Besonderer Fund: Biologen haben im Gewebe von Tiefseekorallen zwei bislang unbekannte Bakterienarten entdeckt – sie bilden eine ganz neue Familie innerhalb der Bakterien. Das Genom dieser Mikroben ist so klein, dass sie für ihr Überleben wahrscheinlich auf die Wirtskorallen und deren Nährstoffe angewiesen sind. Doch ob sie als „Mitbewohner“ der Korallen auch eine Gegenleistung für diese Dienste bieten oder sich schlichtweg als Parasiten im Korallengewebe einnisten, ist noch unklar.
Viele Korallen leben in einer Symbiose mit einzelligen Algen oder Bakterien, die sie im Inneren ihres robusten Kalkskeletts beherbergen. Tropische Flachwasserkorallen tun sich zum Beispiel bevorzugt mit sogenannten Zooxanthellen zusammen – Photosynthese betreibenden Algen, die ihren Wirt im Gegenzug für das ihnen gewährte Obdach mit Kohlenhydraten versorgen. Steigt die Wassertemperatur stark an, werden diese Symbionten allerdings zur Gefahr für die Korallen. Die Nesseltiere stoßen ihre Symbionten dann als letzte Rettung ab, verhungern ohne sie aber langfristig und bleichen aus.
Den Tiefsee-WGs auf der Spur
Während die Symbiosen von Flachwasserkorallen sehr gut verstanden sind, gelten die von Tiefseekorallen fernab des Sonnenlichts noch als weitgehend unerforscht. Biologen um Samuel Vohsen von der Pennsylvania State University haben diese Wissenslücke nun allerdings teilweise geschlossen. Im Golf von Mexiko nahm das Team über vier Jahre hinweg Proben von Korallenkolonien der Art Callogorgia delta und untersuchte die Nesseltiere auf einzellige Mitbewohner hin.
Die Korallen dieser Spezies wachsen entlang des Kontinentalhangs zwischen 400 und 900 Meter Tiefe und gehören damit zu den an kühleres, dunkleres Wasser angepassten Kaltwasserkorallen. Die Riffe dieser Korallen schaffen Lebensraum für andere Tiere wie Schlangensterne und dienen unter anderem als Eiablage-Stätte für den Kettenkatzenhai (Scyliorhinus retifer). Doch wer lebt in den Geweben der Korallen?
Neue Bakterienfamilie mit Mini-Genom
Wie Vohsen und seine Kollegen herausfanden, beherbergt auch Callogorgia delta eine vielfältige Mikroben-Gemeinschaft in ihrem Inneren. Zwei dieser bakteriellen Korallenbewohner entpuppten sich sogar als bislang gänzlich unbekannte Spezies. Das Team hat seine Neuentdeckungen auf die Namen Oceanoplasma callogorgiae und Thalassoplasma callogorgiae getauft. Aufgrund ihrer neuartigen Merkmale ordnete man diese Bakterien einer eigenen, neu kreierten Bakterienfamilie zu: den Oceanoplasmataceae.
Schon die Entdeckung einer neuen Bakterienfamilie ist etwas Besonders. Doch nähere Analysen enthüllten die ungewöhnlichste Eigenschaft dieser Familie: ein winziges Genom. Während Thalassoplasma gerade einmal 385 Gene besitzt, die Proteine für unterschiedliche Stoffwechselfunktionen kodieren, sind es bei Oceanoplasma sogar nur 359. Zum Vergleich: Das Darmbakterium Escherichia coli besitzt mehr als 4.000 solcher Gene, wir Menschen rund 21.000. „Das ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie wenige Gene es für ein funktionsfähiges Lebewesen braucht“, erklärt Seniorautorin Iliana Baums von der Universität Oldenburg.
Untermieter in der Abhängigkeit
Doch wie können diese Mikroben überleben? „Diese Bakterien haben noch nicht einmal Gene für einen normalen Kohlenhydrat-Metabolismus, also um aus Kohlenhydraten Energie zu gewinnen – etwas, das eigentlich jedes Lebewesen hat“, so Baums. Wie zusätzliche Untersuchungen ergaben, können die beiden neuartigen Mikroben einzig die Aminosäure Arginin als Energiequelle verwenden. Diese erhalten sie von ihrer Wirtskoralle.
„Aus dem Abbau der Aminosäure lässt sich jedoch nur sehr wenig Energie gewinnen. Dass den Bakterien das zum Leben reicht, ist wirklich erstaunlich“, betont Baums. Auch andere essenzielle Nährstoffe erhalten die Bakterien offenbar von ihrer Wirtskoralle. Das Team vermutet, dass die Mikroben ohne deren Hilfe nicht überlebensfähig wären. Was aber erhält die Koralle im Gegenzug für ihre großzügigen Nährstoffspenden?
Zuvorkommende Mitbewohner oder Schmarotzer?
Diese Frage ist bisher nicht eindeutig geklärt. Vohsen und seine Kollegen sind daher noch unsicher, ob es sich bei den beiden neuen Bakterienspezies um gleichwertige symbiotische „Mitbewohner“ handelt oder doch um Parasiten, die von der Koralle profitieren, ihr aber nichts zurückgeben. Falls sich die Mikroben revanchieren, dann womöglich, indem sie der Koralle durch den Abbau von Arginin Stickstoff zur Verfügung stellen. Dieser ist in den Meerestiefen Mangelware, wie die Forschenden erklären.
Vielleicht schützen die Bakterien die Koralle aber auch aktiv vor Krankheitserregern. Darauf deuten zumindest verschiedene Verteidigungsmechanismen im Genom der Bakterien hin, mit denen sie fremdes Erbgut entfernen können. Dazu würde auch passen, dass die Bakterien in der Mesoglea der Koralle leben – einer gallertartigen Gewebeschicht, durch die einerseits Nährstoffe transportiert werden, die andererseits aber auch der Immunabwehr dient. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-53855-5)
Quelle: Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg