Mikrobiologie

Ostsee-Seegras als Antibiotika-Lieferant?

Mikrobengemeinschaft auf Seegräsern wirkt überraschend gut selbst gegen resistente Erreger

Seegras
Die Mikrobenpopulation auf den Blättern solcher Seegräser entfaltet eine überraschend potente antibiotische Wirkung. © Jana Schuster/ Uni Oldenburg

Marine Arzneilieferanten: Das in der Ostsee wachsende Seegras hält nicht nur das Meer sauber – es könnte auch dabei helfen, resistente Krankheitserreger zu bekämpfen. Denn auf den Blättern dieser Meerespflanze tummeln sich Mikroben, die potente antibakterielle Wirkstoffe produzieren, wie Tests ergeben haben. Selbst gegen resistente Erreger wie den Krankenhauskeim MRSA wirkte der Extrakt des Seegras-Mikrobioms. Dies unterstreicht die Bedeutung des Seegrases für den Ozean, aber auch sein Potenzial für die Medizin.

Anders als viele andere pflanzliche Meeresbewohner sind Seegräser keine Algen, sondern ehemals landlebende Blütenpflanzen, die zurück ins Meer gegangen sind. Die Unterwasserwiesen dieser Pflanzen haben eine enorme ökologische und ökonomische Bedeutung: Sie sind Lebensraum und Kinderstube für unzählige Meerestiere, produzieren große Mengen Sauerstoff und filtern Schadstoffe aus dem Wasser. Durch ihre Photosynthese sind sie zudem wichtige Klimapuffer: Ein Quadratkilometer Seegras speichert fast doppelt so viel Kohlenstoff wie ein terrestrischer Wald gleicher Fläche.

Seegras
Seegraswiesen sind nicht nur wertvolle Lebensräume und CO2-SChlucker, sie könnten uns auch gegen gefährliche Krankheitserreger helfen. © Sarah Kaehlert/ GEOMAR

Was steckt hinter dem antibakteriellen Seegras-Effekt?

Doch das Seegras hat noch einen Effekt: Es scheint das Meerwasser auch von Krankheitserregern zu reinigen. So ist beispielsweise die Dichte von schädlichen Bakterien in indonesischen Seegraswiesen nur halb so hoch wie im Meerwasser außerhalb der Wiesen, wie Meeresforscher vor einigen Jahren entdeckt haben. Und auch heimische Seegraswiesen, beispielsweise in der Ostsee, verringern die Dichte von bakteriellen Erregern wie Escherichia coli, Enterokokken, Salmonellen und Vibrionen messbar.

Aber wie schaffen die Seegräser das? Das hat nun ein Team um Deniz Tasdemir vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel anhand des in der Ostsee verbreiteten Seegrases Zostera marina näher untersucht. Ihr Fokus lag dabei weniger auf den Wirkstoffen, die das Seegras selbst produziert, als auf der Mikrobengemeinschaft, die in und auf den Pflanzen lebt. Denn viele bekannte Antibiotika gehen auf chemische Substanzen zurück, die ursprünglich von Bakterien oder Pilzen gegen ihre mikrobiellen Konkurrenten entwickelt wurden.

Wirksamer als gängige Antibiotika

Für ihre Studie entnahmen die Forschenden Proben von Blättern und Wurzeln des Seegrases und identifizierten darin 88 verschiedene Arten von Bakterien und Pilzen. Die verschiedenen Extrakte dieser Mikrobengemeinschaften testete das Team anschließend auf ihre Wirksamkeit gegen bekannte bakterielle Krankheitserreger von Menschen, Fischen und Pflanzen. Darunter waren auch Fäkalbakterien, Durchfall- und Choleraerreger der Gattung Vibrio sowie der multiresistente Krankenhauskeim MRSA.

Es zeigte sich: Vor allem Bakterien von der Blattoberfläche des Seegrases entfalten eine potente antibakterielle Wirkung selbst gegen gefährliche Krankheitserreger. In den Tests töteten diese Mikroben beispielsweise Fäkalbakterien und Vibrio-Erreger wirkungsvoll ab und wirkten selbst gegen resistente MRSA-Stämme. Einige auf den Seegrasblättern gefundene Bakterienarten hemmten diese Krankheitserreger sogar um ein Mehrfaches besser als gängige Antibiotika wie Ampicillin oder Chloramphenicol, wie Tasdemir und ihre Kollegen berichten.

Wirkstoffe größtenteils noch unerforscht

Spannend auch: Die meisten vom Seegras-Mikrobiom produzierten Wirkstoffe sind der Medizin bisher unbekannt. „Trotz des Einsatzes massiver computergestützter und manueller Analysen und Vergleichsansätze konnten wir nur wenige Verbindungen identifizieren“, berichten die Forschenden. „Das deutet auf neue Chemikalien in den Extrakten hin.“

Tasdemir und ihr Team sind nun dabei, diese neuen Moleküle zu isolieren, ihre chemische Struktur zu identifizieren und ihr Potenzial als zukünftige Antibiotika genauer zu bewerten. Sie sehen darin jedoch erst den Beginn eines bisher ungehobenen Schatzes an Seegras-assoziierten Wirkstoffen: „Für uns ist das nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Tasdemir. Wir arbeiten jetzt in einem internationalen Team intensiv an weiteren chemischen und mikrobiombezogenen Mechanismen und wie sie zur Hygienewirkung von Seegräsern im Labor und im Meer beitragen können.“

Schützt unsere Seegraswiesen!

Nach Ansicht des Forschungsteams unterstreichen ihre Ergebnisse auch, wie wichtig intakte Seegraswiesen für die Meeresumwelt, aber auch unsere eigene Gesundheit sind. Denn durch den Klimawandel und die zunehmende Erwärmung der Meere breiten sich krankheitserregende Bakterien im Wasser immer stärker aus. Gerade die Ostsee ist im Sommer zunehmend durch Vibrio-Bakterien und andere Erreger kontaminiert, wie Analysen gezeigt haben.

„Die Filterwirkung des Seegrases für Pathogene ist daher ein großer Dienst an der Gesundheit des Ozeans und des Menschen“, konstatieren Tasdemir und ihre Kollegen. „Dieser natürliche ‚Hygiene-Dienst‘ der Seegräser bietet zudem zusätzliche Vorteile beispielsweise für die Aquakultur von Fischen und Muscheln, die so gesünder und nachhaltiger werden.“ Der Schutz und die Wiederherstellung von Seegraswiesen sei daher wichtiger denn je. (Science of the Total Environment, 2024; doi: 10.1016/j.scitotenv.2023.168422)

Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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