Paläontologie

Erster Bernstein aus der Antarktis

90 Millionen Jahre alte Harzbröckchen zeugen von sumpfigen Wäldern nahe dem Südpol

Antarktis-Bernstein
Dieses nur rund 0,5 Millimeter kleine Bernsteinkörnchen stammt aus der Antarktis. Dort entstand es vor 90 Millionen Jahren in einem üppigen Wald. © Klages et al./ Antarctic Science, CC-by 4.0

Spektakulärer Fund: In einem Sedimentbohrkern aus der Antarktis haben Forschende winzige, 90 Millionen Jahre alte Bernsteine entdeckt – es ist der erste Bernsteinfund in der Antarktis. Das versteinerte Baumharz bestätigt, dass es damals auch nahe am Südpol üppige, von Nadelbäumen dominierte Regenwälder gab. Die winzigen gelben bis orangeroten Körnchen sind von hoher Reinheit und zeugen von einem verstärkten Harzfluss ihrer Bäume – wahrscheinlich waren diese durch Parasiten oder Feuer geschädigt.

Bernsteine sind Zeitkapseln des vergangenen Lebens. Dieses urzeitliche, versteinerte Baumharz verrät, wo einst Wälder standen und welche Bäume es dort gab. Zudem sind im Inneren des Bernsteins oft Tiere und Pflanzen aus dieser Zeit konserviert – von den ältesten Spermien der Welt über Dinosaurierblut saugende Zecken und fleischfressende Pflanzen bis hin zum Kopf eines Dinosauriers. Besonders viele solcher Bernstein-Funde stammen aus der Kreidezeit und dem vor rund 56 Millionen Jahren anbrechenden Eozän.

Antarktis vor 90 Mio. Jahren
Lage der Kontinente vor 90 Millionen Jahren und Fundort des Antarktis-Bernsteins (rot). © Klages et al./ Antarctic Science, CC-by 4.0

Bernsteinkörnchen im Sedimentbohrkern

Doch es gab einen Kontinent, auf dem noch nie zuvor Bernstein gefunden wurde: die Antarktis. Diese Lücke hat nun ein Team um Johann Klages vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven geschlossen. In einem Sedimentbohrkern vom Grund der Amundsensee haben sie erstmals antarktische Bernsteine entdeckt. Die winzigen, gelb bis orange gefärbten Körnchen fanden sich in heute 946 Meter tief unter der Meeresoberfläche liegenden Sedimentschichten. Datierungen zufolge stammen sie aus der Zeit vor rund 90 Millionen Jahren.

Aber wie kommt versteinertes Baumharz in die eisige, lebensfeindliche Ödnis der Antarktis? Die Erklärung liefert die weit mildere und lebensfreundlichere Vergangenheit des Südkontinents: Fossilien belegen, dass es in der Antarktis vor rund 90 Millionen Jahren noch üppige Regenwälder und eine reiche Tierwelt gab. Selbst Riesen-Dinosaurier stapften damals durch die sumpfigen, von Nadelbäumen dominierten Antarktis-Wälder.

Bernstein und Baumharzreste
Organisches Material aus dem Sedimentbohrkern (b,c), eines der Bernsteinkörnchen (d), eingeschlossene Reste von Baumrinde (e) und Hinweise auf starken Harzfluss (f,g). © Klages et al./ Antarctic Science, CC-by 4.0

Baumharz aus dem antarktischen Sumpfwald

„Die jetzt analysierten Bernsteinfragmente erlauben einen direkten Einblick in die Umweltbedingungen der Westantarktis vor etwa 90 Millionen Jahren“, sagt Klages. „Es ist total spannend, dass auf allen sieben Kontinenten im Laufe der Geschichte Klimabedingungen herrschten, die harzproduzierende Bäume haben überleben lassen.“ Die hohe Reinheit und Qualität der antarktischen Bernsteinkörnchen deuten zudem auf günstige Bedingungen für die Konservierung des Baumharzes als Bernstein hin.

„Der Bernstein hat mit festen, klaren und durchscheinenden Partikeln eine hohe Qualität, die auf eine oberflächennahe Lagerung hinweist“, erklärt Koautorin Henny Gerschel von der TU Bergakademie Freiberg. Zur guten Erhaltung des Bernsteins könnte zudem der sumpfige, immer wieder überschwemmte Untergrund des Antarktis-Walds beigetragen haben: „Das Hochwasser bedeckte das Baumharz sehr schnell und schützte es vor atmosphärischen Einflüssen wie der UV-Strahlung und Oxidation“, erklärt das Team.

Hinweise auf Parasiten oder Feuer

Spannend auch: In einigen Bernstein-Körnchen sind winzige Reste von Baumrinde eingeschlossen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die Bäume besonders viel Harz absonderten – möglicherweise als Folge von Verletzungen ihrer Rinde. „Dieser pathologische Harzfluss entsteht typischerweise, um Rindenschäden durch Parasiten oder Waldbrände zu versiegeln“, erklären Klages und seine Kollegen. Die Bäume versuchen dadurch, eine Barriere gegen Insektenangriffe und Infektionen zu schaffen.

„Unsere Entdeckung ist ein weiteres Puzzlestück, das uns hilft, diesen sumpfigen Kreidezeit-Regenwald in der Nähe des Südpols besser zu verstehen“, sagt Klages. „Wir wollen nun noch mehr über das Waldökosystem herausfinden: Ob es gebrannt hat, ob wir noch Spuren von Leben im Harz finden – diese Entdeckung erlaubt uns nochmal eine andere Form von Zeitreise in die Vergangenheit.“ (Antarctic Science, 2024; doi: 10.1017/S0954102024000208)

Quelle: Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, TU Bergakademie Freiberg

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