Multifunktionstools: In unserer Haut sitzen verschiedene Typen an Nervenzellen, die Berührungen, Schmerz oder Hitze wahrnehmen. Anders als bisher gedacht sind sie aber nicht auf jeweils einen dieser Umweltreize spezialisiert, sondern erkennen mehrere von ihnen, wie Forschende überraschend herausgefunden haben. Unser Hautsinnessystem aus Tast-, Schmerz- und Temperatursinn ist damit viel komplizierter und funktioniert weniger arbeitsteilig als gedacht, wie das Team in „Nature Neuroscience“ berichtet. Die Tests enthüllten auch feine Unterschiede zwischen unserem Schmerzsinn und dem von Tieren.
Ohne unseren Tastsinn könnten wir niemanden umarmen und würden uns wesentlich ungeschickter bewegen. Ohne unseren Schmerzsinn würden wir bei Verletzungen der Gefahr nicht ausweichen und ohne Temperatursinn könnten wir Verbrennungen nicht vermeiden. Was wir heute über diese Sinne und das jeweils zugehörige menschliche Nervensystem in der Haut wissen, haben Wissenschaftler größtenteils in Tierversuchen herausgefunden, deren Ergebnisse anschließend in humanen Zellmodellen oder klinischen Studien bestätigt wurden.
Doch einige Funde aus den Tierversuchen konnten nie auf den menschlichen Körper übertragen werden. Das könnte daran liegen, dass das tierische und das menschliche Nervensystem nur zum Teil vergleichbar sind. Doch wie ähnlich sind sich Mensch und Tier auf neurologischer Ebene tatsächlich? Und was geht in den einzelnen Nervenzellen unserer Haut vor?
Was passiert in den Nervenzellen der Haut?
Um das herauszufinden, hat ein Team um Huasheng Yu von der University of Pennsylvania nun das Nervensystem von Menschen, Mäusen und Makaken verglichen. Dabei fokussierten sich die Neurobiologen auf den Tast-, Temperatur- und Schmerzsinn und analysierten anhand von Hautproben, welche Nervenzellen daran jeweils beteiligt sind.
Dafür verglichen sie erstmals die in den einzelnen Nervenzellen vorkommende RNA – ein Indiz für die darin aktiven Gene und die vorhandenen Proteine, Sensoren und Rezeptoren. Basierend darauf gruppierten Yu und seine Kollegen die untersuchten rund 1.000 Nervenzellen in verschiedene Typen, wobei Zellen mit ähnlichem Genexpressionsprofil jeweils in derselben Gruppe landeten.
Mehr Subtypen an Nervenzellen als gedacht
Dabei zeigte sich, dass die Nervenzellen in der menschlichen Haut, die an unserem Sinnessystem beteiligt sind, zu nicht weniger als 16 verschiedenen Zelltypen gehören. Demnach gibt es mehr Subtypen dieser Sensoren als gedacht. In ihnen sind verschiedene Gene aktiv und damit auch unterschiedliche Rezeptoren vorhanden.
Doch heißt das auch, dass diese 16 Nervenzelltypen jeweils eine andere Funktion für die Sinneswahrnehmung unserer Haut erfüllen? Spüren einige dieser Zelltypen beispielsweise nur Hitze, während andere ausschließlich Schmerz wahrnehmen?
Um diese gängige Vermutung zu überprüfen, analysierten die Neurobiologen anschließend auch die Funktion der einzelnen Nervenzellen, indem sie diese verschiedenen Reizen wie Hitze, Druck oder Chemikalien aussetzten. Mithilfe einer speziellen Methode, der sogenannten Mikroneurographie, betrachteten sie dabei, ob einzelne Nervenzellen in der Haut von menschlichen und tierischen Versuchsteilnehmern auf die Reize reagieren und Signale an das Gehirn senden.
Hautzellen überraschen mit Multifunktionalität
Die Tests ergaben überraschend, dass die Nervenzellen innerhalb eines Zelltyps nicht nur auf einzelne Reize, sondern auf mehrere Trigger reagieren. Ein Zelltyp beispielsweise, der auf sanfte, angenehme Berührungen reagiert, reagierte auch auf Hitze, Kälte und Capsaicin – jene Chemikalie, die für den Schmerz von scharfem Essen wie Chilis verantwortlich ist. Auf diesen Stoff reagieren sonst vor allem Nervenzellen, die auf Schmerz „spezialisiert“ sind, so die bisherige Annahme.
Die Versuche enthüllten nun jedoch, dass diese Nervenzellen unserer Haut ebenfalls keine Spezialisten, sondern eher Multifunktionstools sind: Sie reagieren nicht nur auf den Schmerz des Capsaicins, sondern auch auf nicht-schmerzhafte Chemikalien wie Menthol sowie auf Kälte.
„Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, dass Nervenzellen sehr spezifisch sind – dass eine Art von Nervenzelle Kälte erkennt, eine andere eine bestimmte Schwingungsfrequenz wahrnimmt und eine dritte auf Druck reagiert und so weiter. Aber wir sehen nun, dass es viel komplizierter ist“, sagt Koautor Saad Nagi von der Universität Linköping.
Noch unbekannte Mechanismen der Reizwahrnehmung
Wie genau die Nervenzellen die verschiedenen Reize wahrnehmen und verarbeiten, ist dabei bisher nicht vollständig geklärt. Jener Zelltyp, der auf sanfte Berührungen reagiert, nimmt beispielweise auch Kälte wahr – obwohl in ihm laut seiner RNA eigentlich keine Gene aktiv sind, die für die Produktion kältesensitiver Proteine sorgen würden.
Die Forschenden schließen daraus, dass es in den Zellen noch einen anderen, bisher unbekannten Mechanismus der Kältesensorik geben muss. Ebenso könnte es noch weitere, bisher unverstandene Mechanismen für andere Hautreize geben.
Mensch und Maus – ähnlich, aber nicht gleich
Der Vergleich mit Mäusen und Makaken ergab zudem, dass deren Hautsinnessystem zwar ähnlich aufgebaut ist wie beim Menschen, sich aber auch unterscheidet: Diese Tiere weisen demnach in ihrer Haut ähnlich viele verschiedene Nervenzelltypen auf wie wir. Das Genexpressionsprofil dieser Sensoren ist aber nicht immer identisch mit den 16 in menschlicher Haut identifizierten Zelltypen. Die tierischen Nervenzellen könnten daher auch teils andere Funktionen oder Funktions-Kombinationen aufweisen, so das Team.
Menschen haben zudem deutlich mehr Zellen von dem Typ, der besonders schnell Schmerz erkennt und dieses Signal an das Gehirn weiterleitet. „Dass Schmerzen beim Menschen im Vergleich zu Mäusen mit einer viel höheren Geschwindigkeit signalisiert werden, ist wahrscheinlich nur ein Spiegelbild der Körpergröße. Beim Menschen sind die Entfernungen größer als bei Mäusen, die Signale müssen schneller an das Gehirn gesendet werden. Sonst wäre man verletzt, bevor man überhaupt reagieren kann“, vermutet Koautor Håkan Olausson von der Universität Linköping.
In Folgestudien wollen die Neurobiologen nun nach weiteren Gemeinsamkeiten, Unterschieden sowie Funktionen der einzelnen Nervenzellen des Tastsinns suchen. Dabei wollen sie auch testen, ob sich die Verteilung der Zelltypen je nach Körperregion, Alter und Geschlecht unterscheidet. (Nature Neuroscience, 2024; doi: 10.1038/s41593-024-01794-1)
Quelle: Universität Linköping