Halloween wäre nie so erfolgreich geworden, wenn die Welt des Gruseligen und Unheimlichen nicht eine so große Anziehung auf uns ausüben würde. Horrorfilme wie „Es“, „Der Exorzist“ oder „Hannibal“ haben weltweit hunderte Millionen Dollar eingespielt. Vier der zehn reichweitenstärksten deutschen Podcasts waren 2022 dem Genre True Crime zuzuordnen. Und Geisterbahnen sind aus Freizeitparks und Jahrmärkten nicht wegzudenken. Woher aber kommt diese ausgeprägte menschliche Lust am Gruseln?
Das Leid der anderen
Eigentlich erscheint es paradox, dass viele von uns immer wieder bewusst nach furchteinflößenden Erlebnissen suchen und sich nicht automatisch abgeschreckt fühlen von Horrorfilmen mit markerschütternden Schreien und spritzendem Blut. Doch die unterhaltende Wirkung von Horror ist einer simplen Tatsache geschuldet: der Distanz zum Geschehen. Wenn wir Horrorfilme schauen oder in der Geisterbahn sitzen, wissen wir, dass uns währenddessen nichts passieren kann. Wir sind vollkommen sicher.
Und aus dieser sicheren Position heraus können wir uns auch unserer natürlichen Neugierde am Düsteren hingeben. So morbide es klingen mag: Niemand würde sich selbst von einem Kettensägenmörder durch den finsteren Wald jagen lassen, aber jemand anderen dabei beobachten, während man selbst auf der sicheren Couch sitzt? Warum nicht? Dieses Grunddenken hat offenbar auch schon unsere Vorfahren bewegt: „Früher gab es öffentliche Hinrichtungen oder Folter. Das waren Massenveranstaltungen, auch noch in unserer christlich geprägten Religion“, betont Psychologe Gerd Reimann in einem Interview mit t-online.
Filmeabende als Überlebenstraining
Doch unser Interesse am Schrecklichen gleicht keineswegs nur einer ethisch fragwürdigen Blutlust, sondern kann uns im Notfall sogar nützlich sein. „Obwohl die meisten Menschen mit der Absicht in einen Gruselfilm gehen, unterhalten zu werden, anstatt etwas zu lernen, bieten Gruselgeschichten reichlich Lernmöglichkeiten. Die Fiktion ermöglicht es dem Publikum, ohne großen Aufwand eine imaginäre Version der Welt zu erkunden“, erklärt ein Forschungsteam um Coltan Scrivner von der University of Chicago.
Zuschauer können durch Gruselfilme zum Beispiel lernen, wie sie sich in verschiedenen Katastrophenszenarien am besten verhalten – vom Bürgerkrieg über die Zombie-Apokalypse bis hin zur Flucht vor einem Raubtier. Eingefleischten Horrorfans kam dieses fiktive Bootcamp zum Beispiel während der Corona-Pandemie zugute. Wie Scrivner und seine Kollegen herausgefunden haben, fühlten sich Menschen, die regelmäßig Horrorfilme schauten, deutlich weniger psychisch von Lockdowns, Infektionshöchstständen und Co belastet als der Durchschnitt. Sie schliefen beispielsweise besser und wiesen auch weniger depressive Symptome auf.
Dass der Konsum gruseliger Inhalte die psychologische Widerstandsfähigkeit stärken kann, erklärt vielleicht auch, warum überdurchschnittlich ängstliche und neurotische Personen Umfragen zufolge häufiger Horrorfans sind als ihre Mitmenschen. Das Genre hilft ihnen womöglich dabei, Ängste abzubauen, wie Peter Zwanzger von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München im Interview mit Prosieben erklärt: „Je häufiger man sich bedrohlichen Reizen aussetzt, desto mehr gewöhnt man sich daran – und sieht diese nicht mehr als Gefahr an.“
Im Rausch der Hormone
Doch nicht nur psychisch geht einiges in uns vor, wenn wir uns gruseln. So lassen Horrorfilme zum Beispiel wortwörtlich unser Blut „stocken“, indem ein Gerinnungsfaktor darin messbar zunimmt. Gleichzeitig leitet unser Körper eine Art Alarmreaktion ein, die uns auf Kampf oder Flucht vorbereiten soll. Der damit einhergehende Adrenalinkick lässt zum Beispiel unser Herz schneller schlagen und die Hände schwitzen.
Was auf den ersten Blick nicht gerade erstrebenswert klingt, kann uns allerdings überraschend gut tun. Kurzfristig sorgt dieser Extremzustand unseres Körpers zum Beispiel dafür, dass der Alltagsstress von uns abfällt, weil wir uns so sehr auf die Angstreaktion konzentrieren. Gleichzeitig werden aber auch Glückshormone wie Endorphine und Dopamin ausgeschüttet, die uns mit einem Gefühl der Entspannung belohnen, sobald die unheimliche Szene überstanden ist.
Dieses aus der Angst resultierende Hochgefühl erleben wir allerdings nur, wenn wir uns in der Situation wirklich sicher fühlen und gleichzeitig ein gewisses Angstlevel nicht überschreiten. Ist der Horrorfilm zu intensiv und sorgt nicht nur für ein wenig Grusel, sondern für extremes Unbehagen, dann bleiben auch die positiven Gefühle aus. Dieser Kipppunkt variiert von Mensch zu Mensch.