Energie

Wo die Vorreiterstaaten bei der Wärme-, Verkehrs- und Stromwende stehen

Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Die Energiewende kommt schleppend voran. Das Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren, ist in Gefahr. Die gute Nachricht: der Prozess lässt sich in vielen Bereichen beschleunigen. Dafür braucht es Frühwarn-Indikatoren, um rechtzeitig und an den richtigen Stellen nachzusteuern. Eine internationale Untersuchung des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung liefert einen Evaluationsansatz für die Sektoren Elektrizität, Individualverkehr und Gebäudewärme.

Mit dem Ansatz ist es erstmals möglich, zu vergleichen, wie nah Staaten dem Ziel der Klimaneutralität gekommen sind, wo sie ausgebremst werden und welche Möglichkeiten sie haben, mehr Tempo aufzunehmen. „In den meisten Ländern muss ein systematischer Wandel zu Nullemissionen noch vor Mitte des Jahrhunderts stattfinden“, sagt Germán Bersalli vom RIFS, Erstautor der Studie – „die Beispiele von Pionierländern in verschiedenen Sektoren zeigen jedoch, dass eine Beschleunigung der Energiewende mit erheblichen politischen Anstrengungen möglich ist.“ Der Ländervergleich zeigt, dass es in jedem Sektor mindestens ein Land gibt, das große Fortschritte auf dem Weg zu einer emissionsfreien Versorgung erzielt hat. Dänemark und Norwegen schreiten schnell bei der Strom- und Wärmewende voran. Norwegen schickt sich an, in Kürze die Umstellung zur individuellen E-Mobilität abzuschließen. Deutschland und UK haben bei der Wärme-, Verkehrs- und Stromwende noch Einiges aufzuholen.

Größte Barriere für Beschleunigung der Energiewende: Stromnetzausbau

Deutschland hat zwar Fortschritte beim Ausbau erneuerbarer Energien erzielt, wird aber gebremst durch unzureichend ausgebaute Stromnetze. Für Fortschritte bräuchte es offizielle Ziele für den Ausbau der Verteilungsnetze und der Stromspeicherkapazitäten sowie eine verbesserte Zielabstimmung im Bereich Übertragungsnetze. Dänemark könnte, wenn sich die jüngsten Trends fortsetzen, den Ausstieg aus fossiler Stromerzeugung bereits 2029 abschließen. In diesem Land sind die ambitionierten Vorgaben zu fossilfreier Energieversorgung mit den Zielen für den Ausbau der Übertragungsnetze abgestimmt. Norwegen ist bei der Stromversorgung bereits vollständig auf erneuerbare Energien umgestiegen. Probleme bereitet allerdings das Spannungsverhältnis zur heimischen Erdölproduktion, die auch künftig noch eine wichtige Einnahmequelle sein wird. In Großbritannien braucht es eine klare Strategie für den Ausstieg aus der Gaserzeugung und klare Ziele in Bezug auf die Übertragungs- und Verteilungsnetze.

Bei der Verkehrswende bleibt noch viel zu tun

Angesichts der hohen Preise für Elektroautos und des Stopps der finanziellen Förderung ist ein kurzfristiger Anstieg des Anteils von E-Autos in Deutschland eher unwahrscheinlich. Der Anteil der Verbrennungsmotoren an der gesamten Fahrzeugflotte ist zwar rückläufig, die jährliche Reduktionsrate müsste aber 4,2 Prozent statt der aktuellen 1,6 Prozent betragen, um Emissionsfreiheit bis spätestens 2045 zu gewährleisten. Auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt nicht schnell genug voran. Zwar wurden 2022 rund 17.700 neue Ladesäulen errichtet, nötig wären jedoch 124.000 Säulen pro Jahr. Norwegen ist europaweit führend bei der E-Mobilität. Setzt sich der Trend fort, könnte der Verkaufsanteil von E-Autos schon im kommenden Jahr hundert Prozent erreichen. „Norwegens Fortschritte bei der E-Mobilität basieren darauf, dass das Land frühzeitig und offensiv finanzielle Anreize für emissionsfreie Fahrzeuge gesetzt hat“, sagt Thorsten Hellmann, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung. In Dänemark und Großbritannien fehlen dagegen klare Strategien.

Bei der Wärmewende klaffen die Erfolgsbilanzen weit auseinander

Deutschland steht bei der Gebäudeeffizienz zwar gut da, müsste aber den Ausstieg aus Gas- und Ölheizungen deutlich beschleunigen, um die CO2-Emissionen in diesem Bereich auf einen klimaneutralen Kurs zu bringen. Um die selbstgesteckten Klimaziele bis 2030 zu erreichen, müsste sich der jährliche Einbau von Wärmpumpen entgegen dem aktuellen Trend ungefähr verdoppeln. Dagegen hat Norwegen den Heizungssektor bereits fast vollständig dekarbonisiert und wird bis 2030 eine Marktabdeckung mit Wärmepumpen von hundert Prozent erreichen. Was jedoch fehlt, sind politische Zielvorgaben für die Renovierung bestehender Immobilien. Dänemark ist sehr erfolgreich bei der Umstellung auf emissionsfreies Heizen, Öl- und Gaskessel sind bereits seit 2013 verboten. In beiden Ländern wurde die Wärmewende begünstigt durch hohe Steuern auf fossile Brennstoffe und großzügige staatliche Subventionen für Haushalte. Zudem werden bald alle Gebäude mit intelligenten Stromzählern ausgestattet sein. Großbritannien ist bei der Wärmwende stark ins Hintertreffen geraten. Die CO2-Emissionen im Gebäudesektor sind im vergangenen Jahr sogar noch gestiegen, auch liegt der Energieverbrauch pro Quadratmeter 2021 noch auf demselben Niveau wie 2016.

„Um Null-Emissionen zu erreichen, müssen wir die politischen Maßnahmen in allen klimarelevanten Sektoren beschleunigen und einen systemischeren Ansatz zur Messung der Fortschritte wählen. Die Bewertung der sektoralen Klimaübergänge allein anhand der Emissionsreduzierung ist unzureichend“, so das Fazit von RIFS-Wissenschaftler Bersalli. „Es ist von entscheidender Bedeutung, kontinuierlich zu beobachten, wie sich die Systeme in den kommenden Jahrzehnten in Richtung einer vollständigen Dekarbonisierung entwickeln, einschließlich des Rückgangs kohlenstoffintensiver Technologien, des Aufstiegs emissionsfreier Alternativen, der Anpassung der Infrastruktur und der Umsetzung von Regulierungsreformen.“

Quelle: Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

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