Medizintechnik

„Schnitzeljagd“-App zeigt Alzheimer-Risiko auf

Orientierungssinn verrät demenzgefährdete Personen

Person hält ein Smartphone mit einer Navigations-App in der Hand
Die spezielle Navigations-App erkennt, wie oft jemand auf seinem Weg zur Orientierung anhält. Häufige Stopps können ein Zeichen für eine beginnende Demenz sein. © Dacharlie / iStock

Digitaler Helfer: Forschende haben eine App entwickelt, die Personen mit erhöhtem Demenzrisiko zuverlässig identifiziert. Die Erkennung basiert auf den erfassten Bewegungsdaten der Menschen während einer „Schnitzeljagd“, die alltagsnahe Orientierungs-Situationen simuliert. Anhand des Orientierungssinns der Personen kann damit auf ihren geistigen Zustand geschlossen werden. Die App könnte künftig zur Früherkennung und Verlaufskontrolle bei Alzheimer eingesetzt werden.

Alzheimer ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung weltweit. Der fortschreitende Abbau von Hirnsubstanz führt zur Demenz und ist bislang nicht heilbar. Ein großes Problem bei der Behandlung ist zudem, dass die Erkrankung sich in der Regel schleichend entwickelt und über Jahre hinweg unbemerkt verläuft. Sie wird daher meist zu spät erkannt.

„Aktuell wird Alzheimer oft zu spät behandelt, um eine wirksame Therapie zu gewährleisten. Auch die neuen Antikörper-Medikamente, die derzeit viel diskutiert werden, wirken nur, wenn sie frühzeitig verabreicht werden“, erklärt Anne Maass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) in Magdeburg. „Daher müssen wir in die Lage kommen, die Krankheit früher zu diagnostizieren, wenn die Symptome noch mild sind.“

Schnitzeljagd als Alzheimer-Test

Ein Team um Maass und Erstautor Jonas Marquardt vom DZNE hat nun einen neuartigen Ansatz getestet, um eines der ersten Symptome einer Alzheimer-Erkrankung zu erkennen: Probleme mit der räumlichen Orientierung. Die Neurowissenschaftler entwickelten dafür eine Smartphone-App, die alltagsnahe Situationen simuliert und Orientierungsschwierigkeiten der Nutzer aufzeigt. „Unsere Studie beruht auf einer Art Schnitzeljagd, bei der vorgegebene Orte gefunden werden mussten“, erläutert Seniorautorin Nadine Diersch vom DZNE.

Die Probanden sollten mithilfe der App nacheinander fünf Gebäude auf dem Campus der Universität Magdeburg finden, die auf einer rund 800 Meter langen Route lagen. Die App zeigte dabei jeweils eine Straßenkarte mit der aktuellen Position und dem nächsten Ziel, inklusive Foto. Allerdings verschwanden diese Informationen, sobald die Probanden losliefen. „Die Versuchsteilnehmer mussten sich Straßenbild, Standpunkt und Zielort einprägen und dann ihrem Orientierungssinn und räumlichen Gedächtnis folgen“, erklärt Marquardt. „Wussten sie unterwegs nicht weiter, konnten sie in der App einen Hilfe-Button drücken. Die Karte, ihre Position und das Ziel wurden dann wieder kurz eingeblendet.“

Die App erfasste während dieser Schnitzeljagd per GPS die Bewegungsdaten der Teilnehmenden. Die Forschenden werteten diese GPS-Daten anschließend aus und verglichen die Bewegungsprofile der Probanden. Insgesamt 72 Erwachsene zwischen 22 und 72 Jahren nahmen an der Untersuchung teil. Darunter waren 23 ältere Personen, die unter „subjective cognitive decline“ (SCD) leiden. Der Begriff beschreibt subjektiv empfundene Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit, die sich mit neuropsychologischen Standard-Tests aber nicht nachweisen lassen. Betroffene entwickeln nicht zwangsläufig eine Demenz, haben jedoch erwiesenermaßen ein erhöhtes Demenz-Risiko.

Demenzgefährdete Personen brauchen mehr Hilfe beim Orientieren

Die Analyse ergab, dass die Probanden die fünf Gebäude meist in weniger als einer halben Stunde gefunden hatten, dabei jedoch unterschiedlich viel Zeit und Hilfe benötigten. „Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben insgesamt besser abgeschnitten. Sie sind im Mittel kürzere Wege gegangen und haben die Hilfe-Funktion im Allgemeinen nicht so häufig genutzt wie ältere Probanden“, berichtet Marquardt. Sie liefen nicht nur schneller, sondern gingen auch weniger Umwege.

Doch auch zwischen den älteren Probanden zeigten sich Unterschiede: „Ältere Erwachsene mit SCD haben häufiger kurz angehalten, vermutlich, um sich zu orientieren, als ältere Erwachsene ohne SCD“, sagt Marquardt. „In unserer Auswertung konnten wir Versuchsteilnehmer mit SCD anhand dieser Daten erkennen.“ Der Neurowissenschaftler schließt daraus, dass insbesondere die Anzahl der Orientierungsstopps zuverlässig die geistige Fitness der App-Nutzer anzeigt.

Geeignete Methode zur Demenz-Früherkennung

Mit der App lassen sich demnach Personen mit erhöhtem Demenzrisiko zuverlässig identifizieren. „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Smartphone-Daten helfen können, subtile Anzeichen eines kognitiven Abbaus in alltagsnahen Situationen zu erfassen“, sagt Diersch. „Dies könnte in Zukunft helfen, auch kleinste kognitive Veränderungen und damit Vorzeichen von Demenz früher zu erkennen, als es heute geschieht.“

Die App könnte somit auch eine frühzeitige Behandlung ermöglichen: „Ich könnte mir vorstellen, dass künftig derartige Apps dabei helfen können, Risikopersonen zu identifizieren und daraufhin zu entscheiden, ob weitere Untersuchungen oder bereits eine Therapie nötig sind“, so Diersch. Auch zur Kontrolle des Krankheitsverlaufs könnte die App eingesetzt werden.

Hängen Orientierung und Entscheidungsfindung zusammen?

Warum sich Menschen mit SCD-Symptomen gerade beim Navigieren auffällig verhalten, ist bislang nicht vollständig geklärt. „Wir haben festgestellt, dass sie vor allem an Wegkreuzungen eher zögern. Das deutet darauf hin, dass bei ihnen gewisse Entscheidungsprozesse verlangsamt ablaufen. Die Daten lassen aber noch keine eindeutige Aussage zu“, sagt Diersch.

Frühere Studien mit einer Spiel-App deuten zudem darauf hin, dass genetische Vorbelastungen die Orientierung schon beeinflussen, bevor Demenz auftritt. Auf welchen neurologischen Prozessen das Erkennungsmuster der Schnitzeljagd-App genau beruht, soll nun weiter erforscht werden. (PLOS Digital Health, 2024; doi: 10.1371/journal.pdig.0000613)

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)

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