Altersgerechtes Training: Entgegen landläufiger Annahme lernen Kinder neue Fähigkeiten nicht generell schneller als Erwachsene. Stattdessen gilt in Teilen sogar das Gegenteil: Junge Erwachsene und Teenager überflügeln Kinder beim Lernen von Bewegungsabläufen – vergessen Gelerntes aber schneller wieder. Gegen das Vergessen helfen können guter Schlaf und wenig Ablenkung nach dem Training. Diese Erkenntnisse könnten künftig helfen, das Lernen von Bewegungen in Sport, Reha und Musik zu optimieren.
Ob Ski oder Skateboard fahren, Radschlagen oder TikTok-Tänze: Kinder lernen neue Fähigkeiten schneller als Erwachsene, so die landläufige Meinung. „In der populärwissenschaftlichen Literatur und in verschiedenen Lehrbüchern wird davon ausgegangen, dass Kinder in einer bestimmten Altersgruppe – etwa vom achten Lebensjahr bis zur Pubertät – besser darin sind, neue Fähigkeiten zu erlernen als Erwachsene“, sagt Seniorautor Jesper Lundbye-Jensen von der Universität Kopenhagen.
„Dies wird oft als ‚goldenes Zeitalter‘ für das Erlernen motorischer Fähigkeiten‘ bezeichnet. Aber es gibt keine wirkliche physiologische Grundlage für dieses goldene Zeitalter.“ Wie das Alter unsere Lernfähigkeiten genau beeinflusst, ist also unbekannt.
Wer lernt schneller?
Ein Team um Lundbye-Jensen und Erstautor Mikkel Malling Beck von der Universität Kopenhagen hat daher nun untersucht, wie sich altersbedingte Unterschiede in unserem Gehirn auf das Lernen von Bewegungsabläufen auswirken. Dafür testeten die Forscher die motorischen Fähigkeiten und Koordination von 132 Testpersonen in vier Altersgruppen: 8 bis 10 Jahre, 12 bis 14 Jahre, 16 bis 18 Jahre und 20 bis 30 Jahre.
Die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen lernten dafür ein ihnen zuvor unbekanntes Computerspiel, bei dem sie den Cursor über einen zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltenen Hebel möglichst schnell und präzise in sich bewegenden Boxen halten müssen. Wie schnell sie dabei Fortschritte machten, testeten die Forscher, indem sie die Leistung der Teilnehmenden zu Beginn, nach den ersten 30 Minuten Training, nach sechs Stunden Pause und nach 24 Stunden verglichen.
Umso älter, desto geschickter
Das Ergebnis: Während des Trainings verbesserten alle Probanden ihre Fähigkeiten, die 16- bis 18-Jährigen und die 20- bis 30-Jährigen jedoch deutlich stärker als die Jüngeren. Die jungen Erwachsenen lernten also zunächst schneller als die Kinder. „Die Teilnehmer werden in der Anfangsphase des Trainings umso geschickter, je älter sie sind“, berichtet Lundbye-Jensen. Erwachsene werden demnach vor allem direkt nach der Aufgabeneinführung schneller besser als Kinder.
Zwar haben Erwachsene generell bessere motorische Fähigkeiten. Dass sie schneller lernen, war aber auch in Kontrollexperimenten noch der Fall, bei denen die Älteren das Spiel mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad absolvieren sollten. Durch diesen Aufbau begannen alle Altersgruppen das Training auf vergleichbarem Anforderungsniveau.
Geistige Entwicklung beeinflusst raschen Lernerfolg
„Es scheint also, dass sowohl Teenager als auch jüngere Erwachsene besser gerüstet sind, um schnell neue Fähigkeiten zu erwerben, als Kinder“, sagt Beck. Aber warum? Ein Grund könnte sein, dass das Nervensystem von Kindern noch nicht vollständig entwickelt ist und daher zum Lernen strukturell noch nicht ideal geeignet.
Dazu kommt die Lernerfahrung: „Wir vermuten, dass die geistige Entwicklung und eine erhöhte Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, eine Rolle spielen“, sagt Lundbye-Jensen. „Erwachsene haben möglicherweise mehr Erfahrung darin, Anweisungen zu erhalten und in Handlungen umzusetzen. Nach vielen Jahren der Schulbildung können sie erfahrenere Lerner und effizienter darin sein, neue Dinge zu lernen.“
Kinder merken sich gelernte Bewegungen besser
Doch die Ergebnisse zeigen auch, dass junge Erwachsene zwar unmittelbarer lernen, aber auch schneller wieder vergessen: Beim Vergleich der Leistungen zu Trainingsende und am Folgetag, schnitten Kinder bis 14 Jahren besser ab als die Älteren. „Während sich die jüngsten Teilnehmer tatsächlich über Nacht verbesserten, verlieren Erwachsene einen Teil ihrer Leistungsfähigkeit wieder“, berichtet Beck. „Das bedeutet, dass die Kleinsten nach dem Üben besser darin sind, ihr Gedächtnis zu festigen und zu stärken.“
Gründe dafür könnten sein, dass Kinder besser im Schlaf lernen als junge Erwachsene oder dass sie schlicht länger schlafen als Ältere und daher mehr Zeit zum Verinnerlichen der Bewegungen haben. „Es ist bekannt, dass Schlaf die Gedächtnisbildung unterstützt“, sagt Lundbye-Jensen. Zudem haben Erwachsene in der Regel tagsüber mehr zu tun und müssen mehr neue Eindrücke verarbeiten als Kinder. Bei der anschließenden Gedächtnisbildung im Gehirn, die noch Stunden nach einer Aufgabe andauern kann, könnten diese Eindrücke dann miteinander „konkurrieren“, so die Vermutung der Forscher.
„Wenn ein Matheunterricht zu Ende ist, arbeitet das Gehirn weiter an dem, was gelehrt wurde, und stärkt so das Gedächtnis. Aber andere Aktivitäten in den Stunden danach – insbesondere solche, die mit Lernen verbunden sind – können die Gedächtnisprozesse und die Festigung des gerade Gelernten beeinträchtigen“, erklärt Lundbye-Jensen. Demnach brauchen nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche und junge Erwachsene Ruhe und Pausen, um effektiv lernen zu können.
Altersgerechte Trainingspläne in Schule und Reha
Beim Gesamtlernerfolg zeigten sich dennoch keine drastischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen. Die Ergebnisse legen jedoch nahe, dass sich der Prozess beim kurzfristigen Lernen motorischer Fähigkeiten je nach Alter und Reife des Gehirns deutlich unterscheidet. Ob die Erkenntnisse sich auf das Erlernen anderer Fähigkeiten wie Sprachen und auf Langzeitlernen übertragen lassen, sollen nun Folgestudien klären.
Die Erkenntnisse könnten künftig in Lehr- und Trainingsplänen in Bereichen wie Sport oder dem Lernen von Musikinstrumenten nützlich sein, wo es auf Bewegung und Geschicklichkeit ankommt. Das kann sowohl in der Schule und der Freizeit als auch in der Reha sein. „Wir hoffen, dass dieses neue Verständnis von altersbedingten Unterschieden bei Lernprozessen Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und andere Fachleute bei der Gestaltung von Trainingsprotokollen inspirieren wird“, sagt Lundbye-Jensen. (Developmental Science, 2024; doi: 10.1111/desc.13536)
Quelle: Universität Kopenhagen