Genetik

Die Zähne eines Menschenfressers

Kenianische Löwen töteten im 19. Jahrhundert dutzende Bahnarbeiter

Löwengebiss
Dieser Schädel mit abgebrochenem Reißzahn stammt von einem Löwen, der einst gezielt Jagd auf Menschen gemacht hat. © Field Museum of Natural History in Chicago /CC-by-sa 4.0

Diese gewaltigen Eckzähne eines kenianischen Löwen haben im Jahr 1898 das Schicksal dutzender Menschen besiegelt. Mindestens 28 Streckenarbeiter der Kenia-Uganda-Eisenbahn sind dem Löwen und seinem Jagdpartner damals zum Opfer gefallen. Das bestätigt nun auch die DNA-Analyse von Haaren, die im gebrochenen Eckzahn vorne im Bild entdeckt wurden. Die Ergebnisse hielten aber auch einige Überraschungen bereit.

Der Bau einer Eisenbahnbrücke über den kenianischen Tsavo-Fluss wurde für die Streckenarbeiter im Jahr 1898 zum Albtraum. Zwei männliche Löwen griffen die Arbeiter über Monate hinweg immer wieder an und zerrten zeitweise jede Nacht ein neues Opfer aus seinem Zelt ins Gebüsch. Mindestens 28 Menschen starben durch das Raubtier-Duo. Manche Quellen gehen sogar von 135 Toten aus.

Erst als Bauingenieur Oberstleutnant John Henry Patterson die mörderischen Katzen nach Monaten des Terrors vor die Flinte bekam, endete das Grauen. Mitte der 1990er Jahre wurden die blutigen Ereignisse sogar verfilmt – unter dem Titel „Der Geist und die Dunkelheit“.

Was machte die Tsavo-Löwen zu Menschenfressern?

Heute sind die beiden mähnenlosen Löwenmännchen – auch bekannt als die Tsavo-Löwen – im Field Museum of Natural History in Chicago ausgestellt. Ihre Schädel haben der Wissenschaft unter anderem bereits verraten, woher ihr Hang zur Menschenfresserei kam. Normalerweise stehen wir nämlich nicht auf der Speisekarte der Raubkatzen, doch die Zähne beider Männchen waren stark beschädigt, wodurch sie nur noch für die Jagd auf wehrlose, „weiche“ Beute taugten. Mit anderen Worten: für die Jagd auf Menschen.

Unter anderem waren bei beiden Großkatzen die Reißzähne durchgebrochen – vermutlich durch den Tritt eines Zebras oder Büffels. Praktischerweise wurde dabei ein Hohlraum im Zahninneren freigelegt, in dem sich im Laufe der Zeit Haare von der Beute der Löwen ansammelten. Forschende um Alida de Flamingh von der University of Illinois haben diese Haare nun extrahiert und genetisch analysiert, um die genaue Speisekarte des Raubkatzen-Duos zu rekonstruieren.

DNA bestätigt die Vorfälle

Und tatsächlich: Ein Haar, das sich in einem der Zahnhohlräume verfangen hatte, stammte von einem Menschen, wie die DNA-Analyse ergab. Aus ethischen Gründen untersuchte das Team aber keine Details über die Abstammung der Person und sonstige genetische Merkmale. Zusätzlich zu dem Menschenhaar konnten de Flemingh und ihre Kollegen auch die Haare von Giraffen, Oryxantilopen, Wasserböcken, Zebras und Gnus im Gebiss der Raubkatzen nachweisen. Vor allem Letztere überraschten das Forschungsteam, denn zumindest heute leben in der Gegend überhaupt keine Gnus.

„Es deutet darauf hin, dass die Tsavo-Löwen entweder weiter gereist sind als bisher angenommen, oder dass es zu dieser Zeit Gnus in der Tsavo-Region gab“, erklärt de Flamingh. „Das nächstgelegene Weidegebiet für Gnus war mehr als 50 Meilen von der Stelle entfernt, an der die Löwen 1898 am Zusammenfluss von Tsavo und Athi getötet wurden.“ Da die Löwen sich zwischen Mai und November 1898 aus dem Camp der Eisenbahnarbeiter zurückgezogen hatten, bevor sie später wiederkehrten, könnten sie in dieser Zeit Jagd auf wandernde Gnu- und Zebraherden in der Ferne gemacht haben.

Neben den Haaren von Beutetieren fanden de Flemingh und ihr Team auch Löwenhaare in den Zahnhohlräumen. Diese sind aber wahrscheinlich im Rahmen der (gegenseitigen) Fellpflege dort gelandet. Kannibalismus gilt unter Löwen als selten.

„Neuer Weg zur Erforschung der Vergangenheit“

Mit der neuen Analysemethode könnten sich künftig auch aus anderen Raubtiergebissen mit abgebrochenen Zähnen Erkenntnisse über deren Speiseplan ziehen lassen, möglicherweise sogar aus der Zeit vor hunderten bis tausenden von Jahren, wie das Team berichtet. „Die Methode eröffnet einen neuen Weg zur Erforschung der Vergangenheit“, betont Seniorautor Ripan Malhi. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.09.029)

Quelle: Cell Press

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Strahlungsausbruch auf der Sonne

Das solare Maximum ist da!

Wie "intelligent" sind Pilze?

Berühmter Brauner Zwerg ist ein Paar

Warum wir oft irrtümlich glauben, im Recht zu sein

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Im Fokus: Genetik - Dem Bauplan des Lebens auf der Spur Von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

50 Schlüsselideen Genetik - von Mark Henderson

Top-Clicks der Woche