeitig um das bis zu 30-Fache.

„Brodelnder Kessel voller Gammastrahlung“

„Die Bewegungsmuster und das Verhalten dieser gammaglühenden Gewitterwolken ähneln denen eines riesigen, brodelnden Kessels voller Gammastrahlung“, sagt Ko-Erstautor Martino Marisaldi von der Universität Bergen. Denn die Ausgangsgebiete dieses flackernden Gammaglühens innerhalb der Wolke wechseln ständig. Dabei scheinen die stärksten Gammastrahlen jeweils aus den Gebieten der Wolke zu kommen, in denen gerade starke Konvektionsströmungen herrschen. „Dadurch bilden sich während der Entwicklung und der ausgereiften Phase solcher Gewitter meist mehrere aktiv Gammastrahlen emittierende Bereiche“, berichten die Forschenden.

Insgesamt registierten Østgaard und seine Kollegen bei ihren zehn Messflügen mehr als 500 solcher Gammastrahlen-„Nester“. Jedes diese Areale erzeugte dabei mehrere Sekunden lang diese sich wiederholenden starken Gammastrahlenspitzen, bevor es wieder abebbte und dann später wieder aufflammte.

Blitz
Die gewittertypischen Blitzentladungen scheinen nicht die Ursache des Gammastrahlen-Flackerns zu sein. © Oscar van der Velde

Was ist die Ursache?

Aber wodurch entsteht dieses brodelnde und flackernde Gammaglühen? Bisher gab für die Gammastrahlenproduktion in Gewittern mehrere Theorien. Die erste geht davon aus, dass die kurzwellige, energiereiche Strahlung durch die gegenseitige Auslöschung der im Gewitter erzeugten Antimaterie-Teilchen entsteht. Bei der Annihilation dieser Positronen wird Energie in Form von Gammaphotonen frei – dies könnte der Ursprung eines schwachen, aber stetigen Gammaglühens sein.

Die kurzen Gammablitze der Gewitter könnten dagegen ein Nebeneffekt der sichtbaren „normalen“ Blitze sein: An ihrer Spitze werden schnelle Elektronen an den Luftteilchen gestreut und erzeugen eine sich selbst verstärkende Lawine hochenergetischer Teilchen – den Gammablitz.

Keiner der bekannten Mechanismen passt

Um herauszufinden, welche dieser Theorien auf das flackernde Gammaglühen zutrifft, verglichen die Forschenden dessen Peaks unter anderem mit Ort und Zeit der normalen Blitze und weiteren Messdaten. Dies enthüllte: Anders als die bekannten Gammablitze ist das neuentdeckte Gammaglühen weder mit normalen Blitzen noch mit assoziierten Radioemissionen verknüpft.

„Das spricht dafür, dass die Blitzentladungen nicht an der Entstehung des flackernden Gammaglühens beteiligt sind“, konstatieren Østgaard und seine Kollegen. Auch zur Antimaterie gab es keinen direkten Zusammenhang. Aber was macht die Gewitterwolken dann zum brodelnden „Gammakessel“? Bisher können auch die Wissenschaftler darüber nur spekulieren. „Wir müssen dieses flackernde Gammaglühen als ein neuartiges Phänomen einstufen“, schreiben sie.

Ein Missing Link der Gewitterforschung?

Sie vermuten jedoch, dass dieses Phänomen eine Art Bindeglied – ein „Missing Link“ – zwischen den ultrakuren Gammablitzen und dem stetigen schwachen Gammaglühen darstellt. So könnte sich dieses langanhaltende Gammastrahlen-Flackern aus dem schwachen, normalen Gammaglühen entwickeln und immer intensiver und pulsierender werden. Am anderen Ende dieser Entwicklung stehen dann möglicherweise die einzelnen kurzen Gammablitze.

Doch wie genau all diese Phänomen zusammenhängen und welche Mechanismen sie antrieben, bleibt vorerst ein Rätsel. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07936-6; doi: 10.1038/s41586-024-07893-0)

Quelle: Nature, Duke University

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