Chemie

Chemie: 100 Jahre alte Regel widerlegt

Forscher erzeugen stabile Ringmoleküle trotz Verstoß gegen die Bredtsche Regel

"Verbotene" Bindung
Die rot markierte Doppelbindung ist laut Bredtscher Regel bei solchen Kohlenwasserstoff-Molekülen aus zwei verbundenen Ringen "verboten" – sie ist instabil und entsteht daher unter normalen Bedingungen nicht. © Neil Garg/UCLA

1924 aufgestellt, 2024 widerlegt: Chemiker haben eine Abweichung von der in vielen Chemie-Lehrbüchern stehenden Bredtschen Regel gefunden. Demnach gibt es doch stabile Doppelring-Kohlenwasserstoffe, die eine Doppelbindung an ihrem sogenannten „Brückenkopf“-Atom tragen – einem Atom zwischen den beiden Ringen. Möglich wird dieser Regelverstoß durch spezielle Reaktionswege und Helfer-Moleküle, wie das Team in „Science“ berichtet.

Kohlenwasserstoffe mit Doppelbindungen bilden die Basis vieler organischer Verbindungen – vom berühmten Benzolring über Nährstoffe und Arzneimittel bis hin zu vielen unserer Hormone.  Im Normalfall bewirken die für diese Doppelbindungen typischen sp2- und π-Orbitale, dass die beteiligten Kohlenstoffatome gerade und in einer Ebene ausgerichtet sind. Moleküle, die von dieser Geometrie abweichen, sind eher selten und oft instabil.

bicylclische Verbindung
Struktur einer bicyclischen Verbindung. Die Pfeile zeigen auf die Brückenkopfatome. Laut Bredtscher Regel können sie keine Doppelbindung bilden. © Jü /CC-by-sa 3.0

Julius Bredt und die „verbotene“ Doppelbindung

1924 fand der deutsche Chemiker Julius Bredt heraus, dass diese geometrischen Einschränkungen insbesondere für eine bestimmte Art von organischen Ringmolekülen gelten: In bicyclischen, aus nur zwei verbundenen Ringen bestehenden Kohlenwasserstoff-Molekülen darf die Doppelbindung nicht an einem sogenannten Brückenkopfatom stehen – den Kohlenstoffatomen, die an beiden Ringen beteiligt sind. Die entstehenden Spannungen verhindern die Bildung bicyclische Molekülen mit solchen „verbotenen“ Doppelbindungen.

„Bredts damalige Entdeckung führte zu der heute als Bredtsche Regel bekannten Regel, die sich in vielen Chemie-Lehrbüchern findet und auch von der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) anerkannt ist“, erklären Luca McDermott und seine Kollegen von der University of California in Los Angeles. Demnach lassen einige wenige gegen diese Regel verstoßende Moleküle – sogenannte „Anti-Bredt-Olefine“ (ABO) – zwar künstlich herstellen, sind aber instabil.

Nutzbare Anti-Bredt-Moleküle gehen doch!

Doch jetzt haben McDermott und sein Team diese Bredtsche Regel widerlegt – genau 100 Jahre nach ihrer Aufstellung. Für ihr Experiment nutzten sie Silyl-Pseudohalide als Ausgangsubstanzen –Ringverbindungen mit ausschließlich Einfachbindungen und einer anhängenden Silizium-Methylgruppe. Diese Moleküle ließen sie mit einem fluoridhaltigen aromatischen Kohlenwasserstoff und dem Lösungsmittel Dimethylformamid reagieren.

Das Ergebnis: „Diese Reaktion führte zu Ringverbindungen, die auf die Bildung eines Anti-Bredt-Olefins hindeuteten“, berichten die Chemiker. In ihren Experimenten konnten sie mehrere verschiedene Versionen solcher ABO-Moleküle erzeugen. Nähere Analysen enthüllten, dass diese Moleküle bicyclisch waren und eine Doppelbindung am Brückenatom trugen. Trotz dieses Verstoßes gegen die Bredtsche Regel und einer starken Verdrehung und Abknickung der Doppelbindung waren diese Moleküle jedoch stabil und ließen sich als Basis für weitere Reaktionen nutzen.

Ausgangspunkt für potenziell nützliche Wirkstoffe

„Unsere Versuche zeigen, dass auch stark unter Spannung stehende Anti-Bredt-Olefine erzeugt und in-situ verwendet werden können“, schreiben McDermott und sein Team. „Sie liefern damit eine Lösung für das lange bestehende Problem der ABO-Synthese und -Nutzung.“ Denn wie die Chemiker erklären, solche Anti-Bredt-Olefine können neue Wege eröffnen, vielseitig nützliche Chemikalien herzustellen.

„Die pharmazeutische Industrie versucht intensiv, chemische Reaktionen zu entwickeln, mit denen dreidimensionale Struktur wie die unsrigen erzeugt werden können. Denn solche Moleküle könnten zur Entdeckung neuer Medikamente führen“, erklärt Seniorautor Neil Garg von der University of California in Los Angeles. „Unsere Studie belegt nun, dass Chemiker solche Anti-Bredt-Olefine herstellen und nutzen können, um neuartige Wirkstoffe zu entwickeln – entgegen der seit 100 Jahren geltenden Lehrmeinung.“ (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adq3519)

Quelle: University of California – Los Angeles

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Unendliche Weiten - Kreuz und quer durchs Chemie-Universum - von Thisbe K. Lindhorst, Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger und der Gesellschaft Deutscher Chemiker

Chemie erleben - von Edgar Wawra, Helmut Dolznig und Ernst Müllner

Top-Clicks der Woche